Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill

Jeden Morgen dasselbe. Fünf Uhr früh raus, kein Kaffee, kein Brot, 30 Minuten per pedes hinunter nach Orange Grove zum „Arbeitsamt“. An der Ivy Road stehen schon achtzig, neunzig Männer. Sie warten. Veri Ntlatlana reiht sich in die Schlange der Arbeitslosen ein. Er hofft auf einen weißen Baas, der ihn am Straßenrand aufliest und für ein paar Stunden Arbeit hat. 40 Rand gibt's pro Tag, ungefähr 18 Mark. Veri muß heute unbedingt was finden. Die Frau, die zwei Kinder haben nichts mehr zu essen, die Haushaltskasse ist leer. Neues Südafrika? „Ich war zehn Jahre bei einem Handwerker. Im Oktober hat er mich rausgeschmissen.“ Warum? „Wir waren fünf Schwarze. Vielleicht hatte er Angst, daß wir ihm aufs Dach steigen.“ Seither lebt Veri getreu der Losung: Du hast keine Chance, aber nutze sie.

Ein roter BMW gleitet langsam vorüber. Der Fahrer mustert die Schwarzen durch Ray-Ban-Gläser. Irgendwie erinnert die Szene an einen Sklavenmarkt. Oder an einen Straßenstrich. Die Männer denken sich offenbar nichts dabei. In Südafrikas Städten gibt es hunderte solcher Sammelplätze, an denen Arbeitslose ihre Dienste anbieten. Sie werden immer mehr. Niemand weiß, wie hoch die Zahl der Arbeitslosen ist. Jede(r) Dritte? Die Hälfte? Gar 60 Prozent?

Es sind jedenfalls so viele, daß die Arbeitgeber mit ihnen verfahren können wie weiland die Frühkapitalisten mit der industriellen Reservearmee. Der Boß vom Supermarkt oben in Norwood fällt zum Beispiel in diese Ausbeuterkategorie. Neulich, als wir frische Semmeln holen wollten, blockierten die Angestellten den Eingang. Arbeitsniederlegung! „Von 645 Rand (rund 290 Mark) können wir nicht mehr leben“, klagte ein Streikender. Zwei Wochen sollten die Leute durchhalten, dann waren sie ihre Stellung los. Der Chef vom Spar, dieses Schwein, hatte einfach eine ganz neue Belegschaft eingestellt, die für den alten Hungerlohn arbeitet und dankbar ist, nicht mehr auf der Straße zu stehen. Am Kap gibt es weder ein Lebensmittelgesetz noch ein ordentliches Arbeitsrecht, was Halsabschneidern wie dem Leiter der Spar-Filiale den Profit leichtmacht.

Kein Tag vergeht, an dem nicht irgend jemand an die Tür klopft und nach einem Stück Brot, ein paar Rand oder Altkleidern fragt. Kinder präsentieren ominöse Wohltätigkeitslisten, alte Männer wollen im Garten arbeiten, junge Frauen im Haushalt. Meistens werden sie brüsk abgewiesen. Womöglich merken sich manche die Adresse und kehren nächstens wieder, um die Umverteilung auf andere Art und Weise zu bewerkstelligen. Hut ab vor den Leuten, die sich jeden Tag an der Ivy Road um einen ehrlichen Job bemühen! Die geduldig auf das im Wahlkampf versprochene „bessere Leben“ warten. Die sogar Verständnis dafür aufbringen, das vorerst wenig vorangeht. „Nach so vielen Jahren Apartheid können sich die Verhältnisse nicht über Nacht ändern“, meint Veri, „wir müssen der Regierung Mandela noch zwei, drei Jahre geben.“ Aber dann ...

Heute hatte Veri Ntlatlana Glück. Weil wir zwecks Recherche im „Arbeitsamt“ auftauchten und ihn kurzerhand mitnahmen. Er befreit gerade die Regentraufe vom Laub des Vorjahres. Gleich gibt's Kaffee. Und abends kann sich die Familie wieder mal ein kleines Dinner leisten.