Schnoor verteidigt den Essener Kessel

■ Bündnis90/Grüne kündigen Verfassungsklage an / Beschwerden von beim Weihnachtseinkauf Festgenommenen

Essen (taz) –Der nordrhein- westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD) hat den Polizeieinsatz beim EU-Gipfel in Essen ohne jede Einschränkung verteidigt. Die Polizei habe den „schwierigen Einsatz nicht nur zur Zufriedenheit, sondern mit großem Erfolg, mit großem Fingerspitzengefühl bewältigt“, sagte Schnoor am Mittwoch abend im Düsseldorfer Parlament. Dem innenpolitischen Sprecher der Grünen, Roland Appell, warf Schnoor vor, der „Deeskalation gegenüber Gewalttätern“ das Wort zu reden. Appell hatte zuvor das von der Polizei ausgesprochene Demonstrationsverbot kritisiert und der Polizeiführung vorgehalten, sie habe „Gesprächsangebote der Veranstalter nicht ernsthaft wahrgenommen“. Schnoor verteidigte das Verbot erneut mit der erwarteten großen Zahl von „Gewalttätern“. Letztlich sei das Verbot ja auch „vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden“. Die Kritik, dieser BfG-Entscheidung „hätten wolkige Mutmaßungen zugrunde gelegen“, so Schnoor wörtlich, „vermag ich nicht zu akzeptieren“.

Durch ihre häppchenweise Informationspolitik hatte die Polizei die Gerichte so unter Zeitdruck gesetzt, daß dem Bundesverfassungsgericht für eine materielle Überprüfung der Verwaltungsgerichtsentscheidungen überhaupt kein Raum mehr blieb. Die dem Verbotsurteil zugrunde gelegte „Gefahrenprognose“ zu überprüfen „ist dem Bundesverfassungsgericht in der zur Verfügung stehenden Zeit unmöglich“, schrieben die Richter. Deshalb sehe sich das Gericht „zu einer von der angegriffenen Entscheidung abweichenden Beurteilung nicht in der Lage“. Der grüne Europaabgeordnete Wilfried Telkämper will jetzt gegen den Polizeieinsatz Verfassungsklage erheben, weil der Einsatz im Widerspruch zu den vom Verfassungsgericht im sogenannten Brokdorf-Urteil niedergelegten Regeln erfolgt sei.

Gegen die stundenlange Einkesselung und die Festnahme von 918 Personen haben inzwischen zahlreiche Organisationen scharf protestiert. Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten“ sieht in dem Vorgehen der Polizei „einen klaren Beweis, daß auch im SPD-regierten Bundesland NRW die Hardliner in den Reihen der Exekutive/Polizei zunehmend an Terrain gewinnen“.

Die Essener Polizei gibt sich inzwischen bedeckt. Nachfragen der taz zu den vorübergehend festgenommenen Personen werden telefonisch nicht mehr beantwortet. Auskunft geben will die Polizei nur noch auf schriftliche Anfragen. Inzwischen steht fest, daß die Polizei auch völlig unbeteiligte Personen stundenlang im Kessel festgehalten hat. In einem Schreiben an den Essener Polizeipräsidenten, das der taz vorliegt, beschweren sich vier BochumerInnen, die sich am vergangenen Samstag zum „Weihnachtsbummel“ nach Essen aufgemacht hatten, bitter über den Polizeieinsatz. „Wir wurden von starken Polizeikräften gegen unseren erklärten Willen in den gezogenen Kessel gedrängt.“ Kein Polizeibeamter sei an „der Aufklärung des offensichtlichen Mißverständnisses“ interessiert gewesen. So schnappten auch bei den verhinderten Kaufhausbesuchern die Handschellen zu. Einem von ihnen wurde „sein Schlüsselbund und ein Plastikkugelschreiber mit der Begründung, diese seien ein Wurfgeschoß und eine Stichwaffe, konfisziert“. In der ganzen Zeit, „von 12.00 Uhr bis zu unserer Freilassung gegen 20.30 Uhr wurden wir nicht ein einziges Mal mit Lebensmitteln und Getränken versorgt“. Die vier BochumerInnen hoffen auf eine öffentliche Diskussion, denn „unsere Erlebnisse lassen sich in Zukunft nur vermeiden, wenn die Polizei unter stärkeren öffentlichen Druck und Kontrolle gerät. Unsere Hoffnung ist, daß sich die Willkür auf diese Art vielleicht bekämpfen läßt; dann wären wir auch nicht ganz umsonst 8,5 Stunden in Polizeigewahrsam gewesen“. Walter Jakobs