Les Temps du Kulturbeutel perdu

■ Bernd Begemann, mitteilungsfreudigster Entertainer des nördlichen Westdeutschland, auf Weihnachtstour in Berlin

Bernd Begemann fährt einen rostigen Golf, in dessen Kofferraum er bequem sein gesamtes Equipment unterbringen kann: Backline, PA, Gitarre, Hemd zum Wechseln, Deostift. Er ist Dichter, Sänger und Ein-Mann-Band in Personalunion und kurvt mit achtzig Sachen kreuz und quer durch die Republik, weil er nicht anders kann: Begemann braucht die Bühne, um glücklich zu sein, und sieht keinen Grund, nicht jeden Abend glücklich sein zu sollen, auch wenn die Veröffentlichung seiner letzten CD „Solange die Rasenmäher singen“ (Rothenburgsort Records/EfA) schon einige Monate zurückliegt.

Wer Begemann von der Platte kennt, kennt ihn nur halb: Es ist gerade die Spannung zwischen seinen gefühlig kämpfenden Aufnahmen und seinen immer humoristisch gebrochenen Auftritten, von der seine Kunst lebt. Wo sich die einen allzu leicht in Jungs-Nostalgie verfangen und ein nasales Schlager-Tremolo ein strapaziöses Verständnis von Aufrichtigkeit vermuten läßt, sind die anderen leichtfüßige und durch und durch selbstironische Unterhaltungsabende: Sein Konzert am Donnerstag im Knaack beginnt Begemann mit den im schmierigen Tonfall eines Butterfahrtenmoderators ins Mikro gemurmelten Worten „Herzlich willkommen bei der Ritter-Sport-Verkaufsveranstaltung“, und bevor der erste Ton erklingt, hat er schon rund drei Dutzend Witze gerissen.

In diesem Geist geht es weiter. Mit erprobter Geste entblößt der Entertainer seinen Oberkörper und fordert zur Suche seines verlegten Kulturbeutels auf, zitiert einige Highlights aus dem mitgeführten Udo-Jürgens-Buch und fragt, ob jemand aus seinem Heimatort Bad Salzuflen im Publikum sei. Als sich tatsächlich eine versprengte Salzuflenesin zu erkennen gibt und auch noch bekennt, 1982 für eine halbe Stunde in ihn verliebt gewesen zu sein, ist er sichtlich erschüttert: „Eine halbe Stunde – das ist nicht lange!“

Dazwischen Musik. Begemann spielt viele unveröffentlichte und einige alte Songs, die alle entweder von Beziehungen handeln oder verschiedene (vergebliche) Versuche beschreiben, den Lauf der Dinge und Menschen im Norden Westdeutschlands zu verstehen. Manchmal kommt sein Schlager- Tremolo wieder durch, wird jedoch stets von der Unmittelbarkeit des Augenblicks relativiert.

Obwohl Begemann Bad Salzuflen schon lange zugunsten von Hamburg verlassen hat, ist er auf eine sympathische Art immer noch Provinzler: Als Poet der Fußgängerzonen, Mehrzweckhallen und Knutschecken am Baggersee vermißt er das wirkungsmächtige deutsche Geistesreich zwischen Gütersloh und Schleswig, Celle und Cloppenburg, dessen Existenz viele seiner Generation aus ihren Erinnerungen zu streichen versuchen. Doch Begemann ist eins mit seiner Sozialisation, was zum nicht unerheblichen Maße an deren zwanghaft nachdrücklicher Öffentlichmachung in Liedform liegen mag. So wird er sicher am 23. 12. nach seinem Konzert in der Volksbühne direkt nach Hause fahren, wo schon der Weihnachtsbaum wartet. An alle Bad-Salzuflen-Exilanten daher der Tip: Fragt ihn doch mal. Vielleicht nimmt er euch mit in seinem Golf. Johannes Waechter

Bernd Begemann live: heute, 22 Uhr, Die Insel (zusammen mit Tilman Rosmy); 22.12., Waschhaus Potsdam; 23.12., Volksbühne