Noch regiert in Bulgarien eine Frau

In Bulgarien finden am Sonntag Parlamentswahlen statt / Gewinnt keine der beiden großen Parteien, könnte sich die Amtszeit von Interims-Ministerpräsidentin Indschowa verlängern  ■ Von Keno Verseck

Budapest (taz) – Vor drei Jahren machte in Bulgarien eine Wahrsagerin Furore. Zum Erschrecken oder zur Belustigung ihrer neun Millionen Landsleute prophezeite sie, Bulgarien werde von einer Frau regiert werden. Nicht nur, daß die Wahrsagerin recht behalten hat. In den zwei Monaten der Amtszeit der Interimsregierung unter Ministerpräsidentin Reneta Indschowa hat sich auch niemand über sie lustig gemacht. Die parteilose Ökonomin hat in kurzer Zeit mehr Sympathien gewonnen als ihre Vorgänger in den letzten fünf Jahren.

Als Interimsregierungschefin unternahm sie erste Schritte gegen die drastische Kriminalität, setzte korrupte Beamte ab, beschleunigte die Privatisierung, nahm den Dialog mit den Gewerkschaften wieder auf und stellte durch Umgruppierungen im Haushalt Gelder für sozial Schwache zur Verfügung. Viele Bulgaren werden ihr nachtrauern. Morgen finden im Land vorgezogene Parlamentswahlen statt – die dritten Wahlen innerhalb der letzten fünf Jahre.

Wie üblich in Bulgarien war der Wahlkampf bestimmt von gegenseitigen Beschuldigungen der Parteien, von der Polarisierung des politischen Lebens zwischen den Altkommunisten der „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) und den Antikommunisten der „Union der Demokratischen Kräfte“ (SDS). Zwar gelten die Sozialisten als Favoriten und hoffen, im Parlament die absolute Mehrheit zu gewinnen. Doch selbst in diesem Fall wird es für die meisten Bulgaren eine Wahl des kleineren Übels sein. Die meisten Menschen im Land sind desillusioniert. Laut einer Umfrage glauben nur noch 19 Prozent, daß die Wahlen eine Wende zum Guten bringen.

Fünf Jahre nach dem Sturz des Diktators Todor Schiwkow leben 70 Prozent der Bulgaren an der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 18 Prozent. Die Inflation wird mit rund 120 Prozent zum erstenmal seit 1991 wieder über hundert Prozent liegen. Zwar konnte das Produktionsniveau von 1993 gehalten werden. Doch Bulgarien leidet immer noch unter dem UNO-Embargo gegen Serbien, weil es einen wichtigen Handelspartner verloren hat.

Die Sozialisten setzen auf Populismus

Das zweite große Problem Bulgariens ist die Kriminalität. Laut einem Unicef-Bericht ist Bulgarien das osteuropäische Land, in dem die Zahl der Straftaten den größten Anstieg aufweist. Nicht nur Finanzbetrügereien sind an der Tagesordnung, sondern auch Erpressung und Straßenraub. Zehntausende von Bulgaren besitzen illegal Waffen, die Polizei ist von der Verbrechenswelle überfordert.

Angesichts von Wirtschaftskrise und Kriminalität verspricht jede der 48 Parteien und Koalitionsblöcke, die sich um die 240 Sitze in der „Großen Volksversammlung“ bewerben, dasselbe: Besserung. Meistens ohne dazu ausgefeilte Programme vorzulegen. Die Sozialisten, die bis zu 30 Prozent der Stimmen erhalten könnten, treten mit Populismus an: Marktwirtschaft ja, soziale Schwierigkeiten nein. Im Mittelpunkt ihres Wirtschaftsprogrammes steht die verstärkte Kontrolle des Staates über die Wirtschaft, ein Massenprivatisierungsprogramm und mehr Beschäftigung.

Etwas realistischer, weil ohne große Versprechungen, ist das Wirtschaftsprogramm der „Union der Demokratischen Kräfte“, die um die 20 Prozent der Stimmen erhalten könnten. Die SDS, bekannt für die neoliberale Orientierung ihres Chefs Filip Dimitrow, will vor allem eine Anti-Inflationspolitik betreiben. Ansonsten setzt der Parteienblock auf seinen üblichen, totalitär wirkenden Antikommunismus. Nach Meinung der SDS- Führung sind an der bulgarischen Misere allein Ex-Kommunisten schuld, die Behörden sollen von ihnen gesäubert werden. Die SDS liebäugelt außerdem mit der Wiedereinführung der Monarchie, gehört der in Madrid lebende König Simion II. doch zu den populärsten Persönlichkeiten Bulgariens.

Während sich die Sozialisten und die SDS gegenseitig des Populismus und demagogischer Wahlversprechen beschuldigen, versuchen sich in deren Mitte kleine Koalitionsblöcke zu profilieren. Die „Bewegung für Rechte und Freiheit“, die Partei der türkischen Minderheit hofft wie bisher zum Zünglein an der Waage zu werden. Gute Aussichten, die Vierprozenthürde zu überspringen hat auch das Wahlbündnis „Demokratische Alternative für die Republik“, bestehend aus Sozialdemokraten, Sozialliberalen, Grünen.

Von dem Einzug der kleinen Parteien ins Parlament wird abhängen, ob die Sozialisten die erhoffte absolute Mehrheit erreichen. Wird jedoch, wie schon so häufig in den vergangenen fünf Jahren, keine stabile Regierung gebildet werden können, müßten die Wahlen wiederholt werden. Reneta Indschowa bliebe dann zur Freude vieler Bulgaren noch eine Weile Regierungschefin.