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■ Bonn apartStempelort Deutschland

Bonn (taz) – Deutsche Gemeindeangestellte aufgepaßt! Endlich müßt Ihr Euren rasenden Arbeitseifer und Eure rare Zeit nicht mehr verschwenden! Endlich könnt Ihr segensreich zu unser aller Nutzen wirken! Freilich, liebe Rathausbürokraten, hat es erst einer Kommission unter Vorsitz des parlamentarischen Staatssekretärs Horst Waffenschmidt bedurft, bevor Eure Talente für den Aufbau einer lebenswerten Zukunft freigesetzt werden konnten.

Die „Unabhängige Kommission für Rechts- und Verwaltungsvereinfachung des Bundes“ nämlich hat herausgefunden, daß es völlig unnötig ist, wenn Ihr vor einer Hochzeit eine Woche lang das Aufgebot im Standesamt aushängt. Denn bei einer halben Million Eheschließungen in den vergangenen Jahren ist kein Leser eines solchen Aushangs anschließend an Euren Schreibtisch marschiert, um ein „Ehehindernis“ zu Protokoll zu geben.

Überflüssig also das Aushängen des Aufgebots! Was da gespart werden kann: Arbeitsgänge wie Akten einsehen, Namen ausfüllen, Formular ablegen oder Übereinstimmung kontrollieren waren für die Katz. Welch wertvolle Arbeitskraft! Und auf den hunderttausenden Blättern Papier, die nun gespart werden, können künftig statt der schlichten Prosa „Frau soundso will Herrn soundso ehelichen“ tolle Ideen für die Zukunft der Bundesrepublik stehen.

Denn um die Zukunft ging es schließlich bei der Arbeit der Kommission, die vor mehr als einem Jahr mit dem „Bericht zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland“ von der Bundesregierung eingesetzt wurde. 1.400 Vorschläge zum Abbau bürokratischer Hemmnisse hat das Gremium geprüft und nun in einer rund hundertseitigen Broschüre Bericht erstattet.

So hatte ein armer Bürger moniert, daß er sein Antrag auf einen Personalausweis von der Bundesdruckerei an sein Meldeamt zurückgeschickt wurde, nur weil er mit einem blauem Stift unterschrieben hatte. Der Mann wies bescheiden darauf hin, daß es auch Telefone gibt. Die Kommission fragte bei der Bundesdruckerei nach, die penibel antwortete: „Eine Einzelfallprüfung, ob geeignete Schreibmittel eingesetzt werden oder sonstige Fehler auftreten, wäre aufgrund des Antragsvolumens nur mit erheblichem personellen Mehraufwand realisierbar.“ Zurückschicken war richtig, urteilte die Kommission allen Ernstes. Wie immer die Zukunft aussieht, der Stempelort Deutschland ist ungefährdet.

Hans Monath

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