Der „FrauenMediaTurm“ in Köln ist eine besondere Einrichtung in Deutschland, ein „Feministisches Archiv“. Öffentlich und gemeinnützig. „Emma“-Gründerin Alice Schwarzer ist hier Chef. Sie hat auch ein schönes Büro im Turm. Und wie kommt es, daß der Förderverein des Turms fast nur aus „Emma“-Mitarbeiterinnen besteht? Und arbeiten die da, werktags von 10 bis 19 Uhr, nur für den Förderverein? Und warum darf die „Öffentlichkeit“ erst im März wieder rein? Von Bascha Mika

Da gibt es dieses Märchen „Rapunzel“. Rapunzel hockt in einem Turm, gefangengehalten von einer alten Hexe. Sie kann nicht heraus, niemand kommt zu ihr herein – bis das Mädchen und ihr Prinz auf die Idee kommen, Rapunzels langes Haar als Strickleiter zu benutzen. Der Prinz steigt ein, trifft sein Rapunzel, die Hexe ist ausgetrickst. Soweit die Geschichte.

Mit seinen trutzigen Mauern und hohen Fenstern würde sich der Bayenturm in Köln, ein mittelalterliches Gebäude am Rhein, hervorragend für eine „Rapunzel“-Inszenierung eignen. Doch wer spielt die Hexe, wer den Prinzen, und was ist mit Rapunzel passiert?

Im Kölner Bayenturm ist das „Feministische Archiv und Dokumentationszentrum“ untergebracht. Eine gemeinnützige Stiftung, die 1984 in Frankfurt gegründet wurde. Jan Philipp Reemtsma hatte das Projekt mit einer Gründungs- und Anschubfinanzierung ermöglicht. Seit Beginn im Vorstand: Alice Schwarzer. Charismatisch, eloquent, durchsetzungsfähig – eine Institution der bundesdeutschen Frauenbewegung. Bekannt ist Schwarzer als Journalistin und Herausgeberin der feministischen Zeitschrift Emma.

1988 zog das Feministische Archiv nach Köln um, dem Sitz der Emma-Redaktion. Nach viel Gezeter und Gezerre erklärte sich die Stadt bereit, ihm den Bayenturm herzurichten. Eine seltene Entscheidung in der Domstadt, die ihre historischen Denkmäler gern Karnevalsvereinen überläßt. Mit fünfeinhalb Millionen Mark Städtebauförderung wurde der Turm wieder aufgebaut; siebzig Jahre darf die Stiftung ihn im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrages nutzen. Im Frühjahr diesen Jahres zog das Archiv um, im August wurde es feierlich eingeweiht. „FrauenMediaTurm“ nennt Alice Schwarzer das Gemäuer von nun an. Die Frauenbewegung hat eine Bastion erobert. Da gäbe es eigentlich nichts zu meckern...

„Gewerbliche Nutzung wird ausgeschlossen“

Doch seit Wochen ranken sich böse Gerüchte um den Festungsbau. Nicht nur das Feministische Archiv soll im Bayenturm sein Domizil haben, sondern auch die Redaktion der Emma ihrer täglichen Arbeit nachgehen. Außerdem sei der Turm ziemlich abgeschottet, BenutzerInnen kämen nur nach umfänglichen Kontrollen – vom Personalausweis bis zur Angabe des Forschungsziels – hinein. Wer nicht gefällt, kriegt Hausverbot.

Beide Vorwürfe würden eindeutig dem Vertrag, den die Stiftung mit der Stadt geschlossen hat, widersprechen. „Das Erbbaurecht“, heißt es darin zum einen, „wird bestellt zur ausschließlichen Nutzung des wiederhergestellten Bayenturms durch die Stiftung Feministisches Archiv und Dokumentationszentrum. Eine gewerbliche Nutzung wird ausgeschlossen.“ Und zum anderen: Der Bayenturm „ist auf Dauer der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.

Sollten die Gerüchte der widerrechtlichen Nutzung stimmen, erregt sich Li Selter, Leiterin des Kölner Frauenamtes, „wäre das eine riesige Sauerei“. Was ist dran an dem Verdacht?

Da macht man sich auf in die Kölner Südstadt und steht am Rhein vor dem Bayenturm. Eine Treppe hoch, da ist der Vordereingang. Eine schwere Metalltür, zwei Klingeln: „FrauenMediaTurm“ steht auf der einen, „Förderverein FMT“ auf der anderen. Die Tür ist zu. Nach mehrmaligem Läuten regt sich jemand in der Gegensprechanlage, man nennt sein Begehr, plötzlich läßt sich die Tür öffnen. Doch weiter als bis zum Empfang kommt man nicht. Dort wird einem beschieden: „Aufgrund der großen Nachfrage sind für Dezember bereits alle Besuchstermine vergeben.“ Auch im Januar und Februar kommt keine Benutzerin in das Archiv hinein, denn dann würden „liegengebliebene Bücher“ eingearbeitet. Ab Anfang März sei das Dokumentationszentrum wieder zugänglich.

Wer sich telefonisch an das Archiv wendet, wird nicht einmal bis zu einem Menschen vordringen. Das Ohr prallt an einem Anrufbeantworter ab, dem man eine Nachricht hinterlassen darf.

Der Bayenturm hat mit dem Erdgeschoß fünf Etagen. Unten ist ein Veranstaltungsraum untergebracht, im 1. Stock liegen vier Arbeitsplätze für Archivmitarbeiterinnen, im 2. sitzt offiziell der sogenannte „Förderverein“, der 3. Stock ist dem Vorstand vorbehalten, im 4. plus Galerie steht die Bibliothek. Weniger als ein Viertel des Raums steht der forschenden „Öffentlichkeit“, den Büchern und dem Dokumentationsmaterial zur Verfügung.

Trotzdem haben sich hier, nach Informationen der taz, seit dem Frühjahr mindestens fünf Emma- Mitarbeiterinnen breitgemacht (Alice Schwarzer und ihre Assistentin Margitta Hösel, die ganz offiziell im Turm arbeiten, ausgenommen). Nach Aussagen von ehemaligen Angestellten des Archivs kamen die Emma-Frauen in der Regel gegen zehn Uhr morgens und gingen gegen 19 Uhr abends. Sie hatten ihre Arbeitsplätze hauptsächlich im 2., aber auch im 3. Stock. Im Wehrgang des 2. Stocks sei auch das Fotoarchiv der Emma in zwei Hängeregistraturschränken untergebracht.

Nach dem Einzug im Frühjahr, so berichten die Archivmitarbeiterinnen weiter, habe Alice Schwarzer in der Bibliothek eine Kennenlern-Runde für alle Frauen einberufen, die künftig im Turm unter einem Dach zusammenarbeiten sollten. Dabei hätten sich die Emma-Mitarbeiterinnen freimütig als Emma-Mitarbeiterinnen vorgestellt. Und die arbeiteten dann da. Und gingen ein und aus. Werktags von 10 bis 19 Uhr.

Emma-Frauen im 2. Stock? Sitzt denn da nicht der Förderverein? Und wer ist das eigentlich. Auf Nachfrage der taz wollte Ursula Scheu, 2. Vorstandsvorsitzende des Feministischen Archivs, nicht mit der Sprache heraus. Aufschluß gibt das Vereinsregister der Stadt Köln. Unter der Nummer 11546 wurde der „Förderverein FrauenMediaTurm“ am 25.4. 1994 eingetragen. Ziel des Vereins ist „die praktische Umsetzung der theoretischen Arbeit der Stiftung FrauenMediaTurm“. Gründungsmitglieder sind – neben Alice Schwarzer, die auch 1. Vorsitzende ist – Monika Glöcklhofer (Emma- Redakteurin), Barbara Rudorf (jetzt Barbara Frank, Emma-Redakteurin), Margitta Hösel (Emma-Sekretärin), Franziska Becker (Emma-Hauskarikaturistin), Bettina Flitner (Emma-Hausfotografin) und Ursula Scheu.

Warum braucht der Förderverein eine ganze Etage? „Weil diese Etage“, stottert Scheu bei Nachfrage der taz, „auf Zuwachs geplant ist.“ Für wen? Für das Archiv oder den Verein? „Es stehen dort“, so Scheu, „Materialien des Archivs und solche, die von Emma an das Archiv gegangen sind.“ Hat Emma ihr Fotoarchiv dem Turm vermacht? Die BenutzerInnen werden sich freuen.

Bereits im Sommer waren dem Liegenschaftsamt der Stadt Köln, das mit der Stiftung den Erbbaurechtsvertrag aushandelte, Vorwürfe über die widerrechtliche Nutzung des Bayenturms zu Ohren gekommen. Darauf schrieb die Vorstandsvorsitzende Alice Schwarzer dem Amt: „Selbstverständlich wird der Bayenturm ausschließlich im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen genutzt... Ich persönlich bin allerdings unteilbar nicht nur der Stiftung verpflichtet, sondern u.a. auch Emma.“ Damit gab sich das Amt vorerst zufrieden. Im Turm habe sie „mit vielen Menschen zu tun“, äußerte Schwarzer an anderer Stelle, „darunter mit meinen Kolleginnen von Emma.“

Sehr praktisch ist dabei, daß die Redaktion der Emma Mitte März ihr Büro in der Kölner Innenstadt aufgegeben hat, zugunsten von Räumen in der Südstadt. Das alte Domizil lag auf zwei Etagen, das neue ist ein Ladenlokal, wesentlich kleiner und nur fünf Fußminuten vom Bayenturm entfernt. Der wurde Anfang April bezogen.

„Es wird eine Kontrolle des Turms stattfinden“, sagt Mathis Wiesselmann, Sprecher des Kölner Regierungspräsidenten. Die Bewilligungsbehörde der Städtebaufördermittel werde „sich alles ansehen“.

Engelbert Rummel, Leiter des Büros des Stadtdirektors und damit zuständig für das Liegenschaftsamt, reagiert da schon zögerlicher. „Sollte eine einschränkende Nutzung des Turms vorliegen“, so Rummel, „wäre dies nicht erlaubt.“ Den Vertragsbruch aber müsse man schon in flagranti ausmachen, um Konsequenzen zu ziehen. „Wenn wir allerdings feststellen, daß unsere Verträge nicht eingehalten werden“, ergänzt Rummel, „können wir sehr, sehr fies werden.“

Auch die Hamburger Stiftungsaufsicht, die für das Archiv zuständig ist, hält sich bedeckt. Sie wäre die Instanz, die den Vorstand ablösen könnte. Bei glaubwürdigen Hinweisen würde die Aufsicht eine Anhörung veranlassen.

100prozentige Fluktuation – „ist doch normal!“

Der Schaden, der dem Feministischen Archiv und der Sache der Frauen daraus entstehen könnte, ginge voll auf Schwarzers Konto. Alice Schwarzer hat, wie sie offen zugibt, „bekanntermaßen viele Funktionen“. Eben. In der Personalunion von Vorstandsvorsitzender der Stiftung, Vorsitzender des Fördervereins und Emma-Chefin liegt der Hund begraben. Der Turm ist maßgeschneidert für Alice Schwarzer.

Auch in ihrer Funktion als Vorgesetzte der Archiv-Mitarbeiterinnen scheint Schwarzer ein Problem. Bei der offiziellen Eröffnungsfeier des Bayenturms – zu der im übrigen weder das Kölner „Netzwerk Autonomer Frauenprojekte“ noch die Kölner Partei der Grünen eingeladen waren, statt dessen aber Jürgen Heydrich, „Republikaner“ und damals für seine Partei im Stadtrat – arbeiteten im Feministischen Archiv sechs Frauen. Eine weitere kam im Oktober dazu. Von diesen sieben wird Ende Februar 1995 keine einzige mehr dort sein. Zwei ABM- Stellen sind ausgelaufen, eine Frau wurde entlassen, die übrigen vier haben von sich aus die Mitarbeit aufgekündigt. Grund: Sie sähen keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mehr mit Alice Schwarzer. Ist das der Grund für die Schließung des Turms im Januar und Februar?

Zu dieser katastrophalen Personalführung und der hundertprozentigen Fluktuation bemerkt Vorstandsfrau Ursula Scheu nur lapidar: „Es ist doch völlig normal, daß Frauen kommen und gehen.“

Ihre Vorstandskollegin Alice Schwarzer wollte sich – obwohl sie von der taz im Laufe der Woche mehrmals um eine Stellungnahme gebeten wurde – nicht zu den Vorwürfen äußern.

Arme Rapunzel.

Mitarbeit: Sonja Schock und

Doris Maassen