: Die rechte Szene agiert jetzt subversiver
■ Die taz sprach mit einem ehemaligen Staatsschützer über neue Organisationsstrukturen / Örtliche Kader beeinflussen die Jugendszene
Bernd Wagner untersuchte bis Ende 1991 für den Staatsschutz Organisationsstrukturen und Ideologien rechter Netzwerke in den neuen Ländern. Heute arbeitet er für das mobile Beratungsteam der Brandenburger Ausländerbeauftragten im Kampf gegen den Rechtsextremismus.
taz: Die Jugendlichen, die sich das Berliner und Brandenburger S-Bahn-Netz zu eigen machen wollen und Passagiere tyrannisieren, so erklären übereinstimmend Sozialarbeiter wie Politiker und Sicherheitskreise, hätten keinen Kontakt zu rechtsextremen Organisationen. Ihre Gruppen seien spontane Zusammenschlüsse ohne politischen Hintergrund. Heißt das, daß rechtsextreme Organisationen hier kaum noch Einfluß auf gewaltbereite Jugendliche haben?
Bernd Wagner: In beiden Ländern sind diese Organisationen nach wie vor sehr aktiv, handeln aber mehr im verborgenen. Die Organisationsformen haben sich geändert. Neben den legalen rechtsextremen Parteien gibt es eine ganze Reihe von teilweise konspirativ arbeitenden Kaderorganisationen. In vielen Orten werden große Teile der Jugendszene von diesen Kadern beeinflußt. Dabei reichen manchmal zwei oder drei Leute, die einen Schweif von dreißig bis vierzig Jugendlichen hinter sich herziehen oder gar mehr. Viele wissen gar nicht, mit wem sie es zu tun haben. Ein neuer Trend ist es, „autonome Kameradschaften“ zu schaffen. Die Kader schaffen es, die kulturelle und ideologische Meinung der Gesamt-Szene zu prägen. Für einige Brandenburger Städte wie z.B. Schwedt wissen wir, daß nur etwa fünf Kader hinter einem starken Potential rechter Gewalt stehen.
Wer sind diese Kader?
Die inner circles sind personell streng definiert und bestehen nur aus bewährten Kameraden. Bewährt heißt, daß die Leute sich durch den permanenten Krieg gegen den Staat profiliert haben, Haftzeiten hinter sich haben, möglicherweise schon mal Gewaltakte organisiert haben. Wichtig ist die kämpferische Karriere im Sinne des Neo-Nationalsozialismus.
Um welche Organisationen handelt es sich dabei?
Im wesentlichen um konspirative Zellen der verbotenen „Deutschen Alternative“ (DA) oder Nationalistischen Front (NF) oder deren legalen Arm, die „Sozialrevolutionäre Arbeiterfront“ (SrA) mit Andreas Pohl als führendem Kopf. Außerdem die Freiheitlich-Deutsche Arbeiterpartei (FAP), die nicht so streng kadermäßig ist. Die Führer der verschiedenen Organisationen treffen sich regelmäßig, unter anderem in sogenannten „Führer-Things“ der „Gesinnungsgemeinschaft Neue Front“. Dort werden taktische Entscheidungen getroffen, die in den Kameradschaften umgesetzt werden.
Gibt es seit dem Ausstieg von Ingo Hasselbach neue Integrationsfiguren?
In Berlin ist neben Andreas Pohl nach wie vor der ehemalige DA-Landesvorsitzende Winfried Priem ein Ansprechpartner. Auch einige andere der alten Garde sind nach wie vor da. Ansonsten gibt es auch neue Leute, die bisher fast nur in der Szene bekannt sind.
Staats- und Verfassungsschützer scheinen sich sicher, daß rechtsextreme Organisationen in Berlin-Brandenburg keinen ernsthaften Rückhalt mehr haben.
Durch die Organisationsverbote sind bestimmte Strukturen arg behindert worden. Manche der „Führer“ sind im Gefängnis. Aber seit langem hat die rechte Szene auch ihre Aktivitäten umgelenkt und agiert jetzt subversiver: Ihre Führer konzentrieren sich auf das Implementieren rechtsextremistischer Ideologie und Verhaltensmuster bei Jugendlichen. Dabei werden verschiedene Jugendkulturen benutzt und instrumentalisiert. Was einmal bei Skins und Hooligans angefangen hat, ist mittlerweile bis in die Techno-Szene vorgedrungen. In Brandenburg gibt es Techno-Clubs, in denen Kader der SrA oder der FAP das Feld beherrschen. Sie sammeln Fans, rekrutieren Mitglieder und Sympathisanten, organisieren Kontakte, bieten Materialien an, verbreiten Fanzines, T-Shirts.
Sind diese Szenen nicht lokal begrenzt?
Es gibt lokal verortete Gruppen, in Ostberlin, Bernau, Eberswalde, Schwedt, eigentlich in jedem Ort. Diese stehen aber überregional in regem Kontakt. Es finden Besuche und Treffen statt.
Wie kommt es, daß dies so unauffällig geschehen kann?
Unter anderem wegen der verstärkten Repression ist die Szene heterogener geworden. Anfang der 90er konnte man zum Beispiel in Lichtenberg rund um das damalige NA-Hauptquartier in der Weitlingstraße Rechtsextreme von weitem erkennen. Inzwischen gibt es unter Rechtsextremen auch Heavy-Metal-Anhänger, Stinknormale oder Techno-Fans, Nazi- Oi-Musik-Anhänger, Popfans. Für Außenstehende sind Rechtsextreme und deren Vernetzung kaum zu erkennen. Auch nicht alle Sozialarbeiter blicken durch. Der Verfassungsschutz, der von draußen guckt, sieht die Hierarchien und Kontakte sehr selten.
Mit Fanzines, Musik und Material werden politische Ideen implementiert...
...rechtsextreme Ideen. Ganz wichtig dabei ist der Rassismus. Dieser kann ganz platt als Arier- Kult rüberkommen. Andere thematisieren stärker das Germanentum. Aus diesen Ideen werden bevölkerungspolitische Vorstellungen entwickelt, der Überfremdungswahn etc. Aggregiert produzieren diese Symbole und Versatzstücke Feindbilder, sie teilen die Welt in „werte“ und „unwerte“ Menschen. Nach dem Motto „Der Feind steht immer und überall“ reagiert die Szene dann hochalarmiert auf alles, was anders ist. Jemand, der in ihren Augen ein „Kanake“, eine „Zecke“ oder „Assel“ ist, hat keine Chance, in deren Clubs reinzugehen oder in der leeren S-Bahn zu sitzen...
...ohne zusammengeschlagen zu werden?
Viele Jugendliche haben diese Feindbilder gleichsam physiologisiert, vor allem wenn sie in Gruppen sind. Das ist wie mit dem Pawlowschen Speichelflußreflex. In den Augen der Polizei erscheint Gewalt, von der nur ein Bruchteil bekannt wird, oft spontan. Das ist sie aber nicht, weil sie vor dem Hintergrund konstruierter Feindbilder abläuft.
Polizei und Sozialwissenschaftler sehen auch ziellose Gewalt, die sich nicht gegen markierte Gruppen richtet.
Wenn man sich die Opfer genau anguckt, tragen die immer irgendwelche Attribute. Als der Fall der Frau bekannt wurde, die angeblich in Potsdam aus der Straßenbahn geworfen wurde, hab' ich gesagt, wenn das stimmt, ist das ein völlig neuer Tätertyp. Die durchschnittliche deutsche Frau wird nicht angegriffen. Tatsächlich entpuppte sich das ja als erfunden.
Nun gibt es auch erfundene Täter. Ein 18jähriger Brandenburger hat vier Wochen lang behauptet, den Ghanaer Martin A. aus der fahrenden S-Bahn gestoßen zu haben. Ein psychiatrisches Gutachten hat sein Geständnis widerlegt.
Es kann vorkommen, daß es falsche Täter gibt. In der Szene ist man der Größte, wenn man so ein Ding gemacht hat. Ich habe mit Leuten geredet, die sehr stolz darauf waren, daß einer aus ihrer Gruppe einen Alkoholiker totgeschlagen hat. Auch das psychiatrische Gutachten ist nicht erstaunlich. Es gibt keine exakte Untersuchung, aber ich würde mal tippen, daß Psychopathen in der Szene häufiger sind als woanders. Das Bild des „dummen Neonazis“ stimmt allerdings nicht. Von den Kadern wird knallhart kalkuliert. Die Strategie der kulturellen Verankerung ist eine sehr durchdachte Reaktion auf die Repression offen agierender Gruppen. Auch das Image der Gewalt gegen Ausländer in der Bevölkerung wird bedacht. Aus der Geschichte der RAF haben sie gelernt, daß sie einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung brauchen. Nach Rostock wurden beispielsweise Rundbriefe verschickt, daß die Akzeptanz der Gewalt gegen Ausländer in der Bevölkerung erschöpft sei. Nach ihrem Eskalationsmodell von Revolutionen versuchen die Kader im Moment, Unzufriedenheit zu schüren und bei Konflikten präsent zu sein. Jugendliche bieten sich als Zielgruppe natürlich besonders an. Das Gespräch führte
Jeannette Goddar
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