Schatten und Nebel

■ Woody Allen in Hamburg – als Woody-Allen-Darsteller und PR-Agent in eigener Sache. Eine Deutschlandpremiere

Interviews, zumal mit Stars, sind wie eine Verschwörung. Man trifft sich mit flüchtig bekannten Kollegen in illustren Hotellobbies, formiert sich zu sogenannten Gruppenterminen, läßt sich willig durch verschwiegene Flure in eine Suite schleusen, wo geschäftige PR-Mitarbeiter im Halbstundentakt die nächste Runde vorbereiten. „Dort, wo das Kissen liegt, sitzt Woody Allen“, sagt der Zeremonienmeister im Hamburger Hotel Atlantic. Per Unterschrift muß man sich verpflichten, vorläufig kein Wort zu verraten, gerade so, als handele es sich um ein Treffen mit Godfather persönlich. Also: kein Wort über Allens neuen Film, die Zwanziger- Jahre-Broadway-Komödie „Bullets over Broadway“ (Filmstart und das vollständige Gespräch im April), auch wenn die Mafia darin eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Nur soviel sei verraten, daß Allen schon als Kind gerne Gangster werden wollte, bis er als junger Mann entdeckte, daß er die bad guys auch einfach nur spielen kann.

Plötzlich war er tatsächlich und leibhaftig erschienen, war durch eine kleine Seitentür hinter dem Rücken eines weiteren Mitarbeiters ins Zimmer geschlüpft, hatte uns artig die Hände geschüttelt, angesichts unserer großen Mikrofone einen gelinden Schrecken bekommen – und einen Moment lang war alles genau wie in „Purple Rose of Cairo“, als der Held von der Leinwand ins wirkliche Leben hinabsteigt. Eine Premiere: zum ersten Mal stellt sich Woody Allen den Fragen deutscher Journalisten. Der Grund: „Bullets over Broadway“ ist seine erste Arbeit für die neue, unabhängige Produktionsfirma „Sweetland“, an der seine älteste Freundin Jean Doumanian und seine Schwester Lettie Aronson beteiligt sind; bis vor wenigen Wochen hatte der Film nicht mal einen deutschen Verleih. Also muß er selber PR machen. Allen kann die Hände nicht stillhalten und fingert an den Mikros herum, mit halb fahrigen, halb zärtlichen Gesten. Wenn eines der Mikros kippt, stellt er es mit beflissener Hast an seinen Platz zurück und sagt dabei, er sei kein richtiger Künstler, er habe doch nur ein bißchen Talent. Gestern, am Sonntag abend, lief im amerikanischen Fernsehen sein erster TV-Film, die Adaption seines Broadway-Theaterdebüts „Don't drink the water“, eine Story aus dem Kalten Krieg, in der eine amerikanische Familie in die Klauen des Kommunismus gerät. „Das Stück war schon veraltet, als ich es damals schrieb, ziemlich simpel, mittelmäßig und tolpatschig, aber auch ziemlich lustig. Die Leute fanden es unglaublich komisch, es lief zwei Jahre am Broadway. Der Part des Familienvaters war wie geschaffen für mich, bloß war ich damals viel zu jung für die Rolle. Aber dieses Jahr, bei einem Blick in den Spiegel, sagte ich mir: Jetzt hast du das richtige Alter. Wir haben die ganze Geschichte, die irgendwo im Ostblock spielt, in New York gedreht, zwei Straßenecken von mir entfernt, es sieht vollkommen authentisch aus. Es machte Spaß, wir haben nur dreieinhalb Wochen gedreht, ich ging morgens früh aus dem Haus und fünf Minuten später war ich in Albanien.“ Er sagt auch, er verlasse sonst selten New York und erläutert ausführlich seine Angst vor Tunnels, die ihn kürzlich in einer Pariser Tiefgarage zum ersten Mal packte, sowie die Umwege, die er deswegen in Kauf nimmt.

Zum Beispiel letzte Woche in Sizilien auf dem Weg nach Taormina, wo er für seinen allerneuesten Film – eine Dreiecksgeschichte im Boxermilieu mit Allen als Sportjournalist zwischen Ehefrau und Geliebter – ein paar Szenen in einem Amphitheater drehen mußte. Amphitheater gibt es nicht in New York. Der Regisseur spricht leise und konzentriert, ein blasser, hochbegabter, ertappter Schuljunge: die Rolle seines Lebens. Wahrscheinlich ist das alles nur wunderbar gespielt, dennoch wird mir ab sofort niemand mehr den Unterschied zwischen Kunst und Leben weismachen können. Jedenfalls, was Woody Allen betrifft. Und Hamburg? „Das Licht heute morgen war so wunderbar. Ist es immer so diesig hier? Es ist genau das Licht, das Carlo di Palma und ich unentwegt suchen, einfach ideal zum Filmen.“ Wenn er jetzt aufstünde und sein Schatten sich draußen im Hamburger Nebel verflüchtigte, es würde mich auch nicht mehr wundern. Christiane Peitz