„So schlimm bin ich nicht“

■ Zu Besuch beim Bremer Gutachter Demedts / „Asbest – die geleimten Opfer“ (11)

Er sieht pro Jahr Tausende von Asbestose-Kranken: Arnoud Demedts, Lungenfacharzt in Gröpelingen, ist einer von drei ÄrztInnen in Bremen, die für Berufsgenossenschaften Gutachten erstellen.

Es wären heute gern ein paar Asbestose-Kranke mitgekommen, weil die mit ihnen ein Hühnchen zu rupfen haben. Können Sie sich vorstellen, warum?

Arnoud Demedts: Ja klar. Als Gutachter sitzen wir zwischen Hammer und Amboß: Wir müssen Sachen entscheiden, die für die Patienten nicht nachvollziehbar sind, warum sie Renten kriegen oder nicht zum Beispiel. Diese Bestimmung aber, daß das nach der Funktionsstörung der Lunge entschieden wird, haben nicht wir verbrochen!

Was fänden Sie denn sinnvoller?

Viele Verletzungen bedingen automatisch einen Funktionsverlust – in der Lunge ist es leider anders: Sie können richtig dicke Platten auf der Lunge haben, also eine kräftige Asbestose, und trotzdem kriegen Sie Luft wie jeder andere auch. Dann bekommen Sie nach den geltenden Bestimmungen keine Rente. Da sehe ich Nachbesserungsbedarf: Die Tatsache, daß die Leute Asbestose haben, ist eine Versehrtheit, auch der Psyche. Wenn sie die Diagnose mitgeteilt bekommen, sind die Leute zu Recht geschockt. Weil sie ja nicht wissen, was noch passieren kann. Es passiert zum Glück nicht mit jedem – sonst wäre Gröpelingen ausgestorben, Bremen hat ja die höchste Asbestkranken-Zahl der Bundesrepublik.

Aber das Risiko, dann doch noch Asbest-Krebs zu bekommen, ist hoch – und wird nicht entschädigt!

Nein, das wird nicht entschädigt. Aber das ist eine juristische Position, da möchte ich mich raushalten.

Aber eine persönliche Meinung haben Sie schon, oder?

Ich bin schon der Meinung, daß jede Asbestose entschädigt werden sollte. Über die Höhe kann man sich streiten. Der Landesgewerbearzt würde gerne einen Sockelbetrag von 10 Prozent durchkriegen – im Moment wird erst ab 20 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit entschädigt. Ich weiß, daß die Berufsgenossenschaften mich dafür schlachten, wenn ich das so laut und deutlich sage. Aber ich habe doch meine Unabhängigkeit. Ich werde auch mal vom DGB beauftragt.

Man sagt, daß die ÄrztInnen sich an den Gutachten dumm und dämlich verdienen und deshalb ...

Das ist richtig, daß ich dafür Geld kriege. Aber ich behandle auch Patienten gegen Geld und verdiene da zum Teil auch sehr gut dran. Das ist so. Ich mache aber nicht Gutachten, weil ich viel Geld dran verdiene, man ist dazu verpflichtet.

Das Geld bekommen Sie von den Berufsgenossenschaften, also sind Sie doch abhängig – und entscheiden möglicherweise so, wie es denen recht ist!

Aber die Berufsgenossenschaften sind auch von mir abhängig. Die haben ja nicht einen riesigen Pool von Gutachtern, aus dem sie auswählen könnten, sondern das sind im ganzen norddeutschen Raum nicht mehr als zehn Asbestose-Gutachter.

Wieso das denn?

Es gibt nicht mehr Leute, die davon Ahnung haben. Die Berufsgenossenschaften können sich also nicht erlauben zu sagen: Der ist zu großzügig, den nehmen wir nicht mehr. Natürlich hat jeder seinen Stil, es gibt schon Kollegen, die sind ein bißchen mehr oder weniger großzügiger – aber das bewegt sich immer nur im Bereich von zehn Prozent.

Das sind doch oft genau die entscheidenden zehn Prozent, die zur Entschädigung fehlen! Aber na gut: Sie sagen, die Berufsgenossenschaften sind auch von Ihnen abhängig, dann könnten Sie doch ordentlich Druck machen, daß jede Asbestose entschädigt wird!

Das tue ich auch! Ich sage, daß auch die psychischen Folgen, zum Beispiel eine Depression nach der Diagnose, entschädigt werden müßten.

Und wie kommt dieser Vorschlag an?

Es geht doch immer nur um eins: um Geld. Es gibt eine ganze Reihe von Sachbearbeitern und auch Vorständen bei den Berufsgenossenschaften, die als Menschen durchaus die grundsätzliche Entschädigung von Asbestose gut fänden. Aber das Geld! Bonn müßte mehr bewilligen!

Wieso denn Bonn? Die Berufsgenossenschaften bekommen ihr Geld doch von der Wirtschaft!

Die gesetzlichen Vorgaben müßten geändert werden, und das macht Bonn! Natürlich gibt es viele Pressure-groups, die dagegen sind, aber wenn sich die Gewerkschaften, und viele von denen sind doch auch in der Politik, für eine Änderung stark machen würden, wäre das easy.

Ich hab' den Eindruck, daß jeder, den ich befrage, den Schwarzen Peter weitergibt. Aber na gut, Sie sagen: Es sind die gesetzlichen Vorgaben, die Sie oft die Entschädigung ablehnen lassen.

Wir sind zumindest eingebunden in ein System, das sagt, wir sollen nur die Minderung der Erwerbsfähigkeit einschätzen. Daran müssen wir uns halten.

Aber es scheint doch auch innerhalb dieses Rahmens „Messung der Lungenfunktion“ einen Spielraum zu geben! Zumindest sagen die Gewerbeärzte, daß sie mit bestimmten Gutachtern nicht zusammenarbeiten wollen, weil die regelmäßig unter 20 Prozent messen.

Ja, die gibt es. Aber da gehöre ich nicht zu. Das sind die Kollegen, mit denen ich auch regelmäßig Streit habe. Das ist besonders ein bestimmter Gutachter, der arbeitet in einem berufsgenossenschaftlichen Institut, wo er deutlich mehr eingebunden ist als ich. Ich bin ja selbständiger Unternehmer.

Sie bezeichnen sich also als ganz unabhängig?

Man muß schon aufpassen, es gibt auch sanfte Zwänge. Aber wenn ich aufhören würde, wäre auch keinem gedient. Für so besonders schlimm halte ich mich nämlich nicht.

Fragen: Christine Holch