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Glück auf, Student im wilden Osten!

StudentInnen aus dem Westen finden ihr Studium an der „kleinen, aber feinen“ Bergakademie im sächsischen Freiberg effektiver und erfreulicher als das Studentendasein an überfüllten West-Unis  ■ Von Detlef Krell

Alexander von Humboldt hat hier studiert. Theodor Körner und Friedrich Leopold von Hardenberg, genannt Novalis. Wenn Bernhard Schrott daheim, in Regensburg, von seiner Uni erzählt, muß er einen Atlas aufschlagen. Freiberg? Kennt kein Mensch. Wo liegt Freiberg? Im Osten, in Sachsen, im Erzgebirge. Wo überlebende Bäume aussehen wie Gerippe. Wo Nußknacker geschnitzt werden, die echten. Und wo die Leute auf der Straße mit „Glück auf!“ grüßen.

1765 wurde in Freiberg die erste montanwissenschaftliche Universität der Welt gegründet. Schon 1500 war in der Silberstadt „Ein nützliches Bergbüchlein“ erschienen, das erste bergmännische Lehrbuch. Das Silber soll 1168 entdeckt worden sein, als „Leute von Halle Salz durch das Meißner Land nach Böhmen fuhren“ und „in den Räderspuren ein Stück Bleiglanz“ sahen, „das durch die Gießbäche aufgedeckt war“.

„Ich wollte etwas Extravagantes machen“, sagt der einundzwanzigjährige Bernhard Schrott in gepflegtem Bayerisch. Er entschied sich für Markscheidewesen und Geodäsie. „Jetzt erkläre ich immer erst, was ich studiere, und dann, wo ich studiere.“ „Im Osten?“ erschrecken wohlmeinende Freunde. „Sind die schon soweit?“ Bernhard pflegt dann zu erzählen, wie er in die falsche Fakultät gelaufen war, an seinem ersten Tag in Freiberg, und an einen Professor geriet, der sich mit ihm fünfzehn Minuten lang über das Markscheidewesen unterhielt. Aus dem Stand. „Bis ich merkte, der ist ja Chemiker. Er hat mich dann weitergewiesen. Aber ich war begeistert, daß sich ein Professor die Zeit nimmt, so lange mit einem Studenten zu reden.“

Der Wahlsachse kann gut vergleichen, er hat auch die Unis von München und Regensburg kennengelernt. „In München wollte ich nach der Vorlesung zum Professor, der hat mich gleich an sein Sekretariat verwiesen.“ Hier dagegen sei es normal, mit seinem Professor und den Assistenten abends beim Bier die Vorlesung zu verlängern. Zum Beispiel im Barbara- Keller, der alt ist wie die Uni und benannt nach der Schutzheiligen der Bergleute.

In Freiberg heißt es: Kurze Wege – lange Abende

„Ja, man kann hier ausgehen“, sagt Bernhard Schrott, der Regensburger, verständnisvoll. Stadttheater und Studentenkino, Kneipen wie die „Geologenschänke“, das alles liegt dicht beieinander. Von den Studis stammt das Wort: „Kurze Wege – lange Abende!“

Was ist und wozu gibt es das Markscheidewesen? Der Student gibt eine Definition, aber die ist zu trocken. Eine bergbauliche Disziplin, Vermessung unter Tage. Das ist zu einfach. „Ja, man muß nachfragen, das macht's spannend“, meint Bernhard. „Genau das, was ich gesucht habe.“ Wurzeln dieser „extravaganten“ Kunst reichen zurück bis in die Antike. Aus dem alten Ägypten um 1300 v. u. Z. ist eine geologisch-bergmännische Karte überliefert. Sie zeigt auf einem Papyrusblatt verschiedene Anlagen eines Goldbergwerkes. Seit dem 13. Jahrhundert wird hierzulande vom „Markscheiden“ gesprochen, womit das Vermessen (scheiden) und Aufzeichnen unterirdischer Räume für das Grubenwesen gemeint ist. Die Grenze (Mark) dieser Grubenfelder muß schließlich über Tage rechtlich fixiert werden.

Schon im 14. Jahrhundert wurde der Markscheider vereidigt, und 1536 bestimmte die sächsische Bergordnung: „Es soll sich auch nun hinfürder niemandt Marckscheidens unterstehen, er sey denn von unserem Hauptmann und Berkmaister zugelassen, die auch keinen zulassen sollen, er sey denn tüchtig und seiner Kunst fertig befunden, darzu sie auch gepürliche Pflicht tun sollen.“

1.915 StudentInnen, die einmal „ihrer Kunst fertig befunden“ werden wollen, sind heute an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg immatrikuliert, davon 145 aus den alten Bundesländern, 210 aus dem Ausland. Und sie lernen nicht bergsteigen. 347 Neulinge in den 15 Studienrichtungen, das sei zwar eine Steigerung um knapp 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr, doch es waren 638 Zulassungen ausgesprochen worden. Studienrichtungen, die „in“ sind, könne Freiberg nicht anbieten. „Hier studiert man Technik statt Jura oder Medizin“, sagt Pressesprecher Wolfgang Böhme, „der Bedarf an Absolventen von Geotechnik und Bergbau ist enorm.“

Nur müßte sich das erst noch herumsprechen bei den jungen Leuten. „Freiberg hat freie Studienplätze in allen Richtungen.“ Der Rektor Dietrich Stoyan setzt auf einen langen Atem und den guten Ruf: „In zwei traditionellen Freiberger Studiengängen ist die Situation nunmehr sehr ernst. Wir werden aber nicht in Panik verfallen, sondern unser Werbekonzept weiter ausbauen.“ Im Sommer tourte ein Info-Mobil der Bergakademie durch Erfurt, Eisenach, Fulda, Schweinfurt, Haßfurt und Bamberg, von Gymnasium zu Gymnasium. Die SchülerInnen sollten erfahren, daß die erzgebirgische Kleinstadt-Uni nicht nur Bergbau bietet, sondern auch Natur-, Technik- und Wirtschaftswissenschaften.

Und dies alles „unter sehr guten Bedingungen“, lobt der angehende Markscheider Schrott. Auch unter Tage habe er schon studiert, im Lehrschacht „Reiche Zeche“: „Das macht einen Heidenspaß da unten. An der Uni in Clausthal steigen die Studenten mit den Meßinstrumenten in einen Keller. Wir haben hier unser eigenes Lehrbergwerk.“ Freiberger Norm ist das Praxis-Semester in einem Betrieb.

Praxis im Lehrbergwerk gehört zum Studienalltag

„Anfangs“, erinnert sich Wolfgang Böhme, „waren die Konzerne gar nicht darauf vorbereitet.“ Die Uni habe den Managern „geduldig erläutert“, was diese Praktika bringen sollen. „Inzwischen sind die Angebote aus den Konzernen für ingenieurtechnische Praktika größer als unser Bedarf.“ Bernhard Schrott würde nach neun Semestern Studium „liebend gern“ auch die obligatorischen zwei Jahre Referendarszeit in Freiberg absolvieren. Kann aber auch sein, daß er ins Ruhrgebiet gerät. Und dann würde er doch das „Bayernland“ gern wiedersehen, „obwohl ich selbst Flexibilität predige“. Eines hält er für sicher: „Ich werde nach diesem Studium unterkommen!“ Doch der Regensburger weiß, daß er mit dem Freiberger Diplom auch ein „Imageproblem“ hat. „Solange man im Osten ist, das habe ich bei meinem Praktikum in Magdeburg kennengelernt, öffnet der Name Freiberg jede Tür. Da hieß es: Ach, ja, kennen Sie diesen und den Professor noch? Bei der Ruhrkohle aber steht man mit einem Abschluß aus Freiberg doch etwas verloren da. Dort sind eben die Wege nach München oder Aachen kürzer.“

Im Osten jedoch ist das Studium kürzer. „Bei uns“, wirbt PR-Chef Böhme für seine „kleine, aber feine“ Uni, „werden die Leute in ihrer Regelstudienzeit fertig.“ In Aachen, erinnert sich auch Schrott, „sitzt die Hälfte der StudentInnen aus dem Markscheidewesen zwischen dem 11. und 28. Semester drin.“ Sachsen war stur. Die „zentrale Stundenplanvorgabe“ sei gegen den Druck aus dem Westen, gegen den Vorwurf der „Verschulung“ durchgesetzt worden, berichtet Böhme. „Das ist doch keine Verschulung. Wir spannen den äußeren Rahmen, und die Studenten arbeiten ihre Fächer, die in der Studienordnung gefordert sind, ab. Da bleibt genug Freiraum, sich für oder gegen die eine oder andere Vorlesung zu entscheiden.“ Die „Seminargruppen“ seien aber leider „zerschlagen“ worden. Nun habe er in einer großen Tageszeitung gelesen, daß eine bayerische Universität ein Modellprojekt starte: „So, wie wir es hatten!“

Auf dem Uni-Tauschmarkt in den Anzeigenblättern hat Bernhard Schrott das Angebot „Freiberg“ noch nicht gelesen. „Es ist ja kein Problem, an diese Universität zu kommen. Aber wer einmal hier ist, will nicht mehr tauschen.“ Das bestätigen auch andere West-StudentInnen. Ulrich Klieboldt, der nach dem Vordiplom an der TH Clausthal-Zellerfeld zur Bergakademie gewechselt ist, lobt neben der preiswerten Studentenbude besonders, „daß die Fachprofessoren jeden Studenten kennen und mit Namen ansprechen“. Prüfungen werden so zu einer Art „Zwiegespräch“ zwischen alten Bekannten. Und: Freiberg könne „in relativ kurzer Zeit eine der schönsten Städte Deutschlands“ werden.

Die kleine Ost-Uni: effektiv und erholsam

Kai Salzmann aus Tuttlingen fand nach vier Semestern in Aachen an der Freiberger Bergakademie, und nur dort, das von ihm gewünschte Studium, eine Verbindung zwischen Betriebswirtschaftslehre und Technik. „Keiner kann sich verstecken“, meint er, „hier ist jeder gefordert.“ Jungunternehmerin Doris Deiser aus dem bayerischen Warzenried erlebt „familiäre“ Studienbedingungen. Professor La Vern Rippley vom St. Olaf College in Northfield, Minnesota, nennt Freiberg eine „Campus-Universität“, wie man sie sonst nur in den Vereinigten Staaten kennenlerne. Seine Idee ist der Studentenaustausch zwischen beiden Unis. Am St. Olaf College sind sechzigtausend StudentInnen eingeschrieben.

Bernhard Schrott wertet als seinen Vorteil, daß er sich als einer der ersten Weststudenten in Freiberg immatrikulierte. So kam der Bayer auf geradem Wege mit den Ost-Verhältnissen zurecht. „Wir haben uns gegenseitig unser Leben erzählt.“ Von späteren Semestern weiß er, daß dort Studiengruppen aus Ost und West, jede für sich, nebeneinander studieren. „Da steht noch die Mauer.“ Neulich habe sich ein Betriebswirtschaftsstudent aus Karlsruhe bitter bei ihm beklagt, weil er jetzt „8 Stunden und 55 Minuten“ mit dem Zug fahren müsse, um in die „ehemalige sowjetische Besatzungszone“ zu kommen. „Dem habe ich die Meinung gesagt. Ich lasse mir doch nicht meine Uni schlechtmachen!“ Andere wiederum sind neugierig auf „Klasse statt Masse“ im fernen Osten. Silvester feiert der Student mit Freunden aus Regensburg. In Freiberg, wie letztes Jahr.

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