Humanitäre Bedenken doch zweitrangig

■ Zollunion der EU mit der Türkei scheitert vorerst am Veto der Griechen

Brüssel (taz) – Ein paar hundert Kurden forderten gestern lautstark vor dem Charlemagne, dem Ratsgebäude der Europäischen Union, daß die EU die geplante Zollunion mit der Türkei platzen lassen solle. Ihre Protestgesänge waren auch im 14. Stock des Charlemagne noch gut zu hören, wo die zwölf Außenminister der EU über ihr Verhältnis zur Türkei nachdachten. Daß die Entscheidung über die Zollunion tatsächlich vertagt wurde, lag aber weder an den kurdischen Protesten, noch an humanitären Bedenken wegen der langjährigen Haftstrafen gegen kurdische Parlamentarier, sondern schlicht am Veto der griechischen Regierung. Athen blockiert wegen der Zypernfrage seit Jahren jede Annäherung der EU an die Türkei. Der Ministerrat wird deshalb in den nächsten Monaten erneut über einen Termin für den Beginn der Zollunion beraten.

Keiner der zwölf EU-Außenminister hätte den für den 1. Januar 1996 vorgesehenen Starttermin wegen der Menschenrechtsverletzungen scheitern lassen. Auch die mit großer Mehrheit vom Europaparlament verabschiedete Aufforderung, die Verhandlungen mit der Türkei zu unterbrechen, bis die inhaftierten kurdischen Abgeordneten freigelassen sind, hat die Außenminister nicht besonders beeindruckt. Luxemburg, das am Freitag noch Bedenken hatte, war gestern zur Zustimmung bereit.

Nach dem regulären Ministerrat fand deshalb gestern abend der Assoziationsrat der zwölf EU-Außenminister mit dem türkischen Kollegen Murat Karayalcin statt. Es galt aber von vorneherein als sicher, daß die nötige Einstimmigkeit für die Zollunion nicht erreicht würde. Griechenland geht es bei seinem Veto nicht um Menschenrechte. Solange türkische Militärs auf Zypern stehen, stimmt Athen gegen alles, was mit der Türkei zusammenhängt.

Übers Wochenende hatte Bundesaußenminister Kinkel als derzeitiger EU-Ratsvorsitzender seine Kollegen davon überzeugt, daß die Geschäfte nicht gestört werden dürften und ein „paralleles“ Vorgehen angeraten sei. Die Mehrheit der EU-Länder ist laut Kinkel davon überzeugt, daß gegenüber der Türkei „eine Balance zwischen Anprangern und Helfen gefunden werden müsse“. Einerseits solle die Zollunion, von der übrigens die heikle Landwirtschaft ausgenommen ist, auf den Weg gebracht werden, andererseits werde man die Menschrechtsprobleme bei den Verhandlungen angemessen ansprechen. Der Türkei müsse klargemacht werden, daß ihr Weg nach Europa „eine Zweibahnstraße“ sei. Das soll vermutlich heißen, daß Ankara Europa auf der Menschenrechsspur entgegenkommen müsse.

„Was die Menschendrechtsfragen angeht“, sagte auch Außenamtsstaatsminister Werner Hoyer gestern in Brüssel, werde sich die Europäische Union von niemandem übertreffen lassen, „die deutsche Ratspräsidentschaft schon gar nicht“. Ob die Proteste der EU bei den Verhandlungen schriftlich oder nur mündlich vorgebracht würden, konnte Hoyer aber auch nicht sagen.

Seit 30 Jahren bemüht sich die türkische Regierung um die Zollunion, drängt seit einiger Zeit sogar auf einen Beitritt zur Europäischen Union. Die türkische Regierungschefin Tansu Çiller ließ gestern aus Ankara wissen, daß die Türkei dennoch nicht bereit sei, wegen der Zollunion Zugeständnisse bei den Menschenrechten zu machen. Alois Berger