: Baumsärge und neue Medien
■ „Gemaltes Land“, eine Ausstellung über Kunst und Kultur der Aborigines
Am Anfang war die Erde flach und leer. Dann kamen die Schöpferwesen aus der Erde, zogen über Land und hinterließen ihre Spuren. Sie formten das Land und so ist es seitdem heilig. So denken die australischen Ureinwohner bis heute und es ist klar, daß sie damit gegen die europäischen Eroberer, deren Grundbücher und Bergbauingenieure nicht die geringste Chance hatten und haben. Wer vom Musikinstrument zum Sarg seine Gerätschaften von Termiten zurechtfressen läßt, keine Häuser baut und den nackten Körper bunt bemalt, konnte von der kolonialen Borniertheit nur verachtet und vernichtet werden. Die vielleicht vierzigtausend Jahre alte Kultur der Aborigines wurde bis in unser Jahrhundert nicht wahrgenommen oder galt zumindest als Weltrekord an Unterentwicklung. Erst seit kurzem haben sich diese Zeiten geändert, inzwischen sind Mythen und Kunst aus Australien geradezu Mode und während die Weißen ihre Weltsicht mit Crocodile-Dundee publikumsträchtig in Szene setzen, exportieren die Schwarzen ihre Musik und ihre Malerei.
Mit einigen Gebrauchsgegenständen, Figuren der Schöpfer-Ahnen und kleiner Geistwesen, den sogenannten „Mimmis“ sowie vor allem mit Malerei auf Baumrinde vermittelt die gestern Abend eröffnete Ausstellung Gemaltes Land – Kunst der Aborigines aus Arnhemland, Nordaustralien im Hamburgischen Museum für Völkerkunde zugleich Faszination und Hintergrundinformationen. In einer stilisierten Ausstellungslandschaft erzählen über dreihundert Objekte von einer so ganz anders gedachten Welt voller mythischer Bezüge.
Bei Eukalyptusduft und zu den Klängen des traditionellen Instruments Didgeridoo, dessen Zirkularblastechnik sonst in der ganzen Welt nur noch in Tibet traditionell üblich ist, wirbt eine lange verkannte Kultur um Verständnis. Die Aborigines erhielten erst 1967 das volle Bürgerrecht zugestanden und ihre Landrechte werden erst seit 1986 langsam im europäisch-justiziablen Sinne anerkannt, denn die eigene Art der Abgrenzung mit heiligen Objekten und stammestypischen Farben wurde bisher mißachtet.
Doch die Mißverständnisse sind noch lange nicht ausgeräumt. Es fängt schon damit an, daß es die Aborigines als ein einheitliches Volk gar nicht gibt. In zahllose Klans und Sprachgruppen aufgeteilt, teils traditionell, teils am Rande der Städte lebend, verlangen die Ureinwohner des fünften Kontinents eine mindestens so große Differenzierung wie die Völker der anderen Erdteile.
Wahrnehmung und Anerkennung als Teil der Weltgemeinschaft in den achtziger Jahren liefen vor allem über Kunst und Musik. Dabei beweist die Kultur eine politische Kraft, die sie bei uns schon weitgehend verloren hat, eben gerade weil sie sich als machtkonform und omnipräsent wähnt und gegen niemand behaupten muß. Ein Engländer wird nicht immer mit Shakespeare argumentieren, wenn CNN und Coca-Cola in der Nähe sind: doch für die indigenen Völker ist die Tradition der entscheidende Bezugspunkt. Bei allem ausdrücklichem Beharren auf der Tradition und der geheimen Weitergabe wichtiger Aspekte der eigenen Geschichte nutzen sie jedoch auch die neuen Medien: ein eigener Fernsehkanal verbindet die in dem weiten Land verstreut lebenden Familien. Einige Bänder dieser sehr speziellen Sendungen werden im nächsten Jahr in der Ausstellung zu sehen sein, wenn die Aborigin-Journalisten erst alle Rechte abgeklärt haben.
Denn mit den Rechten hat es eine besondere Bewandtnis. Gegenüber den schwarzen Künstlern werden oft die ganz gewöhnlichen Verpflichtungen aus dem Copyright nicht eingehalten, wie bei den geklauten Zeichnungen auf der australischen Ein-Dollar-Note und anderen Imitaten und Kopien. Dazu gibt es über diese weißen Vorschriften hinaus die Sitte bei den Aborigines, alle an einer Sache Beteiligten ausdrücklich um Zustimmung zu fragen, und so ein grunddemokratischer Prozeß kann dauern.
Bis dahin zeigt das TV-Gerät Photos von Land und Leuten. Es steht landestypisch tief auf dem Boden – auch die Malerei als älteres Medium der Kommunikation wurde auf dem Boden ausgeführt. Unter den begleitenden Musikkonserven findet sich auch die Gruppe Yothu Yindi aus Arnhemland mit einer Verbindung von traditionellen Klängen mit weißem Mainstream-Rock, die schon einige Male live in Hamburg zu hören war.
Gleich ob Forscher die Beforschten zur Übertragung alter Felsmalerei auf Rinde oder Papier anregen, die traditionellen bemalten „Baumsärge“ zur Zweitbestattung der Knochen unter den weißen Hygienevorschriften zu reinen Erinnerungsstelen werden, die neue Musik in Europa Aborigines-Töne verwendet oder die Australier inzwischen Bindemittel auf PVC-Basis für ihre Farben verwenden, Authentizität bemißt sich in Zeiten des Austauschs nicht mehr an irgendwelchen dogmatischen Purismen. Um so schwieriger wird die Abgrenzung zu reiner Marktware und zum Begriff „Kunst“. Die Aborigines haben in der Staffelung der Sinnschichten am selben Objekt, von direkt sichtbar, bis zu erst in jahrerlanger Einweihung erschließbar, eine Lösung gefunden. Und an der hiesigen, endlosen Frage, was denn die Kunst sei, werden ab 27.Januar weitere Ausstellungen arbeiten: dann wird parallel Bemalte Häuser/Bemalte Körper – Frauenkunst aus West-Afrika gezeigt und in einem zusätzlichen „Theorie-Dschungel“ der europäische Kunstbegriff weiter verwirrt. Hajo Schiff
Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, bis 28. Mai, Heiligabend, Silvester und Neujahr geschlossen, Montag, 26.12. geöffnet, Katalog 45 Mark
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