Offene Plätze und freistehende Hochhäuser

■ Der Kölner Architekt Oswald Mathias Ungers gewinnt den Bauwettbewerb „Stadtquartier Lehrter Bahnhof“ / Humboldthafen wird nicht mehr dicht umbaut

Auch Oswald Mathias Ungers kann in Berlin Bauwettbewerbe gewinnen. Nach vier erfolglos verlaufenen Konkurrenzen darf der Architekt das künftige Bahnhofsviertel am Lehrter Zentralbahnhof bauen. Die fünfzehnköpfige Jury unter dem Vorsitz des Frankfurter Stadtplaners Albert Speer Jr. empfahl am Dienstag abend, das brachliegende Gelände zwischen dem Humboldthafen, der Invalidenstraße und dem Spreebogen mit turmhohen Hotels, Büroblöcken und langen Wohnriegeln nach den Entwürfen des kantigen Kölners zu entwickeln. Ungers baut in Berlin derzeit den „Block 205“ in der Friedrichstraße und das Gerichtsgebäude am Halleschen Ufer. Bei den Bauwettbewerben Potsdamer Platz und auf der Spreeinsel war er leer ausgegangen.

Einen Wermutstropfen allerdings muß Ungers selbst am Lehrter Bahnhof schlucken. Die Wohnbebauung nördlich der Invalidenstraße wird nach den Plänen des Berliner Architekten Max Dudler realisiert, dessen Konzept dem Preisgericht sowie dem Investor, der Bahn AG, besser gefiel als das von Ungers. In der Mitte des 30 Hektar großen Areals soll ab 1995 der rund 500 Millionen Mark teure unterirdische Kreuzungsbahnhof des Hamburger Büros von Gerkan, Marg und Partner entstehen.

Ungers und Dudler konnten sich erst in der zweiten Stufe des „Städtebaulichen Wettbewerbs Stadtquartier am Lehrter Bahnhof“, den der amerikanische Projektentwickler Tishman Speyer Properties im Auftrag der Bahn AG ausgelobt hatte, gegen die beiden Mitbewerber Christoph Ingenhoven (Düsseldorf) und Holger Nettbaum (Berlin) durchsetzen.

Im Oktober waren die vier Teams in einem Feld mit vierzehn eingeladenen Architekten nach der ersten Wettbewerbsphase in die Endrunde gekommen. Damals wollte sich die Jury für keinen Siegerentwurf entscheiden und schickte die vier Erstplazierten in Überarbeitungsklausur. Ingenhoven hatte damals einen gläsernen Tower am Humboldthafen vorgelegt, Nettbaum flankierte den Bahnhof ebenfalls mit einem Hochhaus, und Max Dudler entwarf eine Kette uniformer Turmhäuser entlang der Invalidenstraße.

Ungers hat seinen ersten Entwurf ebenfalls verändert. Statt der dichten, fast klaustrophoben Umbauung des Humboldthafens mit einer 25 Meter hohen Häuserwand entsteht nun an der westlichen Uferseite ein langer Hotel- und Wohnriegel, während die östliche Hafenseite offen bleibt. Südlich und nördlich des freigestellten Bahnhofs plant Ungers zwei Hochhaussolitäre: eine 100 Meter hohe Scheibe an der Invalidenstraße und einen rund 50 Meter hohen Hotelklotz am Spreebogen.

Erst westlich der recht zugig wirkenden Bahnhofsvorplätze mit ein paar wenigen Autostellplätzen nimmt Ungers mit sechs siebengeschossigen Wohnblöcken die einstige Blockstruktur von Axel Schultes Spreebogenentwurf baulich wieder auf. Nördlich dieses dreigeteilten Feldes – oberhalb der Invalidenstraße – schließen sich die Wohnblocks Max Dudlers an. Von den insgesamt fast 300.000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche sind über die Hälfte für Büros und dreißig Prozent für Wohnungen reserviert. Ursprünglich hatte die Bahn weit mehr rentable Büro- und Gewerbeflächen gefordert. Das Projekt soll bis 2010 realisiert werden. Rolf Lautenschläger