■ Alles, was zu erwarten ist
: Nach Bihać

Man hat den Eindruck, daß den Weltdiplomaten ein Stein vom Herzen gefallen ist, nachdem jetzt offen zugegeben werden darf, daß die Serben in Bosnien (und Umgebung) gesiegt haben. So als wäre man die Hauptlast los! Allerdings hätte man diese Klarheit der Dinge auch vor zwei Jahren – zum Zeitpunkt des ersten Teilungsplanes etwa, den Vance und Owen ausgeheckt hatten – haben können, der den bosnischen Serben schmalere territoriale Zugeständnisse einräumte, aber auch weniger Rückgaben abverlangte und ebenso von ihnen zurückgewiesen wurde wie alle späteren Lösungen auf dem Papier. Das, was der amerikanische Verteidigungsminister Perry den Sieg der Serben nennt, heißt nämlich auch: daß man keinen Plan zu Bosnien-Herzegowina durchsetzen kann, der nicht deckungsgleich mit serbischen Forderungen ist. Das wäre noch klarer ausgedrückt, ließe aber die Frage aufkommen, warum man diese Pläne nicht durchsetzen kann, und womöglich eine weitere, nämlich nach den Folgen des Nachgebens.

Auch die meisten der wackeren Freunde Bosniens haben jetzt den Fall resigniert aufgegeben. Das Wort Izetbegovićs, daß man nicht von außen wie ein Schiedsrichter das Spiel für beendet erklären könne, hat allerdings seine Richtigkeit. Nichts ist beendet, weder der Krieg in Bosnien noch die unter den Teppich gekehrten Zwistigkeiten zwischen den westlichen Bündnispartnern untereinander sowie denen mit Rußland. Nur eine Halbzeitpause ist zu Ende. Der letzte Teilungsplan der sogenannten Kontaktgruppe wurde nämlich bosnischen Kroaten, Moslems und Serben nach dem Prinzip „take it or leave it“ angeboten und erkannte als serbisch 8 Prozent Territorium mehr, aber immer noch 20 Prozent weniger an, als sie aktuell erobert halten. Nun hat sich die Kontaktgruppe, nachdem die Serben sich hartnäckig geweigert hatten, ihr Prinzip zu akzeptieren, selbst von ihm verabschiedet. Die zweite Halbzeit des Spiels „Verhandeln + Erobern“ kann beginnen. Der amerikanische Kolumnist Charles Krauthammer, ein Mann mit Sinn für serbisch statuierte Realitäten, tippt auf einen Friedensschluß, bei dem die Serben „70 Prozent and more“ bekommen werden (Time, 12.12.).

Mit den Ansprüchen des Schlächters von Pale verhält es sich nämlich wie mit jener berühmten „schlechten Ewigkeit“ aus der spekulativen Philosophie Hegels: man kann unmöglich angeben, wo sie enden. Sollte der Korridor bei Brčko in Nordostbosnien wunschgemäß verbreitert werden, wird die Eliminierung der ostbosnischen Enklaven Goražde, Srebrenica und Žepa als unvermeidlich erscheinen, dann das endgültige Arrondieren der Bihać-Enklave und irgendwann wird dann – logisch – einleuchten müssen, daß sein serbisches Reich unmöglich ohne eine gehörige Portion Küste in Dalmatien überleben kann.

Dieses Überbieten mit immer neuen Forderungen hat allerdings nicht nur mit der Unersättlichkeit Karadžićs zu tun. Was diese Situation mit ihren Zwangsläufigkeiten möglich macht, ist auch der Handlungsunwille der westlichen politischen Entscheidungsträger. Eine Politik, die den dringenden „Handlungsbedarf“ nicht erkennt, verdient den Namen nicht. Wir leben in einem weltgeschichtlichen Moment, wo man ausrufen möchte: Steuerzahler aller Länder, vereinigt euch! Verlangt Rechenschaft! Mit dem teuren Geld eurer Arbeit wird eine Truppe bezahlt, die ihren Beruf verfehlt hat und die, gebeugt über Institutionen, Instrumente, Mechanismen und Werkzeuge, die zum Handeln da sind, in hamletscher Manier über die komplexen Folgen des Lebens sinniert.

In westlichen Medien kann man zuweilen Erklärungen lesen, die die absurde Mischung aus Aktionismus und Handlungsunwillen der Spitzenpolitiker aus unlösbaren Verquickungen, komplexen Zwängen und verfahrenen Unwägbarkeiten rechtfertigen wollen – Typus: Robert Leicht von der Zeit. Die bloße Idee, das Nichthandeln durch die Verfahrenheit der politischen Situation rechtfertigen zu wollen, ist in sich widersinnig. Man müßte dann das Ende der Politik ausrufen. Die Unfähigkeit zu handeln hängt nicht von der Qualität der Situation ab, sondern vom politischen (Un-)Willen, eine Lösung für sie herbeizuführen. Der Stoff, aus dem die Politik besteht, ist die Gegebenheit von Handlungsspielräumen. Der Politiker ist jemand, der sie erkennt und die Chancen ergreift.

Wer dies nicht glaubt, den könnte ein kurzer Blick auf die zurückliegende politische Praxis des Serbenführers Milošević rasch überzeugen. Seine politischen Erfolge sind nicht durch Zauberei und Schwarze Magie entstanden, sondern durch Handeln, Erkennen von Spielräumen und Ergreifen von sich bietenden Chancen. Wer vereiteln will, daß er seine Ziele – ein durch Gewalt und Vernichtung anderer Republiken und Völker vergrößertes Serbien und eine militärisch-politische Dominanz des terroristischen serbischen Staates auf dem Balkan – erreicht, muß sich ihm im gleichen Medium des politischen Handelns widersetzen. In einem solchen Zusammenhang der Handlungen, und nur in ihm, sind dann auch die militärischen Gegenmaßnahmen sinnvoll, wenn sie denn unausweichlich geworden sind. Ihren Lippenbekenntnissen zufolge wollten die westlichen Mächte dieses Projekt verhindern. Es ist aber offensichtlich nicht so, daß man dies nicht gekonnt, sondern daß man es eigentlich nicht gewollt hat.

Im Bereich des politischen Handelns verhält es sich so, daß man einerseits Chancen – sogar immer wieder – verspielen kann, andererseits ein Handeln immer auch möglich ist und darüber hinaus irgendwann unumgänglich wird. Zuletzt wurde eine solche Option verspielt, als man (das heißt die Amerikaner) die Pläne der kroatischen Armee, einen Durchbruch durch das serbisch besetzte Gebiet nach Bihać zu schaffen, zurückgewiesen hat, anstatt sie zu unterstützen. Auf das Handeln zu verzichten heißt, andere handeln zu lassen. Das entspricht der Konzeption der beiden europäischen Mächte England und Frankreich, die sich neben Rußland am meisten in den Krieg für Großserbien einmischen. Ihre politischen Eliten denken in Kategorien der Rasse- und Völkerhierarchien und sind deshalb nicht imstande, geschichtliche Änderungen zu erkennen. Sie setzen auf die Serben, weil sie meinen, daß der serbische Sieg Befriedung für die Region bringt, auch wenn sie von der gleichen menschenverachtenden Qualität sein sollte wie nach 1918, als sie der Gründung des terroristischen serbischen Jugo-Staates Pate gestanden hatten.

Sie liegen falsch. Die nichtserbischen Völker des ehemaligen föderativen Jugoslawien sind nicht die gleichen wie jene vor 70 Jahren. Den serbischen Frieden nach dem Gusto von London und Paris wird es nicht geben. Dunja Melćić

Publizistin, lebt in Frankfurt/Main