Generationsspaltendste Musik

■ Kann Herbert Grönemeyer doch tanzen? Seit dem Erscheinen einer CD mit Techno- und Trance-Remixes seiner Stücke muß die Frage neu gestellt werden. Grönemeyer himself über sich, Techno und seinen neuen Wohnort..

taz: Herr Grönemeyer, Sie sind gerade nach Berlin gezogen, hat es Ihnen in Köln nicht mehr gefallen?

Herbert Grönemeyer: Ich hab 14 Jahre in Köln gewohnt, und wenn man nicht weg will aus Deutschland, kann man nur nach Berlin.

Was ist es denn, was man hier mitkriegen kann?

Das muß sich natürlich erst zeigen, ich denke aber schon das Aufeinanderprallen von zwei Rhythmen, zwei Kulturen auch. Ich hab '83 mal ein halbes Jahr in der DDR gedreht, da hab ich viel über mein eigenes Deutschsein gelernt. Es ist doch so: In Köln kriegt man nichts mit, da dreht man sich um sich selber, hat das Gefühl, man ist saturiert. Gut, da gibt's ein Medienzentrum, das besteht aber nur aus RTL, WDR, Viva und Plattenfirmen und und und. Also ich denke, wenn es überhaupt was gibt, was mitzukriegen sich lohnt, ist es eben diese Öffnung zum Osten. Ich bin ja auch immer so knapp an der Geschichte vorbeigerannt, gehör nicht zu den Endsechzigern, meine Brüder waren das eher, ich war dafür noch knapp zu jung.

Nun ist Zehlendorf ja nicht Berlin. Wim Wenders wohnt am Oranienplatz, Udo Lindenberg war immer stolz auf seine Suite im Interconti.

Ich bin halt da hingezogen, wo ich was Nettes gefunden hab. Wim Wenders hab ich neulich getroffen, und er hat mir erzählt, wo er wohnt, aber ich wollte mir nicht gleich den Mythos geben, mich den Kreuzbergern aufzudrängen, von wegen dufte und so.

Denkt man an Zeilen zurück wie „Bochum, ich komm aus dir, Bochum, ich häng an dir“, waren Sie ja immer mehr so etwas wie der Bruce Springsteen der strukturschwachen Provinz. Wollen Sie weg vom Currywurst-Image?

Was heißt hier Currywurst- Image? Das sind immer mehr Dinge von außen. Okay, da gibt es die „Currywurst“, das Stück stammt aber nicht von mir, und dann eben dieses Lied „Bochum“. Aber ich habe mich nicht zum Barden des Kohlenpotts hochstilisiert. Ich bin nicht der Jürgen von Manger oder die Elke Heidenreich des Ruhrgebiets. Als ich „Bochum“ geschrieben hab, war ich schon in Köln – isch könnt jetz jenausojut auf kölsch 'ne Karnevals... das ist doch Quatsch.

Gerade ist diese Platte erschienen mit Techno- und Ambient-Remixes einiger Stücke von Ihnen. Muß man damit rechnen, daß Sie demnächst mit Ziegenbart und Adidas-Streifen aufkreuzen?

Also erstmal: Ich hab das nicht produziert, meine Musik ist nur die Grundlage. Aber ich steh auf House und Techno. Dann gab es immer Remixe, der erste House- Mix war von meiner LP „Luxus“, es gibt sogar einen Remix von „Männer“. Das ist mal was ganz anderes: Man wird von außen betrachtet, man schickt seine Musik nochmal durch ein anderes Gehirn. Das entschlackt, man sieht sich selber nicht mehr so verbissen. Es ist für mich interessant, was so mit meinen Stücken passiert. Ich bin sicherlich kein House-Mann, aber die Einflüsse von Maschinen, Loops und Grooves hab ich auch – wenn auch nicht in einer Form, die so offen zutage liegt. Für das Projekt, von dem Sie reden, hab ich die Plattenfirma gebeten, etwa Alex Christensen von U96 anzusprechen. Nach und nach kam dann von ihm und von anderen etwas zusammen, das war nicht in dem Sinn geplant, manche Remixe waren auch grausam. Man hätte die CD vielleicht nicht unter „Grönemeyer“ lancieren sollen, sondern unter dem Namen der Remixer.

Wollen Sie Teil einer Jugendbewegung sein?

Nö. Ich versuch nur wahrzunehmen, was um mich rum passiert. Ich schreib aus meiner Position und meiner Sicht und stell das zur Debatte. Ich seh das nicht so gruppenspezifisch, schreib weder für die Ostfriesennerze und Parkabrüder noch für die Techno-Leute.

Im Pressetext steht, die Platte wäre „als ein Werk zu werten, mit dem der Künstler eine sich immer rasanter verändernde Musikwelt reflektiert“. Grönemeyer als Anchorman der Medienentwicklung?

Also so ist der Satz Unsinn, Plattenfirmengequatsche. Es ist ja nicht meine Platte, das wäre Etikettenschwindel...

Aber wenn man zusammennimmt, daß Sie als einer der ersten hierzulande eine CD-ROM gemacht haben, daß Sie ein Unplugged-Konzert für MTV gegeben haben, und jetzt noch diese Techno- Remix-CD – da ensteht schon der Eindruck, daß ein Umbau des Modells Grönemeyer stattfindet: Weg vom Regionalisten hin zu jemand, der die Provinz internationalisiert und im MTV-Zeitalter für die deutsche Klangfarbe im großen

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Potpourri sorgt.

Ich weiß nicht... ich seh das alles mehr als persönliche Weiterentwicklung. Schon mit meiner vorletzten CD war ein Zustand erreicht, wo ich mich fragen mußte, wie es für mich in einer Zeit des allgemeinen Aufweichens interessant bleibt. Die Musiklandschaft verändert sich in einem solchen Tempo, daß man als Künstler schon überprüfen muß: Wo stehe ich eigentlich? Was finde ich spannend, was interessiert mich – auch für mich als Musiker? Um sich dann nicht in fünf Jahren sagen zu müssen: Mensch, damals, 1994, warst du ja vollkommen bescheuert. Eine Platte wie „Luxus“ ...gut, sie ist für mich in Ordnung, aber musikalisch eben nicht so... interessant. Erst „Chaos“ war dann nicht mehr die CD, die zu dem paßt, was man von Grönemeyer erwartet hat. So laß ich die Sachen eben einfließen.

„Chaos“ als produktives Chaos und höhere Ordnung: Laß uns ein Mandelbrotbäumchen pflanzen?

Nee nee nee nee nee! Das klingt mir jetzt zu sehr nach Rückzug! Ich leb ja nicht nur im Studio oder den eigenen vier Wänden, sondern mach die Augen auf. Die Strukturen brechen, das merkt man ja an allem. Ob die Medien hysterisch werden, ob der Spiegel rotiert, alles auf Focus starrt, auch die Parteien lösen sich auf, da geht's drunter und drüber. Machen's die Grünen jetzt mit der CDU? Und macht man in diesem Ringelreihen mit? Oder macht man eine Zäsur, riskiert, was zu machen, was völlig danebengeht. Und zur CD-ROM: Die CD war bislang ein Wegwerfprodukt, unsinnlich, überteuert, künstlich hochgehalten im Preis. Wenn man alle Möglichkeiten ausschöpft – Zusatzinformationen, eingespielte Videos, alles, was die CD-ROM so kann –, schafft man es vielleicht, dem Datenträger eine Sinnlichkeit zu geben.

Alex Christensen, einer der Remixer, hat gesagt: „Herbert Grönemeyer ist eine deutsche Ikone, für ihn muß man einfach einmal gemixt haben.“ Sind Sie das – eine deutsche Ikone?

Oh Gott, Ikone. Das klingt ja wie ne Holzpuppe, die irgendwo steht. Oder ein Buddha... Will ich eigentlich nicht sein...

Vielleicht hat es was mit dem deutschen Leutnant zu tun, den Sie in „Das Boot“ gespielt haben. Es muß ja kein Zufall sein, daß Christensen Projekt U96 mit einem Remix der Filmmelodie seinen größten Erfolg hatte.

Also das ist nun... wirklich sehr weit hergeholt. Mit Leutnants und Ikonen hat das alles nichts zu tun. Aber was sich an der Techno- und House-Szene generell zeigt: Das ist die generationsspaltendste Musik, die existiert. Techno stürzt viele in eine Generationskrise. An Freunden und Bekannten merkt man, daß die nun gar nichts damit anfangen können, da denken die sich: Scheiße, ich bin doch mit Rock 'n' Roll großgeworden, ich hätte nie gedacht, daß ich mit Musik mal ein Problem kriegen würde! So nach dem Motto: Wir doch nicht, die wir das alles erlebt haben! Und jetzt stehen sie fast noch schlimmer da als ihre eigenen Eltern, weil sie gar nicht mehr durchblicken. Das Faszinierende an der Techno- und House-Szene ist aber, daß sie das wiederbelebt, was wir vom Rock 'n' Roll kannten: Jeder kann's machen. Da passiert die neue Musik. Überhaupt, wenn man mal in Techno-Läden geht, auch bei den Love Parades, find ich beeindruckend, wie entspannt die Leute sind.

„Friede, Freude, Eierkuchen“ war hier im letzten Jahr bei der Love Parade das Motto.

Nee nee nee, ich meine was anderes – das Selbstbewußtsein. Ich selber hab ja an meinen Texten noch sehr gekaut, gehör in die leicht verspannten Endausläufer der Frage mit rein „Singt man deutsch, wie macht man das?“. Jetzt ist da ein Selbstverständnis entstanden, wie man viel entspannter mit Sprache umgeht. Nimm meinetwegen Megavier... oder auch außerhalb der Dance-Szene: Blumfeld, Auge Gottes, Die Sterne, Bernd Begemann, Flowerpornoes. Für dieses Selbstverständnis hab ich, glaub ich, auch was getan.

Sie waren, neben Marusha und Jam & Spoon, als einziger deutscher Act bei der Verleihung der MTV Awards dabei. Hat es Ihnen da gefallen?

Marusha find ich klasse, die ist unheimlich nett. Was ich unangenehm fand, war dieses Riesenzelt mit der rotierenden Leuchtreklame drauf. Das fand ich etwas sehr... offensiv. Ansonsten war das eben eine Fete. Ich wußte, was auf mich zukommt, man rennt da nicht hin und denkt juchhu, juchhu.

Ich hab Sie im Sommer beim Abschlußkonzert ihrer Tour in der Waldbühne gesehen. Volksfeststimmung, alles ist begeistert und wartet auf „Flugzeuge im Bauch“, dann kommt der Song als Zugabe, Sie sitzen am Flügel, die Sonne geht unter, ein pathetischer Moment, und über Ihnen geht genau in dieser Sekunde der künstliche Sternenhimmel auf. Da denkt man: So ist Kulturindustrie.

Ich find den Vorhang wunderbar. Es war nur Zufall, daß er an der Stelle anging. Normalerweise in der Halle geschieht das schon bei „Land unter“. Die „Chaos“- Produktion war ja für Hallen konzipiert, die Projektionen und Dias konnten wir draußen gar nicht zeigen, aber wir haben gesagt, Teile davon nehmen wir trotzdem mit, wenn's dunkel wird, können wir wenigstens unseren sündhaft teuren Sternenhimmel anmachen. Sonst versuchen wir ja, die Kosten für unsere Tour im Rahmen zu halten, aber ich komm vom Theater, und wenn ich jemand hätte, also ich würde den eine ganze Bühne machen lassen, jedes Stück einzeln ausgeleuchtet, den Spaß hätt ich schon. Und wenn man schon mal so einen Sternenhimmel hat mit 3.000 Birnchen, dann muß der selbstverständlich mit, so lange es geht. Und noch was: Bei der Waldbühne muß man immer pünktlich um um halb elf aufhören, wenn man nur eine Minute drüber ist, muß man 20.000 Mark Strafe zahlen. Das fällt mir zu Berlin auch immer ein. Interview: Thomas Groß

Alex Christensen, Tony Catania, Felix J. Gauder u.a.: „Herbert Grönemeyer – Cosmic Chaos“ (EMI).