„Trostmeisjes“ und Poncke Prinzen

Die Niederlande empören sich über niedrige Entschädigung für Kriegsopfer, aber über ein Visum für einen ehemaligen Deserteur wird debattiert / Veteranen drohen mit Mord  ■ Aus Amsterdam Mike te Roll

Der Zweite Weltkrieg und die eigene Kolonialvergangenheit im heutigen Indonesien holen die Niederlande ein. Zwei öffentliche Debatten zeigen dabei, wie stark immer noch Doppelmoral im Spiel ist.

Empörung rührte sich über die in den Niederlanden als zu geringfügig empfundene Entschädigung für die „Trostmeisjes“. Den über 200.000 Frauen aus China, Indonesien, Korea, den Philippinen und den Niederlanden, die während des Zweiten Weltkrieges zwangsweise als Prostituierte für die japanische Armee arbeiten mußten, will die japanische Regierung nun eine Entschädigung zusprechen. Da die japanische Regierung für alle damals betroffenen Frauen zusammen jedoch nicht mehr als 7,8 Millionen Mark ausgeben will, ist nicht mehr als ein symbolischer Schadensersatz drin. Die in Japan genannte Summe von etwa 31.500 Mark für die heute noch lebenden Frauen bezeichneten die niederländischen Zeitungen zu recht als lächerlich.

Im Fall Poncke Prinzen allerdings reagiert man weniger mitfühlend mit den Kriegsopfern. Der heute 69jährige Prinzen war 1948 als Soldat der niederländischen Kolonialarmee nicht bereit, im damaligen Niederländisch-Indien „die Ordnung wiederherzustellen“. Kaum war der Zweite Weltkrieg zu Ende und die Japaner wieder von den zahlreichen Inseln vertrieben, machte sich die niederländische Armee auf, den Aufständischen nochmals die koloniale Ordnung aufzuzwingen. Die Armee der Holländer war ein eigentümliches Gemisch aus Opfern, Tätern und scheinbar Unbeteiligten des Zweiten Weltkrieges. Poncke Prinzen, ab 1947 auf West-Java Soldat, wollte nicht mitmachen und desertierte 1948, um zur indonesischen Armee zu wechseln.

Nunmehr hat der als Menschenrechtsaktivist bekannte Prinzen ein Visum für die Niederlande beantragt, um über die Weihnachtsfeiertage seine Familie zu besuchen. Im niederländischen Parlament kam es zu einer tumultartigen Debatte, weil Außenminister Hans van Mierlo von der linksliberalen D'66 das getan hatte, was sein Vorgänger 1993 noch strikt verweigert hatte: Poncke Prinzen bekam ein Visum ausgestellt.

In der Debatte leistete sich die als „rechtsliberal“ eingestufte Regierungspartei VVD eine glatte Kehrtwendung. Hatte die VVD zunächst der Visumerteilung zugestimmt, zog sie ihre Einwilligung Ende der Woche unter dem Druck wütender Veteranen-Verbände zurück. Die abenteuerliche Begründung der VVD für ihr Wendehalsmanöver: Poncke Prinzen habe einer niederländischen Zeitung ein umstrittenes Interview gegeben, hätte aber besser die „snauter“ – die Schnauze – halten sollen. Neben der VVD wandten sich bei der Debatte auch die Christdemokraten, drei streng religiöse Calvinistenparteien sowie die beiden Seniorenparteien gegen die Visumerteilung. Die Verbände der Indonesien-Veteranen kündigten an, daß sie Prinzen, der heute in Amsterdam eintrifft „ermorden oder entführen“ werden. Die Drohung der Veteranen ist ernst zu nehmen, haben sie ihr Handwerk doch bei den zahlreichen Strafexpeditionen gegen unbotmäßige Indonesier gelernt.

Aber es gibt auch Unterstützung für Poncke Prinzen: „Rumah Kita“ – Unser Haus, eine Gruppe von über 800 Indonesiern, die in den Niederlanden Asyl gefunden haben – will den „Deserteur“ demonstrativ begrüßen. Die indonesischen Bürgerrechtler arbeiten eng mit der von Poncke Prinzen in Indonesien initiierten Menschenrechtsorganisation „Infight“ zusammen. Ein Rumah-Kita-Sprecher äußerte, er wünsche sich eine offene Debatte über den Kolonialkrieg mit den Indonesien-Veteranen. Die aber würden „immer noch hysterisch“ über diese Jahre reden. Noch immer führen zahlreiche Niederländer in Veteranenmanier nach Indonesien. Sogar die Gräber der niederländischen Toten würden dort gepflegt. „Sie haben wohl vergessen, wie viele unserer Landsleute sie umgebracht haben. Und heute betragen sie sich inhuman gegenüber dem einzigen, der damals die richtige Seite gewählt hat“, sagte der Sprecher.

Die Menschenrechtler lassen sich nicht den Mund verbieten. Immerhin gibt es kein Gesetz, das besagt, daß ein Holländer mit indonesischem Paß nur dann ein Visum bekommt, wenn er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Gebrauch macht. Mittlerweile bemüht sich sogar ein Komitee, zu dem unter amderem auch der Schiftsteller Harry Mulisch gehört, um finanzielle und moralische Unterstützung für den offensichtlich kranken Poncke Prinzen.

Umstritten bleibt, was Poncke Prinzen auf seiten der indonesischen Armee getan hat. Während er mehrmals beteuerte, keinen niederländischen Soldaten getötet zu haben, will die auf Emotionen setzende Boulevardzeitung de Telegraaf Beweise dafür haben, daß Prinzen mindestens zehn niederländische Soldaten getötet hat. Derlei Taten sind so oder so längst verjährt.