PDS – Partei der Staatsdiener und Skeptiker

■ Wähleranalyse attestiert der PDS „durchaus realistische Überlebenschancen“

Berlin (taz) – 1990 schien alles klar: Nur das Verfassungsgerichtsurteil, das für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl die Fünfprozentklausel in zwei getrennten Wahlgebieten für zulässig erklärte, gewährte der PDS die bundespolitische Gnadenfrist. Doch auch vier Jahre später schaffte sie, diesmal mit vier Direktmandaten und 4,4 Prozent, den Einzug ins Parlament. Zwar kommt die Partei im Westen nach wie vor nicht über den Status einer Splitterpartei hinaus, doch mit stabilen Stimmanteilen um die zwanzig Prozent im Osten hat sie sich zumindest dort als regional bedeutsamer politischer Faktor etabliert.

Die beiden Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter und Markus Klein haben jetzt in einer umfangreichen Studie die Bundestagswahlergebnisse 1990 und 1994 der PDS ausgewertet. Unter Berücksichtigung empirischer Erhebungen der Institute Basic Research und Forsa prognostizieren die Wissenschaftler „durchaus realistische Überlebenschancen der Partei“. Siebzig Prozent der PDS- Wähler in den neuen Ländern bezeichneten sich im Herbst 1994 als „längerfristige Anhänger“, immerhin 35 Prozent sehen sich „stark oder sehr stark mit der PDS verbunden“. Nur die CDU erreicht unter ihren Wählern im Osten, so Falter/Klein, einen ähnlich hohen Anteil an längerfristigen Anhängern. Auf die Existenz einer PDS- Stammklientel deutet auch hin, daß über 80 Prozent der PDS- Wähler von 1990 auch diesmal ihr Kreuz wieder bei der PDS machten.

Obwohl die PDS bei den Wählern im Westen sehr viel schlechter abschneidet, erbringt die Ergebnisanalyse auf Wahlkreisebene in West und Ost einige Parallelen. So erzielt die PDS in Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte und stark vertretenem Dienstleistungssektor überdurchschnittliche Ergebnisse. Unterdurchschnittlich schneidet die Partei hingegen in ländlichen Regionen mit einem hohen Erwerbstätigenanteil in Landwirtschaft oder produzierendem Gewerbe ab. Eine deutliche West- Ost-Diskrepanz fördert die Studie für den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und PDS-Ergebnis zutage: Während die PDS im Osten überall dort schwach abschneidet, wo die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich hoch ist, verhält es sich im Westen umgekehrt.

Und wie schneidet die PDS bei den verschiedenen Geschlechtern ab? Im Osten findet die PDS in etwa gleich viele Wähler und Wählerinnen, im Westen geben mehr Männer der Partei ihre Stimme. Die Altersverteilung ist in West und Ost ähnlich: „Bei den Wählern über 60 ist die Partei klar unter-, bei den Wählern unter 45 hingegen klar überrepräsentiert“, konstatieren die beiden Wissenschaftler. Bei den unter 45jährigen im Osten erreichte die PDS 1994 rund 25 Prozent.

Bei der Berufsanalyse der PDS- Wähler erbringt die Studie deutliche West-Ost-Unterschiede. Im Osten erzielt die Partei ihre größten Erfolge bei Angestellten und Beamten. Immerhin jeder dritte Staatsdiener, der am 16. Oktober zur Wahl ging, unterstützte die PDS. „Mann kann mit einiger Berechtigung vermuten“, so Falter/ Klein, „daß es sich bei diesen Berufsgruppen um die Privilegienträger des alten Systems handelt.“ Überdurchschnittlich viele Auszubildende und Arbeitslose wählten PDS. Hier hat sie auch im Westen ihr Wählerklientel. Schwer hat sie es demgegenüber bei Arbeitern, Selbständigen und Rentnern.

Und das Bildungsniveau? Je höher im Osten die formale Bildung, desto wahrscheinlicher die Stimmabgabe für die PDS. Bei Befragten mit abgeschlossenem Studium liegt der PDS-Wähleranteil bei 35, bei den Hauptschulabgängern nur bei 14 Prozent. Auch bei Personen mit sehr niedrigem Einkommen hält sich die PDS-Neigung in Grenzen. Bei Personen mit einem Haushaltsnettoeinkommen über 3.500 Mark liegt die PDS im Osten über ihrem Durchschnitt. „Da sie gerade auch von überdurchschnittlich qualifizierten, mehr als andere verdienenden Wählern (...) überdurchschnittliche Unterstützung erfuhr, kann ausgeschlossen werden, daß es nur Vereinigungsverlierer im objektiven Sinne waren, die ihr im Oktober 1994 die Stimme gaben.“

Doch die vergleichsweise gute materielle Situation der PDS- Wähler findet auf der Einstellungsebene kaum eine Entsprechung. „Negative Weltsicht und trübe Zukunftserwartung“, so Falter/Klein, „scheinen die Wahl der PDS erheblich zu fördern.“ Besonders häufig ist unter PDS-Anhängern die Auffassung anzutreffen, die Gesellschaftsordnung der BRD sei ungerecht „bzw. sie selbst würden von der Gesellschaft ungerecht behandelt“. Dabei beschränken sich eher pessimistische Einstellungen nicht allein auf wirtschaftliche Erwartungen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, daß unter PDS- Wählern die negative Bewertung der Institutionen der BRD deutlich stärker ausgeprägt ist als bei den Wählern der anderen Parteien. Bundesregierung, Bundestag und Bundesverfassungsgericht kommen schlecht weg. Vergleichsweise positiv gerät hingegen die Einschätzung der Polizei durch die PDS-Wählerschaft.

In puncto „Machtgier“, „Korruptheit“, „mangelnde Volksnähe“ der Bundestagsabgeordneten urteilen PDS-Wähler deutlich kritischer als der Durchschnitt. Die Studie folgert: Je skeptischer das Urteil, desto wahrscheinlicher die Stimmabgabe zugunsten der PDS. Die Skepsis gegenüber dem politischen System der BRD korrelliert mit der Akzeptanz sozialistischer Vorstellungen. Über 50 Prozent der befragten PDS-Wähler sehen „mehr gute als schlechte Seiten“ der untergegangenen DDR. 90 Prozent halten den Sozialismus „für eine gute, wenn auch bisher schlecht verwirklichte Idee“.

Hohe formale Bildung, positive Einstellung gegenüber der DDR, das Gefühl sozialer Benachteiligung, eine negative Perspektive auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der BRD sowie die Zustimmung zu Kernaussagen des Sozialismus prädestinieren zur Wahl der PDS. Fazit der Autoren: „Eine Mischung aus Ideologie, Nostalgie und Protest.“ Matthias Geis