Mein Engel als Hund

Am ersten Feiertag läßt arte die Engel fliegen (20.40 Uhr)  ■ Von Bascha Mika

Was ist klein und dick? Ein Engel. Was ist kurzgeschoren und weißgewandet? Auch ein Engel. Was rockt, rapt, rettet und richtet – oder singt und dichtet? Noch 'n Engel. Auf Ätherisches verlegt sich arte und präsentiert uns am ersten Weihnachtstag einen Themenabend nach dem Motto: Engel sind überall. In kurzen und längeren Filmen, in Videokunst und Animation. „Ich halte meinen Hund Funky für einen Engel“, gesteht Holly Johnson von „Frankie goes to Hollywood“. Und Boy George schwärmt von einem Engel „mit weißem Gewand und Flügeln, blauen Augen, Lilienhaut und Sommersprossen.“ Diese subjektiven Bekenntnisse sind zwar sehr hübsch. Bedauerlicherweise aber versäumt es der Kultursender, zu Beginn einige Grundinformationen über diese besondere Spezies vorauszuschicken. Was den ZuschauerInnen vorenthalten bleibt, sollen unsere LeserInnen erfahren.

Engel sind bekanntlich höhere Wesen im allgemeinen. Ihr tägliche Arbeit besteht darin, auf der Himmelsleiter auf und nieder zu steigen und die göttliche Botschaft zu überbringen. Haben sie frei, sitzen sie auf einer Wolke und frohlocken. Die größte Schar unter ihnen ist der Ordnungstrupp, Schutzengel genannt. Sie überwachen einzelne Menschen und sorgen dafür, daß die sich nicht der göttlichen Vorsehung widersetzen.

Wenn Engel fallen, heißen sie Teufel. Ihre Farbe ändert sich dann schlagartig vom reinsten Weiß ins finsterste Schwarz. Haben Engel einen Leib, ein Geschlecht, und sind sie immer geflügelt? Soweit können wir in die diffizile angelologische Diskussion nicht einsteigen. Fest steht: Engel sind schön und bestehen aus Licht und Luft. Eßwerkzeuge haben sie keine, auch Beine nicht. Flügel sind nicht immer vorgeschrieben, sie können wahlweise durch feurige Räder ersetzt werden.

So ein Geschöpf können wir bei arte nicht betrachten. Statt dessen lernen wir in einem Film von Helen Terry „Rock'n'Roll Angels“ kennen. Eine für den Alltag abgewandelte Form der Hosianna-Sänger. Etwa jedes zehnte Pop-Lied handelt von diesen Himmelswesen. „No one on earth could feel like this / I'm thrown and overblown with bliss / There must be an angel/ Playing with my heart“ (Eurythmics). REM besingt sie dumpf, Madonna erotisch, Frankie goes to Hollywood sentimental.

Filmemacherin Terry, früher bei Culture Club, befragt ihre Pop- Freunde, warum ihnen Engel so ans Herz gewachsen sind. Wieso sie sich manchmal wie Engel fühlen und bedauern, daß ihnen noch keiner ins Zimmer geflogen ist. Und während Holly Johnson erzählt, daß er als Teenager einen „Schutzengelkomplex“ hatte, toben kurzhaarige Jungs mit riesigen Flügeln über den Bildschirm und beweisen, daß man sich mit Musik und Tanz ganz himmlisch fühlt.

Soweit die moderne Variante. Doch Engel fliegen problemlos nicht nur von der religiösen Sphäre in die säkularisierte Welt, sondern auch zwischen den Zeiten hin und her. Wohl deshalb glaubt arte seinen ZuschauerInnen „Ist das Leben nicht schön“ anbieten zu dürfen. Die zigfach gesehene, herzerweichende Komödie von Frank Capra aus dem Jahre 1947. Clarence Oddbody, ein Engel zweiter Klasse, der aussieht wie eine gealterte Putte und Unterwäsche aus Tom Sawyers Zeit trägt, muß sich seine Flügel erst noch verdienen. Deshalb hindert er den guten Menschen James Stewart am Selbstmord und alles wird gut.

Wem es danach immer noch gut geht, kann bei arte in die religiöse Diskussion über Engel einsteigen. Islam, Christen- und Judentum beschäftigen sie als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Marie Hélène Rebois zeigt in einer deutschen und französischen Erstaufführung Legenden, Symbolik und Bilderwelten: von sieben Erzengeln und der Hierarchie der himmlischen Scharen, von Allah preisenden Cherubim und Seraphim, die seinen Thron tragen.

Wo ein Engel erscheint, ist die Apokalypse nicht weit. „C'est fini!“ sagt sie. „Non, ce n'est pas trop tard!“ schreit er. Ein Mann und eine Frau streiten am Telefon – quer über den Planeten. Zwei Engel streiten am Strand über Gott und die Welt. In Jean-Luc Godards Videofilm von 1988 herrscht „Die Macht des Wortes“. Doch weder Menschen- noch Engelszungen können die Elemente bändigen. In schrillem Rot und dampfenden Blau explodieren Himmel und Erde. Womit immerhin bewiesen wäre, daß Godard, der gottgleiche, Schnitt und Montage des Videoclips beherrscht.