Wenn der Zoll den Zensor spielt

■ Zollamt Wuppertal beschlagnahmt Bücher

Berlin (taz) – Sahra Wagenknecht, Mitglied des PDS-Bundesvorstandes, hat ein Buch über „Antisozialistische Strategien im Zeitalter der Systemauseinandersetzung“ geschrieben. Ganz im Geiste dieser Systemauseinandersetzung hat das Hauptzollamt Wuppertal nach Lektüre der „zwei Taktiken im Kampf gegen die sozialistische Welt“ reagiert. Es gab die gesamte erste Auflage des Werkes nicht frei, als sie am Donnerstag beim Verlag Pahl- Rugenstein angeliefert werden sollte. Der hatte den Druck des Buches bei einer ungarischen Firma in Auftrag gegeben, nun liegen 1.000 Exemplare bei der Spedition fest.

Seit zwei Tagen versucht der Geschäftsführer des Verlages, Arnold Bruns, die Gründe für die Beschlagnahme zu erfahren. Gestern erhielt er die Auskunft des Hauptzollamtes: Die Beamten seien nach dem „Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote“ tätig geworden und hätten Ansichtsexemplare der Einfuhrsendung zur Staatsanwaltschaft Wuppertal gebracht. Ansichtsmuster werden dem Zollamt regelmäßig vorgelegt, damit sie prüfen können, ob es sich tatsächlich um Bücher oder um höher zu besteuerndes Werbematerial handelt. Bei ihrer Prüfung kam den Zöllnern sowohl bei Wagenknechts Werk als auch bei dem gleichzeitig gelieferten Buch des Historikers Karl-Heinz Jahnke über die Arbeiterjugend vor dem Ersten Weltkrieg der „Verdacht eines strafrechtlich relevanten Inhalts“. Die strafrechtliche Relevanz sah die Wuppertaler Staatsanwaltschaft in einem Verstoß gegen den Paragraphen 86 StGB. Der ahndet das „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“. Während Verleger Bruns noch sinniert, welche Organisation der Arbeiterjugendbewegung bis 1919 gemeint sein könnte, hat die Wuppertaler Staatsanwaltschaft ob der Brisanz des Vorgangs die Angelegenheit bereits an die Staatsschutzabteilung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft weitergereicht.

Die Generalstaatsanwaltschaft konnte den Eingang noch nicht bestätigen. Es könne noch dauern. Derweil sorgt sich der Verlag um die Bezahlung der Druckereirechnung. Ein Drittel der Wagenknecht- Auflage war vorbestellt. Eine prompte Auslieferung, so Bruns, hätte die Druckereikosten eingebracht. Nun muß er sich einstweilen damit trösten, daß die Aktion der Zöllner der erklärten Systemgegnerin Wagenknecht zu Publizität und ihrem Werk zu entsprechender Auflage verhelfen wird. Dieter Rulff