Vorsicht Kamera!

Auch ein kurzer Fernsehauftritt will gelernt sein: Wer vom medialen Fußvolk war noch nicht zu Besuch bei Kameratrainer Horst Brunhöver?  ■ Von Arne Fohlin

Monika Wulf-Mathies, designierte EU-Kommissarin, stotterte am Beginn ihrer Karriere als ÖTV-Vorsitzende, sobald auch nur ein Kamerascheinwerfer in ihrer Nähe aufgebaut wurde. Kein Wunder, daß manch ein Tarifabschluß, wie einige Gewerkschaftskollegen lästern, hinter den Erwartungen zurückblieb: Moni mutierte immer ausgerechnet dann zum Backfisch mit fisteligem Timbre, wenn sie öffentlich-charmant hätte werden sollen.

Auch Willy Brandt litt sehr unter seiner Kamerascheu – erst spät wurde seine seltsame Art, nie in die Kamera zu schauen, wohlwollend als Ausdruck der Querdenkerei respektiert. Ob und wie viele deutsche PolitikerInnen sich einem Kameratraining unterwerfen, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Die entsprechenden Institute würden derlei schon aus Gründen der Diskretion nicht ausplaudern.

„Können Sie sich im TV behaupten?“

Das hochglänzende Faltblatt des Studio Hamburgs kommt unscheinbar daher: „Seminare im Fernsehstudio“ steht oben, darunter sind zwei Schwarzweißfotos plaziert, die nüchterner nicht werben könnten. „Treten Sie sicher und vertrauenswürdig vor eine Fernsehkamera? Können Sie sich in einem harten Interview oder in einer lebhaften Diskussionsrunde im Fernsehen behaupten?“ fragt es auf dem Papier.

Horst-Willi Brunhöver heißt der Mann, der dieses kaum Broschüre zu nennende Schriftstück formuliert hat. Er steht kurz vor der Pensionsgrenze und bekleidet momentan den Rang eines Prokuristen bei der Media Consult International GmbH in Hamburg. Die Tochtergesellschaft des Medienkonzerns Studio Hamburg bietet einen Service an, der – hätten Deutschlands Manager ihn früher genutzt – zu „manch anderer politische Diskussion hierzulande geführt“ hätte. Brunhöver meint damit bespielsweise „die Kernkraftdiskussion“: „Wären die Manager der Energiekonzerne damals nicht so ungeübt gewesen, vor TV-Kameras ruhig Stellung zu nehmen, hätte die Atomkraftdebatte in diesem Land einen anderen Verlauf genommen.“

Wir erinnern uns: Damals, so vor anderthalb Jahrzehnten, versuchten die ambitionierten Betreiber der Atommeiler ebenso rabiat wie hilflos, sämtliche Diskussionen um gesundheitsschädliche Formen der Energieerzeugung abzuwürgen. Sie strahlten vor allem eines aus: Wir sind die Experten, wir wissen Bescheid, kurzum, das Volk soll die Klappe halten! Sie mieden Fernsehkameras, bügelten Interviewwünsche ab und verweigerten der TV-Gemeinde in toto die Möglichkeit, sich ein menschelndes Bild zu machen – heutzutage gilt das als Todsünde selbst in der Kaste der Nieten in Nadelstreifen. Brunhöver hätte ihnen behilflich sein können: Er ist Kameratrainer, einer, der nicht die moderierende Prominenz lehrt, wie man telegen grinst und charmiert, sondern einer fürs mediale Fußvolk. Für Leute mithin, die so en passent von TV-Rollkommandos überfallen werden könnten, um ihnen eine Stellungnahme zu irgendeinem Punkt abzuquetschen.

Brunhöver hat sie alle in seinem Trainingsstudio gehabt: die Männer und die (wenigen) Frauen, die gewillt sind, sich nicht mehr von jenen rabiaten TV-Teams vorführen zu lassen. Die sich nicht mehr dem Rotlicht der Kamera hilflos stotternd und stammelnd aufgeliefert sehen wollen, sondern ihre Anliegen künftig klar, deutlich und vor allem knapp formulieren möchten.

Zu vermeiden: zwei verschiedene Socken

Brunhöver guckt gütig wie ein Jünger Buddhas, wenn er all die typischen Fauxpas aufzählt: löchrige Schuhsohlen („was für ein Signal! – kann sich noch nicht mal neue Schuhe leisten“), ein kariertes Hemd oder eine der topmodischen Sakkos mit kleinen Karos („macht nervös, weil es auf den Bildschirmen flimmert“), verschiedenfarbige Socken („alles schon vorgekommen, besser wären aber sowieso Strümpfe“) – das wären so die Äußerlichkeiten, die sich am leichtesten abstellen lassen.

Viel schwieriger ist es, die Kunst der kurzen Rede zu erlernen, das verbindliche Sprechen ohne Inhalt: „Anfangs fuchteln die meisten derjenigen, die sich hier anmelden, mit den Armen, als dirigierten sie ein Kurorchester“, weiß Brunhöver.

Die Seminare bei Brunhöver laufen immer nach dem gleichen Muster ab: Übungen in vierminütiger Rede, später das gleiche unter erschwerten Bedingungen (zusammenkrachende Studiokulissen, Ausfall der Kameras usw. usf.), dann noch viele Einheiten in der Kunst, nicht nur immer den Moderator anzuschauen, sondern auch dem Zuschauer das Gefühl zu geben, er sei gemeint. „Nicht immer weggucken“ heißt die knappe Formel der Erfolgs.

Arbeitsminister Norbert Blüm, so Brunhöver, ist beispielsweise ein Meister des telegenen Kamerablicks: „Der sieht die Kamera und guckt den Mann dahinter an – das vermittelt ihm das Gefühl, zu einer Echtperson zu sprechen.“ Das Gros der TV-Gäste schaut dagegen allzeit auf den Moderator.

Wichtiger aber noch, sagt Brunhöver ganz ruhig, dabei einen Bleistift auf dem Mittelfinger balancierend, wichtiger sei es, sich im Studio Gehör zu verschaffen: „Wie oft passiert es, daß die Leute vergessen, daß Kamerapräsenz auch eine Frage des Kampfes ist.“ Vor der Linse sind eben nicht alle gleich: Nur wer vergißt, daß Habermas mit seiner herrschaftsfreien Kommunikation vor der TV-Gemeinde allemal ausgedient hat, wer also dazwischensabbelt, nicht auf Stichworte wartet („man wartet und wartet – und nichts kommt“) und quick mit dem Körper agiert („mit steifem Rücken, geradem Kopf kommt gar nichts rüber, das erweckt nur Mißtrauen“), wird von der Regie und damit vom Moderator wahrgenommen.

Ja, und am Ende der Stilübung winkt sogar ein Zertifikat – und wenn's nur für die Vitrine im Wohnzimmer ist. Denn von den Kollegen soll dann doch niemand erfahren, daß man sich so penälermäßig hat unterweisen lassen. Manager möchten nie Schüler sein, schon gar nicht in dem Bewußtsein, für Brunhövers Binsenweisheiten des TV-Geschäfts 5.000 Mark bezahlt zu haben.