■ Afghanistan–Tschetschenien
: Geisel der eigenen Macht

Vor 15 Jahren, in der Festwoche zwischen Weihnachten und Neujahr, marschierte eine 85.000 Mann starke sowjetische Militärmacht über die afghanische Grenze. Mit einem Schlag wurde Afghanistan, das gelobte Land der Bergsteiger, Ethnologen und Hippies zum sowjetisch okkupierten Satelliten. Was Moskau am 27. Dezember 1979 für einen Silvesterspaziergang gehalten hatte, erwies sich bald als Alptraum der russischen Weltmacht. Jahre später bezeichnete Michael Gorbatschow Afghanistan als „unsere blutende Wunde am Hindukusch“ und blies zum Rückzug. Von da an galt der afghanische Krieg als der Sündenfall des sowjetischen Kommunismus. Doch gelernt haben die neuen Herren im Kreml aus dem afghanischen Fiasko nichts. 15 Jahre nach jenem unheilvollen Dezember sind sie dabei, sich im Kaukasus ein neues Afghanistan zu erbomben.

Das afghanische Abenteuer lief im Namen der „sozialistischen Bruderhilfe“ oder des „proletarischen Internationalismus“. Die Bomben auf Grosny fallen im Namen der „Einheit der russischen Föderation“: Dabei war es Boris Jelzin selbst, der 1990 im Machtkampf mit Gorbatschow die nichtrussischen, meist moslemischen Republiken und Oblasten der Föderation zur Unbotsamkeit gegen die Zentralmacht ermunterte, um seinen Rivalen zu schwächen.

Was will nun der russische Präsident mit dem Tschetschenien-Abenteuer erreichen? Kann er das abtrünnige Volk heim ins Reich bomben? Wohl kaum. Wie das afghanische ist das kaukasische Bergland geradezu geschaffen für einen lang anhaltenden Partisanenkrieg. Und wie die Afghanen sind die Tschetschenen erprobte Kämpfer. Leicht kann die Flamme in Grosny auf die meist moslemischen Nachbarländer überspringen bis ins Herz Rußlands, wo die Republiken der Tataren und der Baschkiren seit langem von der Unabhängigkeit träumen. Warum spielt Boris Jelzin mit dem Feuer? Schon im Oktober 1993, als Jelzin das rebellierende Parlament niederschießen ließ, hätte die Welt ahnen müssen, daß der „Demokrat“ im Kreml neben der Schwäche für Wodka eine Vorliebe für blutige Lösungen hat. Der Erhalt der Macht, koste es, was es wolle, ist das Credo des neuen Zaren. Jelzin schert sich weder um die demokratischen Spielregeln noch um das Leid seiner Untertanen. Er baut auf die schießwütigen Generäle und intriganten Geheimdienstler, denen Demokratie und Pluralismus ein Dorn im Auge sind. Boris Jelzin, einst Hoffnungsträger der russischen Demokraten, ist zur Geisel der eigenen Macht geworden. Ahmed Taheri