Selbstbestimmungsrecht für 153.000 Gagausen

■ Ex-Sowjetrepublik Moldova beendet Konflikt mit einer ihrer Minderheiten

Bukarest (taz) – Zum ersten Mal hat in Osteuropa eine Minderheit ein weitreichendes territoriales politisches und wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht erhalten. Es handelt sich dabei um die Gagausen, ein in der Ex-Sowjetrepublik Moldova lebendes christliches Turkvolk. Am vergangenen Freitag verabschiedete das Parlament in der moldovanischen Hauptstadt Chișinau ein Gesetz über einen Sonderstatus für die gagausische Region. Damit ging zugleich ein fünfjähriger Konflikt zwischen den Gagausen und der Zentralmacht in Moldova zu Ende.

In der Republik Moldova sind zwei Drittel der Einwohner ethnische Rumänen und ein Drittel Minderheiten. Die 153.000 Gagausen stellen nach Ukrainern und Russen mit 3,5 Prozent der Bevölkerung die drittgrößte Minderheit und leben vor allem im Süden des Landes. Nachdem 1989 in Moldova eine rumänische Nationalbewegung erstarkte, riefen die Gagausen im August 1990 ähnlich wie die russischen Separatisten im Osten der Republik eine eigene – international aber nicht anerkannte – Republik aus. Aufgrund der militärischen Unterstützung, die die Separatisten aus Moskau erhielten, sowie wegen der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Rußland, mußte die Zentralmacht den Separatisten nachgeben.

Laut dem am Freitag verabschiedeten Gesetz werden die Gagausen nicht als ethnische Minderheit, sondern als eigenständiges Volk definiert und haben das Recht, „die Probleme ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung unabhängig, in den Grenzen ihrer Befugnisse zu lösen“, wie es in der Präambel des Gesetzes heißt. Der wichtigste Gesetzespassus bezieht sich dabei auf die Möglichkeit der Gagausen, sich von der Republik Moldova abzuspalten, wenn Moldova sich mit einem anderen Staat, etwa Rumänien vereinigen sollte. Darüber hinaus liegt die Verwaltung der Region nahezu vollständig in gagausischer Hand; nur Armee und Geheimdienst stehen unter zentraler Kontrolle. Die gagausische Sprache ist zusammen mit Rumänisch und Russisch Amtssprache, die Gagausen dürfen zusammen mit den Symbolen der Republik Moldova ihre eigenen nationalen Symbole benutzen. Ihr oberster Würdenträger der Bașcan (gagausisch: Präsident) ist zugleich Mitglied der Regierung Moldovas.

Gegen das Selbstbestimmungsrecht der Gagausen haben Führer der bulgarischen Minderheit, die im Südosten des Landes lebt, protestiert, weil ihr Territorium damit zu einer Enklave zwischen ukrainischer Grenze und gagausischem Territorium wird. Die russischen Separatisten in Transnistrien haben ihrerseits ein ähnliches Selbstbestimmungsrecht bislang abgelehnt. Sie fordern eine Konföderalisierung des Landes. Keno Verseck