■ Aus der guten alten Zeit
: Die Roten Listen der Eiszeit

Früher, in den Epochen vor der industriellen Revolution, hat der Mensch noch in glücklicher Symbiose mit seiner natürlichen Umwelt gelebt. Der edle Wilde zumal, den wir immer außerhalb Europas verorten, liebte die Erde, die ihm ein Mutter war. Ausbeutung von Mensch und Natur war ihm fremd. In der guten alten Zeit, das wissen wir, war alles besser. Oder etwa nicht? Dieser Frage geht die heute beginnende jahresendzeitliche Serie der taz nach.

Rousseaus edler Wilder, in seiner Ausprägung als Indianer jedenfalls, hat vermutlich nach der Landnahme in Nordamerika als erstes mit der Ausrottung fast sämtlicher größeren Säugetierarten auf dem Kontinent begonnen: Pferd, Kamel, Mammut, Tapir und andere. Zumindest einige Forscher glauben inzwischen, daß klimatische Verschiebungen nach dem Ende der Eiszeit nicht allein das Aussterben so vieler Großtierarten auf dem amerikanischen Kontinent erklären können.

Die amerikanischen Wildtiere hatten vor der Ankunft der Jäger aus Sibirien, die die eiszeitliche Vereisung nutzten, um über die Beringstraße zu wandern, kaum natürliche Feinde gehabt und waren entsprechend leicht zu jagen. Die gesamte frühamerikanische Wirtschaft basierte auf Wild als Nahrungs-, Kleider- und Werkzeuglieferanten. Der zurückweichenden Jagdbeute folgend, eroberten die Eindringlinge in erstaunlich kurzer Zeit die Neue Welt.

Mit dem Aussterben des Großwildes mußten die frühzeitlichen nordamerikanischen Indianer auf differenzierte Sammler- und Jägerwirtschaftsweisen ausweichen. Wenn sie mühsam Muscheln sammelten oder Wurzeln ausgruben, werden sie, in moderne Worte übersetzt, über die Umweltkatastrophe geklagt haben, die sie heimgesucht hat.

Es war wohl nicht die letzte Umweltkrise im indianischen Amerika. Mangels Aufzeichnungen kann nur vermutet werden, daß beispielsweise das weitgehende Verschwinden der Pueblo- Kultur im Südwesten der heutigen USA Folge einer Umweltkrise war. Gegen Ende des ersten Jahrtausends nach Christus expandierte diese Kultur enorm; die landwirtschaftliche Produktivität (angebaut wurden Mais, Bohnen und Kürbis) stieg. Die Bevölkerungzahl hat sich nach Schätzungen in einigen Jahrhunderten mindestens vervierfacht, vielleicht aber auch vervierzigfacht.

Neue Pueblos wurden gegründet und immer mehr Land bewirtschaftet, auch wenn es trocken und wenig fruchtbar war. Als um 1200 oder 1300 der Regen knapper wurde, führte das in den marginalen Anbaugebieten schnell zur Ökokatastrophe. Das Grundwasser nahm wegen Übernutzung ab, der entblößte Boden erodierte. Konflikte entflammten, und andere Völker dürften die Schwäche der Pueblo-Kultur ausgenutzt haben. Nur wenige sehr verstreute Siedlungen blieben übrig – deren Bewohner, wir kennen den Refrain, von der guten alten Zeit geträumt haben dürften. Nicola Liebert