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SanssouciNachschlag

■ Die Medienstadt Berlin pfiff vergnügt aus dem letzten Loch

Jahresrückblicke sind grundsätzlich etwas Fragwürdiges. Verzweifelt müht sich der Zeitgenosse, die verstrichenen Monate Revue passieren zu lassen. Und dabei geht es ihm oft nicht anders als dem „berühmten Sänger und Saitenspieler“ (Brockhaus) Orpheus, der besser auch nicht zurückgeblickt hätte, wenn das mit Eurydike hätte richtig klappen sollen.

So. (Hiermit hat der Rezensent seines Erachtens die Bringschuld an feuilletonistischer Virtuosität in zufriedenstellender Weise erfüllt. Nun geht's ungeschmälert ins Retrospektive...) Berlin will ja bekanntlich Medienstadt werden. Die Neugründung so illustrer TV-Sender wie IA („Eselfunk“) und n-tv („Null-TeeVau“) war in den vergangenen Jahren ein erster Schritt in diese Richtung.

In diesem Jahr machten sich beide Anstalten vor allem durch ihre Hire&Fire-Politik um das hauptstädtische Medienflair verdient: IA schickte seinen Geschäftsführer, den berüchtigten Berliner Medienparvenü Thomas Thimme, in die Wüste. n-tv komplementierte Chefredakteur Peter Staisch hinaus. War's zuviel Zecherei im „Studio 3“ oder das schlechte Programm? Wir wissen's nicht – allein man wünschte von Herzen, daß sich auch der verstockte SFB (B1) einmal zu solch vertikulierenden Personalentscheidungen auf höchster Ebene durchringen könnte.

Doch auch noch anderswo pfeift man vergnügt aus dem letzten Loch. Die Neue Zeit (Hoffnung der Ostbourgeoisie) wurde vom Frankfurter Mutterhaus gleich ganz abgewickelt. Springers Welt zog in die Hauptstadt und baut seitdem nur noch ab. Das Blatt hängt am Tropf einer dahinsterbenden Alt-Abonnentenschaft, die sich selbst vom Fall der „DDR“-Anführungszeichen nicht mehr erschüttern läßt. Tja, auch bei Springer sind die goldenen Zeiten vorbei; beim Hochhausanbau im vergangenen Jahr hat es nur noch für Quecksilber gereicht. Der Tagesspiegel dagegen verabschiedete sich vom Schwarzweiß und tupfte liberal ein bißchen Quittengelb ins Layout. Die gepflegte Langeweile blieb erhalten – da wollte auch die umgebaute Chefredaktion nicht dran rühren.

Umgebaut wurde die Chefredaktion ja übrigens auch in diesem Blatt. Räumlich verlagerte sie ihren Wirkungskreis vom Hintergebäude ins Vorderhaus. Im neuen Quartier besorgt nun Arno Widmann die seelsorgerische Betreuung der LeserInnen – inspiriert vom hauptstädtischen Geschehen auf der Kochstraße.

Bliebe abschließend etwas über die Berliner Radios zu sagen. Aber das ist alles noch trister. Darum lassen wir das. Nächstes Jahr wieder. Martin Muser

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