Proteste gegen Siedlungsbau

Auf einem 50 Quadratkilometer großen Gelände bei Bethlehem in der besetzten Westbank soll eine neue israelische Vorstadtsiedlung gebaut werden / „Landraub am hellichten Tag“  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Mit einem großen Militär- und Grenzschutzaufgebot hat die israelische Besatzungsbehörde gestern palästinensische und israelische Demonstranten von einem Gelände nahe der Ortschaft El Khadr bei Bethlehem in der besetzten Westbank vertrieben. An dieser Stelle soll auf einem Gebiet von 50 Quardatkilometern die neue, relativ große israelische Vorstadtsiedlung Givat Tamar gebaut werden.

Palästinensische Bauern und Grundbesitzer aus der Umgebung, israelische Aktivisten von Peace Now und Vertreter anderer Organisationen, die ihre Solidarität mit dem Widerstand gegen Landnahme und zusätzlichen israelischen Siedlungsbau in der Westbank zum Ausdruck bringen wollten, hatten gemeinsam bei El Khadr demonstriert. Unmittelbar nachdem die Kungebung aufgelöst worden war, wurden Traktoren, Bagger und andere schwere mechanische Geräte auf der Baustelle eingesetzt.

Bei Zusammenstößen mit dem Militär und Grenzschutzeinheiten wurden mehrere Demonstranten verletzt. Saeb Erakat, ein Mitglied der palästinensischen Regierungsbehörde, wurde bewußtlos geschlagen. „Das ist der Friedhof des Friedensprozesses“, sagte er, nachdem er wieder zu sich gekommen war.

Mindestens 45 Palästinenser und Israeli wurden von der Polizei verhaftet. Vertreter der Zivilverwaltung, der israelischen Besatzungsbehörde, rissen alle Olivenbäumchen aus dem Boden, die palästinensische und israelische Friedensaktivisten am letzten Wochenende symbolisch gepflanzt hatten.

Adam Keller, der Sprecher der israelischen Friedensorganisation Gusch Schalom, nannte die neue Siedlungsbauaktion in der Nähe der bereits bestehenden israelischen Kolonie Efrata „Landraub bei hellichtem Tage“. Auch die Übernahme von als „Staatsland“ designierten Böden durch die Siedler sei rechtswidrig, weil es sich um Land in den besetzten Gebieten handele, das dem zukünftigen palästinensischen Staat gehören soll, sagte Keller. „Die Rabin-Regierung, die von sich behauptet, eine Regierung des Friedens zu sein, unterstützt in Wirklichkeit die gegen den Frieden gerichteten Bau-Provokationen der Siedler und sägt damit auch den Ast ab, auf dem sie sitzt“, erklärte der Friedensaktivist.

Ein Sprecher der israelischen Besatzungsbehörde erklärte, das Land, auf dem die neue Siedlung gebaut werden soll, sei im Laufe der vergangenen 10 Jahre zum „Staatsland“ erklärt wurden. Ein Einspruch der palästinensischen Grundbesitzer wurde gerichtlich abgelehnt. Mittlerweile haben Palästinenser aus El Khadr Grundbuchauszüge vorgelegt, die sie sich in Jordanien beschaffen konnten. Aus diesen geht hervor, daß sie die eigentlichen Besitzer des Landes sind, auf dem jetzt 500 bis 600 neue Wohnungen der israelischen Vorstadtsiedlung gebaut werden sollen.

Die israelische Ministerin für Kommunikation, Schulamit Aloni, sagte in einem Interview mit dem israelischen Rundfunk: „Es handelt sich hier einfach um Diebstahl unter dem bewaffneten Schutz der Besatzungsmacht. Wir müssen uns jetzt aber entscheiden, ob wir den Frieden wollen oder ob wir den permanenten Terror vorziehen und uns in ein neues Belfast verwandeln.“