Bethlehem, Pennsylvania

■ Das Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher - eine Retrospektive in Münster

Spektakulär sind ihre Aufnahmen nicht, eigentlich eher langweilig. Immer und immer wieder fotografieren Bernd und Hilla Becher seit 1959 für ihre Typologien vor allem Industriearchitektur unter immer gleichen Bedingungen: Der Himmel muß bewölkt, das Licht flau sein, damit das tiefenscharf und ohne Verzerrungen frontal aufgenommene Gebäude selbst im formatfüllenden Mittelpunkt stehen kann. Entstanden ist auf diese Weise in den vergangenen 35 Jahren ein industriearchäologisches Inventar Deutschlands und der Welt. Bernd und Hilla Becher vertraten mit ihrer nur vermeintlich objektiven Fotografie die Bundesrepublik auf der Biennale von Venedig. Ihre meist aus sechs Einzelaufnahmen zusammengesetzten Tableaus, in zahllosen monographischen Bildbänden reproduziert, hängen in den bedeutendsten Museen der Welt und tauchen regelmäßig in den internationalen Auktionen von Sotheby's und Christie's auf – nicht in der Sparte Fotografie, sondern unter „Modern and Contemporary Art“. Junge FotografInnen wie Thomas Struth, Candida Höfer, Boris Becker oder Andreas Gursky werden gar einer „Becher-Schule“ zugerechnet.

Wassertürme, Hochöfen, Kohlesilos

Die vorerst letzten Fotografien von Bernd und Hilla Becher zeigt noch bis Ende Januar das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster. In den vergangenen Monaten waren beide vor allem in den neuen Bundesländern unterwegs, um Fabrikhallen vor deren Abwicklung durch die Treuhand und dem in aller Regel damit einhergehenden Abriß fotografisch zu dokumentieren. An ihrem Bildprinzip haben beide auch dabei festgehalten: Gegenübergestellt sind in Ausstellung und Katalog jeweils eine Frontalaufnahme der Vorder- und der Rückseite der Hallen. Die so entstandene neue Typologien- Reihe bildet in Münster den Schluß einer umfassenden Retrospektive, in der alle bekannten Motivserien vertreten sind: die Wassertürme und Hochöfen, die Förderanlagen, Kohlesilos und Gasbehälter. Erstmalig wird damit ein Überblick über das Gesamtwerk des Fotografenpaares möglich.

Bernd und Hilla Becher selbst haben sich unterdessen bislang jeder kunsthistorischen Einordnung entzogen. Diesen Versuch hat nun ein studentisches Forschungsprojekt an der Bochumer Ruhr-Universität unternommen und in einem sorgfältig recherchierten und verständlich aufbereiteten Buch auch dokumentiert. Hervorgegangen ist der ausführlich bebilderte Band aus einem kunstgeschichtlichen Doppelseminar an der Hochschule, bemerkenswertes erstes Ergebnis jener Bemühungen, mit denen Monika Steinhauser als neue Institutsleiterin und Kai-Uwe Hemken als neuer Kurator die Kunstgeschichte aus dem Elfenbeinturm herausholen und die museale Ausstellungspraxis schon ins Studium integrieren wollen.

Faschistische Bildästhetik?

Zwei Semester lang haben Studentinnen und Studenten über die Arbeit des in Düsseldorf lebenden Fotografenehepaares geforscht und – zum Teil in direkter Zusammenarbeit mit Bernd und Hilla Becher – deren Quellen und Bezüge untersucht. Die kunstgeschichtliche Pionierarbeit förderte erstaunliche Ergebnisse zutage: In ihrem nur scheinbar nüchternen Werk beziehen sich beide bewußt nicht allein auf historische Industriedarstellungen von lithografierten Briefköpfen bis zu Menzel, sondern auch auf die Fotografie der Neuen Sachlichkeit in Deutschland und des New Deal in den USA. Besonders deutlich wird das an der 1935 entstandenen Walker- Evans-Aufnahme von Friedhof, Häusern und Stahlwerk des später auch von Billy Joel besungenen Industriestädtchens Bethlehem in Pennsylvania, aus der Bernd und Hilla Becher 51 Jahre später eine fotografische Fortschreibung entwickelten. Im Vergleich mit aktuellen künstlerischen Konzepten steht das Problem des strukturellen Sehens im Vordergrund. Zum erstenmal wird außerdem der bislang nur mehrfach erhobene, nie aber belegte Vorwurf untersucht, das Fotografenpaar lehne sich durch die vermeintliche Monumentalität ihrer Bilder an faschistische Bildästhetik an. Vergleiche mit zeitgenössischen Industrie- und Architekturaufnahmen widerlegen die These als Konglomerat halbherzig zusammengetragener, vor allem aber ungenau beobachteter Stilmerkmale. Stefan Koldehoff

„Bernd und Hilla Becher – Typologien“. Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum, Münster, bis 29. Januar 1995. Katalog: 284 Verlag Schirmer/Mosel, München. Broschiert, 48 DM.

„Bernd und Hilla Becher – Industriephotographie“, 130 Seiten, mit zahlreichen Duotone- und S/w- Abbildungen, Richter-Verlag, Düsseldorf, ISBN 3-928762-27-3. Broschiert, 39 DM.