Polen verliert eine Riesenmenge Nullen

Im neuen Jahr sind die meisten Polen keine Millionäre mehr / Herrschergestalten ersetzen kommunistische Symbole und Politiker auf den Geldscheinen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Wer am Neujahrstag an einem polnischen Grenzübergang Geld wechselt und dafür 50-Zloty- Scheine mit dem Ebenbild des kommunistischen Verteidigungsministers Karol Świerczewski erhält, sollte protestieren. Denn ab dem 1. Januar hat er für 100 Mark Anrecht auf drei Konterfeis von Kasimir dem Großen, dem letzten Piastenkönig und Gründer der Jagiellonischen Universität von Krakau. Der Unterschied zwischen beiden: Polens Nationalbank ist ein Kasimir 10.000mal soviel wert wie ein Świerczewski. Im neuen Jahr wird Polens Währung nämlich denominiert, und entgegen aller landläufigen Befürchtungen bedeutet das etwas ganz anderes als Abwertung. Es werden einfach vier Nullen gestrichen.

Aus 100.000 alten Zloty werden am 1. Januar 10 neue. Bildlich gesprochen: Aus einem Stanislaw Moniuszko, dem berühmten Maler, wird ein Mieszko I, einer der ersten Piastenkönige, unter denen sich Polen Schlesien einverleibte. Aus Stanislaw Staszic, einem Priester und Schriftsteller der polnischen Aufklärung, wird Kasimir der Große, unter dem Polen Schlesien wieder verlor.

Daß Polens Nationalbank den Bürgern vier Nullen wegnimmt, hat mit Währungspolitik nur am Rande etwas zu tun. Endlich sollen Banker, Geschäftsleute und Normalverbraucher von dem Joch erlöst werden, das es bedeutet, für ein Mittagessen in Warschau fünf- und sechsstellige Summen bezahlen zu müssen. Vorbei die Zeiten, als ein Warschauer Ladenbesitzer jeden Abend nach Kassenschluß einen Sack voller Geld zur Nationalbank schaffte und dort beim Einzahlen einen stundenlangen Kundenstau durch das Geldzählen verursachte. Vorbei die Zeiten, zu denen ein Bekannter in drei Reisetaschen 16 Millionen (damals etwa 2.000 Mark) Zloty nach Stettin schaffte, um dort ein Reklamebüro aufzumachen. Münzen sind in Polen schon seit Jahren nicht mehr im Umlauf gewesen. Statt ihrer stopften die Leute Jetons und Karten in die Telefone, Parkuhren wurden gar nicht erst eingerichtet.

Nun will die Nationalbank die abgegriffen Scheine mit Herrn Świerczewski und die Hunderter mit der Standarte der Internationalen Sozialrevolutionären Partei wieder in klingende Münzen verwandeln. Fürs rote, 100 Zloty werte „Proletaryat“ gibt's allerdings erst Mitte des Jahres Ersatz, neue 100er und 200er sind für den Januar noch nicht geplant. Noch zwei Jahre lang gelten ohnehin die alten Banknoten parallel weiter. Für die Polen hat das alles einen Nachteil: In ihrer Mehrheit werden sie keine Millionäre mehr sein. Ein Durchschnittsverdienst sinkt von knapp 5 Millionen auf knapp 500 Zloty, nur in Devisen bleibt's mit etwas über 300 Mark beim alten.

Was kann man also schließen aus der ganzen Operation? Erst mal, daß Polens Inflation inzwischen zivilisierte Maßstäbe erreicht hat, da sonst in Kürze der Materialwert der Münzen ihren Nominalwert überstiege. Und zum anderen, daß in der Nationalbank die nationalen, piastischen Tendenzen den Sieg nicht nur über die revolutionären, kommunistischen davongetragen haben, woran angesichts des seit 1990 dauernden Monetarismus ohnehin kein Zweifel bestand, sondern auch über die dezentralistischen. Ursprünglich geplant war nämlich eine Serie mit Bildern polnischer Städte, die in Deutschland 1989 gedruckt worden war. Die Banknoten wurden dann vernichtet, weil sie nicht mehr neusten Sicherheitsstandards entsprochen hätten, verkündete Nationalbankchefin Hanna Gronkiewicz-Waltz empörten Abgeordneten im Parlament.

Die neuen Noten stammen aus Großbritannien und stellen die drei wichtigsten Piastenkönige dar. Wer auf den höherwertigen Banknoten abgebildet sein wird, hält die Nationalbank einstweilen noch geheim. Sicher ist: Wer im Januar 200 Mark tauschen will, sollte darauf achten, drei Millionenscheine zu bekommen.

Sollte ihn statt dessen Wladyslaw II. Jagiello, Gründer der Jagiellonendynastie, des polnisch-litauischen Reiches und Sieger über die Kreuzritter in dreifacher Ausfertigung anstrahlen, kann er sicher sein, entweder eine Fälschung oder einen Fall von gezielter Indiskretion der Nationalbank vor sich zu haben.