S O F O R T A B R E I S S E N !

■ Neues Jahr, neues Glück. Auch neues Hamburg? Ein schöneres, lebenswerteres, aufregenderes Hamburg gar? Vor dem Neuen kommt der Schrecken, sagt Heiner Müller. Der Schrecken, das ist die Abrißbirne, behaupten wir. Bevor formvergessene Architekten weiterhin in ihren Entwürfen schwelgen und eilfertige Sozialplaner wieder Hand an die Hafenstraße legen präsentieren wir zehn Gebäude, die es wert sind, abgerissen zu werden. Weil sie häßlich, langweilig oder protzig sind. Weil sich in ihnen ein falsches Leben maniestiert.Weil bei ihnen also nur noch eines hilft:

1. Erweiterungsbau des Axel-Springer-Verlages

Als Gott den Axel-Springer-Verlag schuf, wußte er noch nichts von diesem Neubau, sonst hätte er Axel Caesar als Buchverleger kleingehalten. Denn was hier momentan zwischen Caffamacherreihe und Kaiser-Wilhelm-Straße entsteht, ist sicherlich die größte städtebauliche Katastrophe, die an diesem Ort möglich war. Vergessen ist dagegen alles Gejammere über die backsteinerne Innenstadtverödung, jeder ernsthafte Streit über Qualität von Architektur. Der gigantische, momentan im Bau befindliche Trabant mit beinahe 100.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche (Fertigstellung 1997) wird ätzende Gesichtslosigkeit in Dimensionen präsentieren, denen sich niemand mehr entziehen kann. Doch hinter dieser Gesichtslosigkeit steckt Herrenmenschenmentalität, die sich in die grauenhafte Neutralität hellen Granits und verstohlen versteckter Hochhäuser in Innenhöfen verpackt. Die Herrschaft des Komplexes über die gesamte Neustadt wird scheinbar vertuscht durch architektonisches Gestammel und damit dem Kampfblatt des Hauses formal sehr nahe gebracht. Nur leider kauft man Architektur nicht am Kiosk. Da die Architekten Karres-Hartmeyer-Dreyer bis jetzt vor Scham über ihr Erzeugnis noch nicht im Boden versunken sind, sollte man sie vielleicht zwingen, dieses mit ihrem Gebäude zu tun. Dann könnte man dort einen unterirdischen, lichtlosen Komplex für Architekturbüros von ihrem Schlage einrichten, die sich einen feuchten Kehrricht um Kontext, Architektur und Städtebau kümmern. Und davon gibt es leider genug, um jedes dortige Büro dreimal zu besetzen.

2. Neue Flora

Unter vernünftigen Leuten gibt es gar kein Vertun: Die Neue Flora muß wieder weg. Und zwar aus verschiedenen Gründen. Zum einen ist das Gebäude unglaublich häßlich. Der Eingang, nun ja, der könnte zumindest noch als gewagt durchgehen. Aber besteht ein Gebäude nur aus Eingang? Nein. Und die Fassaden der Neuen Flora haben ein wirklich erschreckend langweiliges Spar-Design. Irgendwie mit Säulen und Bullaugen, das reicht nicht. Und dann noch dieses komische Dings auf dem Dach! Was soll das sein? Ein Hubschrauberlandeplatz? Ohne das Dachdings wäre der ganze Bau aber nur noch öde, und das sagt ja wohl genug. Das Gebäude ist so lebendig wie das Musical, das es beherbergt: gar nicht. Keine Stätte der Begegnung, des Gesprächs, des Dialoges. Eine Besucherabfertigungsstätte! Eine Kulturvernichtungsanlage! Darüber hinaus ist es – ein weiterer zureichender Grund für einen Abriß – schlicht nicht wahr, wenn behauptet wird, daß die Phantom der Oper-Besucher inzwischen in das Viertel integriert wurden. Man versuche einmal, vor Beginn oder nach Ende einer Vorstellung an dem Bau vorbeizuradeln! Gnadenlos amüsierwillige Kleinbürger werden keinen Millimeter vom Radweg weichen. Schließlich haben sie viel Geld bezahlt für eine Karte, da wird nicht gewichen! Ganz abgesehen davon, daß das Phantom wesentlich dazu beigetragen hat, den Ruf unserer schönen Hansestadt zu ruinieren. Hamburg, eine Musical-Stadt! Es ist zum Heulen!

3. Spitalerhof

Stellvertretend für die gesamte provinzielle Durchschnittlichkeit der Hamburger Mainstream-Gewerbearchitektur könnte man den Spitalerhof in die Luft sprengen. Er vereint an einer höchst prädestinierten Stelle beinahe alle Merkmale jener teuren Geschmacklosigkeit, mit der sich Hamburg im zentralen Stadtgebiet um die Würde eines charakteristischen Stadtbildes bringt: aufgeregte Zitatsucht, die sich beinahe wahllos aus der großen Bastelkiste der Architektur bedient, geheuchelte Ortsbezogenheit, die sich aber klaren Bezügen entzieht, und ein billiger Protz. Edele Strenge ist diesen Gebäuden ebenso fremd wie selbstbewußte Formensprache. Die Zwitterwesen aus Kontorhaus, Schiff und Investorengeschmack steigern vielmehr die Innenarchitektur von Kettenläden ins Gigantische. Außerhalb jeder Diskussion um Genius-loci-Architektur oder Wagnis von zeitgenössischer Schönheit verströmen diese Gebäude nur den Gestank von Geldgeilheit. Der Spitalerhof hat sich dazu die passende Farbe angelegt: ein widerwärtiges Grün.

4. Madison-Hotel

Das Konzept des Madison-Hotels vermag durchaus zu überzeugen. Es vermietet Wohnungen an sogenannte Geschäftsleute und profitiert dabei hauptsächlich von seiner Lage. In der südlichen Neustadt gelegen, wahrt es die gleiche Distanz zur City, wo besagte Geschäftsleute tagsüber gern andere Geschäftsleute übers Ohr hauen, wie zu St. Pauli, wo sie des Nachts – schließlich sind sie weit weg von zu Hause, ohne auf die häuslichen Annehmlichkeiten verzichten zu wollen – dann entspannt einen wegstecken können. Dagegen gibt es gar nichts zu sagen, das ist modernes Management. Auch daß der Gebäudeklotz sich nicht an die Wohnbebauung der Neustadt anschmiegt, sondern selbstbewußt-wuchtig die Macht des Kapitals in dem ehemaligen Arme-Leute-Viertel bezeugt, hat unseren Segen. Der Bau selbst: quadratisch, praktisch, unseretwegen auch gut. Die ausgeschnittenen Ecken, die angehängten Balkone, die zitierten Säulen, alles in Ordnung. Aber zwei Dinge irritieren dann eben doch. Zum einen beherbergt das Gebäude den Club Meridian. Und zum anderen gibt es an einer Gebäudeseite ein großes, über zwei Stockwerke führendes, rundförmig nach außen gewölbtes und sich nach oben verjüngendes Fenster, durch das man die Idioten, die den Club Meridian bevölkern, auch noch sehen muß, wenn man dran vorbeigeht. Das ist dann doch so viel Arschlochwelt, daß es auf das ganze Gebäude zurückschlägt: abreißen!

6. Polizeirevier Lerchenstraße

Sieht so das Gebäude eines Freundes und Helfers aus? Oder wirkt das Polizeirevier Lerchenstraße nicht doch eher wie die Trutzburg einer feindlichen Besatzungsmacht? Uns jedenfalls mutet es wie letzteres an. Und das beileibe nicht nur, weil die Wache bekanntermaßen schon uniformierte Schlägertrupps beherbergte, die bei der Menschenrechtsorganisation amnesty international auffällig wurden. Nein, auch das Gebäude selbst atmet eher den Geist einer sich einigelnden Diktatur denn eines sich seinen Bürgern öffnenden Rechtsstaates. Ein stilisiertes Türmchen, Fenster, die wie Schießscharten aussehen: Da hat der Architekt sich wohl ein bißchen zu sehr an seine frühkindliche Ritterburgromantik erinnert. Der Eingang ließe sich bequem mit einer einzigen Schußwaffe gegen heranstürmende Autonomenhorden verteidigen. Wer in dies Gebäude hineingehen muß – oder auch hineingetragen wird –, den beschleicht das Gefühl, er wird lange drin bleiben, ganz lange. Nebenbei: Es gibt Kräfte in dieser Redaktion, die statt der Lerchenstraße viel lieber das Polizeihauptquartier am Berliner Tor sprengen wollten. Worauf aber die ökologische Fraktion vehement Protest einlegte: Das Polizeihauptquartier sei so asbestverseucht, daß akute Gefahr für die Anwohner bestehe. Man einigte sich also auf folgenden Kompromiß: Polizeirevier Lerchenstraße abreißen, Polizeihauptquartier luftdicht einpacken.

6. Imbiß Lucullus

Der Imbiß auf der Reeperbahn Ecke Davidstraße läßt sich nicht nur wegen des angeschlossenen Klos mit zwei Wörtern charakterisieren: alles Scheiße. Das fängt zum Beispiel damit an, daß die Würstchen nicht schmecken, ein bei Imbissen nicht ganz unwichtiges Kriterium. Aber damit hört es noch lange nicht auf. Der Name „Lucullus“ beispielsweise ist doch der blanke Hohn. Imbisse haben „St. Pauli Grill“ oder „Bei Herta“ zu heißen, aber doch nicht so. Und dann diese bunte Leuchtreklame! Daß der Service miserabel ist, versteht sich von selbst: In so einem lächerlichen Gebäude möchte niemand gerne Grill- oder Brühware servieren. Die ganze Wurstbraterei ist so künstlich, wie so mancher Stadtplaner ganz St. Pauli gern hätte. Aufgrund der Klos auf der Rückseite hat der Imbiß aber immerhin einen gewissen Gebrauchswert. Und da die Örtlichkeiten vorzugsweise von angeheiterten Touristen frequentiert werden, kann der Einheimische Wetten abschließen, ab welchem Stadium der Trunkenheit mit Pißflecken auf Hose oder Schuhen zu rechnen ist.

7. Elbpromenade

Hamburgs neues zur Elbe gerichtetes Gesicht durchzieht eine häßliche Längsnarbe in zwei Teilen. Zwischen Fischmarkt und Landungsbrücken und zwischen Baumwall und Deichtorhallen haben Hamburgs Stadtplaner einen Fußweg gezogen, der den ganzen Charme städtischen Sozialempfindens verströmt: Man hat eine freundliche Idee und überläßt die Ausführung Banausen. Wer den Fußmarsch von St. Pauli zur Oberbaumbrücke auf sich nimmt, wird auf den neuen Abschnitten das Gefühl nie los, man befinde sich auf einem langgestreckten Sanatoriumsweg der Deutschen Bundesbahn. So ordentlich, spießig und unapart zieht sich der in langweiligem roten Stein gepflasterte Weg hin, so gräßlich sind die rund gelutschten Mauern, so deprimiernd das präzise abgezirkelte Anstandsgrün und die in stupidem Rhythmus aufgestellten Bänke, daß jeder Anflug von Hafenromantik oder Ausflugsfreuden sofort im Keim erstickt wird. Sicherlich gibt es viele Promenaden in der Welt, die von sich aus auch nicht besonders ansehnlich sind und trotzdem ihren Zweck erfüllen. Aber eine, die dem Bedürfnis der Menschen nach Schlendern und Kommunikation so derartig mit sozial-gnädiger Häßlichkeit spottet, sucht sicherlich ihresgleichen. Mit den beim Abriß entstehenden Steinen sollte man die Büros der an dieser Monströsität Beteiligten bis rauf zum Senator vermauern, als Mahnmal gegen den Terror der bürokratischen Gnade.

8. Hochhaus Doormannsweg Ecke Fruchtallee

Wir sind beileibe keine Hochhaus-Hasser. Im Gegenteil: Sie haben etwas genuin Urbanes, und der Blick aus dem, sagen wir: 20. Stock über eine nächtliche Großstadt kann etwas Wunderbares haben. Das Unileverhaus in der Neustadt ist beispielsweise – wenn man davon absieht, wie gewalttätig es ins Viertel gewummert wurde – ein sicherlich gelungenes Gebäude. Nur gibt es für jedes schöne Hochhaus in Deutschland mindestens ein Dutzend noch nicht einmal häßliche, sondern einfach langweilige Möchtegernwolkenkratzer. Stellvertretend für alle möchten wir das Haus Doormannsweg Ecke Fruchtalle abreißen. Denn leider scheinen es wir Deutschen nicht hinzukriegen, die Dinger wohnlich zu gestalten: In regelmäßigem Abstand stürzen sich von dem genannten Bauwerk Menschen in die Tiefe. Das muß doch nicht sein.

9. Neuer Dovenhof

Plötzlich wollte jedes neue Gebäude in Hamburg, das auf sich hielt, wie ein Schiff aussehen. Bullaugen sprossen an allen Ecken und Enden, Gebäudeecken sahen wie ein Schiffbug aus, und Aufbauten erhoben sich wie Kommandobrücken. Dem Neuen Dovenhof an der Ost-West-Straße war das alles zuwenig, viel zuwenig. Er wollte den Vogel abschießen. Er wollte nicht einfach ein Schiff sein, er wollte das Schiff sein, ein Supertanker, nein gleich ein ganzer Flugzeugträger, ach was, ein Raumschiff wollte der Neue Dovenhof sein. Und das ist denn auch geworden. Nur daß er jetzt leider auf dem Platz, der zur Verfügung stand, wie hingeprotzt aussieht. Lieber Leser, machen Sie einmal den Test. Stellen Sie sich vor den Eingang des Gebäudes. Na, wie fühlen Sie sich jetzt. Diese gewaltige Treppe. Diese sich erhaben gebenden Säulen. Und dann dieser Klotz von Fassade, der sich über Ihnen erhebt. Klein fühlen Sie sich, ganz klein. Winzig geradezu. Und Sie bekommen eine Ahnung: Der Neue Dovenhof ist nichts anderes als Einschüchterungsarchitektur. Und bei Einschüchterungsversuchen reagieren wir ganz trotzig: Das Ding muß weg!

10. Gebäude der taz Hamburg Redaktion

Ein Gebäude darf auf der Liste der Abrißkandidaten nicht fehlen: unser Gebäude, das Gebäude der taz Hamburg-Redaktion. Die Mitarbeiter sitzen hier so dicht, daß sie sich gegenseitig wärmen. Müssen sie auch, weil die Heizung nämlich nicht in allen Räumen immer funktioniert. An einigen Stellen atmen die Räumlichkeiten ja noch einen gewissen alternativen Schick, insgesamt aber dominiert eine Art grüner Teppich die Inneneinrichtung, der es nur nicht ganz zum Kunstrasen geschafft hat. Und wenn wir ein bißchen aus dem Nähkästchen plaudern dürfen: Wahrscheinlich muß das Redaktionsgebäude gar nicht abgerissen werden. Wahrscheinlich fällt es nämlich bald ganz von selbst in sich zusammen. Aber wir wollen ja gar nicht klagen. Bald ist Frühling, und dann beginnt der einzige Baum vor unseren Fenstern zu blühen. Dann wird alles wieder gut.

Fotos: Henning Scholz, Markus Scholz; Text: Till Briegleb, Dirk Knipphals