Zwischen den Rillen
: Wandlungen

■ Das ist Dialektik, Leute! Ein Dramolett in einem Aufzug mit den singenden Damen Lisa Germano, Mary Chapin Carpenter und Joni Mitchell

Lisa: Ja, also ich bin die Lisa, die bei John Mellencamp immer die zweite Geige gespielt und die zweite Stimme gesungen hat. Und jetzt, wo John sowieso Herzprobleme hat, möchte ich komplett selbstbestimmt musizieren, wißt ihr. Ich habe schließlich auch was zu sagen, zum Beispiel daß Seltsamkeit eine Gabe ist. Ich meine, Probleme mit dem Herzen deuten ja eher auf Probleme mit Gefühlen hin, was?

Mary: Das ist mir zu allgemein, Darling. Die Wahrheit ist immer konkret, das hat schon Dolly Parton gesagt, die bei mir in Nashville um die Ecke wohnt. Dolly Parton finde ich toll, aber ich möchte andererseits nicht so, hm, pures Nashville sein wie die Dolly. Ich bin schließlich irgendwie jünger und progressiver, Darling. Das mit dem Herzen finde ich auch wichtig – die Dolly hat ja gerade ihre „Herzenslieder von zu Hause“ veröffentlicht. Also ich gehe ja eher vom Folk aus und zurück ins Herz des Country. Ich trage gern Blümchen und höre Joan Baez. Und dich, Joni, finde ich auch toll.

Joni: Ich habe keine Lust, hier was zu sagen. Ich singe, male und rauche lieber.

Lisa: Rauchen ist nicht gut für die Seele, weißt du, es verunreinigt. Männer sind auch nicht gut, und Liebe finde ich überhaupt ziemlich seltsam. Alles Lüge, ich hatte drei Jahre lang Depressionen deswegen. Aber heute sage ich schon mal „Fuck off“!

Mary: Also Männer finde ich manchmal schon toll, vor allem meinen Vater. Der hat mich immer auf den Schultern getragen, und am Wegrand blitzten so Steine in der Sonne. Ich hab gerade ein Lied darüber geschrieben, das heißt „Steine auf der Straße“ und erzählt, wie man erwachsen wird und die Steine am Weg mit immer neuen Augen anschaut.

Joni: Ja, kennt doch jeder, wird ja den halben Tag im Radio für Mittelalte gespielt. Superschöner Song. Hm, überhaupt eine superschöne Platte. Bringt sicher jede Menge Tantiemen. Aber Nashville wär nichts für mich. Ich rauche lieber.

Mary: Ich hab ja nichts gegen Rauchen, aber es ist nicht besonders progressiv.

Lisa: Ich will auch mal was sagen.

Joni: Rauchen ist cool. Wozu noch Statements? Die Statements können die Leute doch im Booklet nachlesen.

Lisa: Ich will auch mal was sagen!

Mary: Sag doch!

Lisa: Ich finde, daß die Leute sich irgendwie mehr auf hypnotische Musik einlassen sollten. Also ich drucke meine Texte nicht mehr ab und nuschle beim Singen auch ein bißchen. Ich meine, die Welt und die Menschheit werden sowieso eines Tages untergehen. Aber glaubt bloß nicht, daß ich eine Heulsuse bin, nur weil ich bei 4 AD unterschrieben habe. Mir sind da jetzt diese Songs über Wölfe und Psychopathen eingefallen, so mit Flöte und Geige und düsterem Schlagzeug im Hintergrund. Also Jack Nicholson finde ich wirklich cool. Ich bin ja nicht so cool, leider.

Joni: Ha, Hypnose – völliger Käse. Früher hatten wir Hypnose nicht nötig. Noch nie was von Jazzpopfolkcrossover gehört? Smarte Sache.

Mary: Klar, hattet ihr Hypnose, Darling. Woodstock und LSD und so!

Joni: Nenn mich nie wieder Darling! Und außerdem war ich nie im Leben in Woodstock.

Mary: Aber wir sind doch Frauen, Freundinnen, wirklich! Wir sind doch alles Menschen, die einander verstehen sollten!

Lisa: Du bist gemein, Joni! Bloß weil du schon siebzehn Solo- Platten raus hast ...

Mary: Ich hab auch schon drei!

Lisa: (schluchzt) Ich hab doch auch drei ...

Joni: Das kann's doch nicht sein, Leute! Seht euch mal an, was Platon in „Der Staat“ geschrieben hat – über die Starken, die alles machen können, was sie wollen, und die Schwachen, die alles erleiden müssen. Das sollte doch vorkommen in der Musik. Zum Beispiel mein Song über Sex: „Sex sells everything/ and sex kills“. Das ist Dialektik, Leute. Also ich hab jedenfalls mein neues Album darauf aufgebaut. Kunst ist doch das Ergebnis von Erfahrung und nicht nur von Seele.

Mary: Richtig, Erfahrung finde ich ganz positiv.

Joni: Oh, Gott. (Raucht.)

Mary: Siehst du, man muß die „kleinen“ Leute ermutigen und ihnen sagen, daß jeder seinen Weg machen kann. Ich hab da dieses Lied aufgenommen, „Ein Hüter für jede Flamme“ ...

Joni: Superschönes Lied. Warum gehst du nicht einfach weg aus diesem dämlichen Nashville und kommst ein paar Tage nach Laurel Canyon? Du bist viel zu schade für Tennessee. Lisa nehmen wir mit. Mit 36 kann die nicht ewig das scheue Mädchen mimen, das über seine Seele meditiert. Da merkt ja keiner, daß sie mal eine passable Klangcollagistin abgeben wird. Kinder, wir würden spielen, rauchen und malen!

Lisa: (schluchzt) Ich kann aber nicht solche Bilder wie Van Gogh oder Joni malen.

Mary: Heul nicht. Es gibt eine Menge zu erreichen – warum also laufen, wenn du genauso gut fliegen kannst?

Joni: (raucht) Oh, Gott. Anke Westphal

Lisa Germano: „Geek The Girl“. 4 AD/Rough Trade

Mary Chapin Carpenter: „Stones In The Road“. Columbia/Sony

Joni Mitchell: „Turbulent Indigo“. Reprise/WEA