■ Von der Selbstauflösung der Treuhandanstalt
: Operation gelungen, Patient platt

Wenn sich eine staatliche Institution termingerecht selbst auflöst, weil sie ihre Aufgabe als erledigt betrachtet, darf mit Beifall gerechnet werden. Dies trifft auch für die am 1. März 1990 von der Übergangsregierung Modrow gegründete Treuhandanstalt zu. Die Glückwünsche zur Selbstauflösung haben freilich höchst unterschiedliche Motive. Die einen sind erleichtert, endlich eine Behörde verschwinden zu sehen, die ihren gesetzlich definierten Auftrag, der „Privatisierung und Verwertung volkseigenen Vermögens nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft“ zu dienen, als Freibrief zum Plattmachen der überindustrialisierten Wirtschaft der früheren DDR definiert habe.

Andere begrüßen das Ende eines Selbstbedienungsladens, der einer Großzahl abgehalfterter Manager der zweiten und dritten Linie sowie frischgebackener Universitätsabsolventen die Möglichkeit schneller Bereicherung geboten und einer Kungelei alter DDR-Eliten und vorzugsweise westdeutscher Geschäftemacher Vorschub geleistet habe. Wiederum andere feiern die Selbstauflösung der Treuhandanstalt als success story einer erfolgreichen Überführung sozialistischen Schlendrians in kompetitive private Unternehmenseinheiten.

Und schließlich sind da noch diejenigen, für die die juristische Auflösung der Treuhandanstalt nur das Ende eines Kapitels der Peripherisierung eines regionalen Wirtschaftsraumes innerhalb des bundesdeutschen Akkumulationsregimes darstellt.

Allen Schönfärbereien der Treuhandspitze zum Trotz: Eine nüchterne Betrachtung der Tätigkeit der Treuhandanstalt kann sich an einem negativen Fazit nicht vorbeimogeln. Zwar ist es richtig, daß die Anstalt mit ihren Privatisierungsanstrengungen in quantitiver Hinsicht höchst erfolgreich war. Auch ist es der Treuhandanstalt und ihrer Präsidentin Breuel gelungen, wenigstens einige der euphemistisch als industrielle Kerne titulierten lokalen Industrieagglomerationen auf reduziertem Niveau zu retten. Mit Blick auf die Herstellung wettbewerbsfähiger Strukturen muß der Anstalt allerdings blankes Versagen konstatiert werden. Die Treuhand bliebjedoch in eine makroökonomische Politik eingebunden, die die Transformation einer realsozialistischen Wirtschaft als bloßen Imitationsprozeß und Institutionentransfer von West nach Ost begriffen hat.

Gegen solche Kritik wird von den Vertretern der Treuhandanstalt und ihren Unterstützern in Politik und Wissenschaft regelmäßig eingewendet, daß die eigentliche Aufgabe der Anstalt auf dem Felde der Privatisierung gelegen habe und Industriepolitik jenseits ihres gesetzlich bestimmten Auftrages gewesen sei. Tatsächlich ist es richtig, daß die Privatisierung im Treuhandgesetz an vorderster Stelle steht. Es heißt dort allerdings auch, daß „die Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen herzustellen und somit Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen“ seien. Potentielle Investoren brauchten nur auf Zeit zu spielen, um der Treuhand immer größere Zugeständnisse zu entlocken. Zu bedenken ist darüber hinaus, daß jeder Akt der Privatisierung nach den eigenen Maßstäben der Treuhandanstalt eine Entscheidung über Unternehmenskonzepte der Neueigentümer sein sollte, und schon deshalb mit jeder Privatisierung eine indirekte industriepolitische Weichenstellung erfolgte.

Faktisch hat die Treuhandanstalt mit ihrer Ablehnung eines systematischen Umstrukturierungskonzeptes einen – sicherlich im einzelnen gar nicht gewollten – Prozeß der De-Industrialisierung gefördert, ohne dadurch aber einen aktiven sektoralen Strukturwandel voranzutreiben. Ein Paradefall liefert das bundesdeutsche Armenhaus Mecklenburg-Vorpommern, das seit 1990 nahezu 450.000 Arbeitsplätze in Nettorechnung verloren hat und dessen Industriebesatz von – im bundesdeutschen Vergleich eh schon niedrigen – 85 auf 28 Industriebeschäftigte pro tausend Einwohner abgesunken ist. Die Privatisierung der Werftenindustrie hat zwar diese zentrale Branche erhalten können, von den ehedem mehr als 50.000 Arbeitnehmern sollen über das Jahr 1995 hinaus aber noch gerade 7.500 übrig bleiben, für die pro Arbeitsplatz eine öffentliche Subvention allein für den Käufern zugesagte Investitionshilfen und die Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von 240.000 DM geleistet wird.

Dazu kommen noch die von der Treuhandanstalt versprochenen Erstattungen für die Lösung der Altlastenprobleme, der Übernahme der Altschulden sowie der Kosten für die Sozialpläne. Industriepolitischer Strukturkonservatismus in Verbindung mit der Schaffung eines dauerhaften Subventionsfalles dieser Sorte, sollte eigentlich auch die hartgesottensten Marktliberalen bei ihren Lobeshymnen auf die Treuhand zum Schweigen bringen.

Selbst im gemeinhin als ostdeutsche Aufsteigerregion gefeierten Biedenkopf-Sachsen stellt das verarbeitende Gewerbe heute gerade noch sechs Prozent der Arbeitsplätze bereit; über alle Sektoren hinweg sind seit 1990 mehr als ein Drittel aller Arbeitsplätze verloren gegangen. Keine Frage: Solche Zahlen spiegeln in aller erster Linie die Tiefe der Transformationskrise wider. Doch gibt es durchaus ernst zu nehmende Hinweise, daß damit ein Entwicklungstrend angezeigt ist, der Hoffnungen auf ein schnelles Überwinden des Tals der Tränen ad absurdum führt.

Zwei Faktoren spielen eine zentrale Rolle. Zum ersten die Reproduktionsstruktur der ostdeutschen Industrie, die ein typisches Merkmal peripherer Wirtschaftsräume aufweist. Während nämlich der Absatz der ostdeutschen Produkte in überwiegendem Maße innerhalb der neuen Bundesländer erfolgt, wird wiederum ein weit überwiegender Teil der Vorleistungen aus dem Westen importiert. Die regionalen Handelsbilanzen der ostdeutschen Länder weisen mithin ein strukturelles Defizit auf. Zum zweiten besetzen die ostdeutschen Unternehmen mehrheitlich die Glieder der Wertschöpfungskette mit der geringsten ökonomischen Dynamik. Regionale Verflechtungen über den Aufbau von Zuliefererketten sowie die Neuentstehung synergetisch wichtiger Forschungs- und Entwicklungsabteilungen bleiben so verbaut.

Die Treuhandanstalt hat der Pleite des Realsozialismus eine neue Pleite hinzugefügt. Sie half mit, einen produktivitäts- und innovationsschwachen überindustrialisierten Wirtschaftsraum in eine abhängige Peripherökonomie zu transformieren. Politisch wird vermutlich in den nächsten Jahren kein Weg an einer neuen staatlichen Institution mit anderem Auftrag und anderem Mitteleinsatz zur Reökonomisierung der neuen Bundesländer vorbeigehen. Kurt Hübner

Wirtschaftswissenschaftler an der FU Berlin