Völkische Front ohne Zentrale

Intensivierte staatliche Maßnahmen gegen Rechtsextreme sorgen für Umstrukturierung der Szene in Kader und Aktionsbündnisse  ■ Von Paul Harbrecht

Berlin (taz) –„Da bleibt nur Auswandern oder das Maschinengewehr.“ Der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger, selbst in Neonazikreisen führend aktiv, ist empört über die staatlichen Maßnahmen gegen Rechtsextremisten. Parteien würden „mit einem Federstrich verboten“, die Funktionäre verfolge man wegen „angeblicher Nachfolgeorganisationen“. Von der „Mediendiktatur“ sei eine „Pogromstimmung“ erzeugt worden, ereifert sich der Mann, der eigens für die verbotene Nationalistische Front (NF) ein „9-Punkte- Programm zur Ausländerrückführung“ erarbeitet hat.

Während in der rechtsextremen Szene noch über die aussichtsreichste Strategie gegen staatliche Verbote gestritten wird, hat sich Nazi-Anwalt Rieger bereits entschieden. 30 Jahre lang habe er gekämpft, damit sei Ende 1995 Schluß. „Ich setze mich doch nicht im Ausland hin und versuche das deutsche Volk zu retten.“

Das Verbot von acht rechtsextremen Organisationen und der Flop bei der großmäulig angekündigten „Aktionswoche“ im August diesen Jahres haben die Szene verunsichert. Ebenso der gescheiterte Umzug von NF-Chef Meinolf Schönborn nach Dänemark sowie zuletzt die Verurteilungen von Christian Worch oder Ewald Althans zu Haftstrafen ohne Bewährung. Daß alle von einem Verbot betroffenen Gruppierungen vorab gewarnt worden waren und die „Nationalen Infotelefone“ von Schleswig-Holstein bis Franken schon wieder die nächsten Verbotskandidaten warnen können, beeinflußt die Strategiedebatten und die daraus gezogenen Konsequenzen wenig.

Die Neonazi-Aktivisten ziehen sich nicht ins Privatleben, sondern in kleine klandestine Gruppen zurück, vermelden die Verfassungsschutzbehörden. Nach Kenntnis von Eckart Werthebach, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, schließen sich die Mitglieder der verbotenen Organisationen zu „Aktionsbündnissen“ zusammen.

Und nicht nur das. Faschistische Skinhead-Rockbands wie „Sturmbann“, „Brutale Haie“ oder „Radikahl“ tingeln wieder durch die Lande, neue nationalsozialistische Grüppchen entstehen, neue Blätter wie Kampfzeit oder Sonnenbanner kursieren. In einflußreichen Zeitschriften wie Nation + Europa wird diskutiert, „alten ideologischen Ballast“ wie die „Fixierung auf historische Themen wie die Auschwitzlüge und die Kriegsschuld“ über Bord zu werfen. Norbert Weidner, Bonner Aktivist der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“, gegen die ein Verbotsantrag läuft, will die „Versammlungsfreiheit im Ausland nutzen“.

Für das Inland wird innerhalb der Szene über Modelle einer „Kaderstruktur“, über „autonome Stützpunkte“ und eine „gesamtdeutsche Koordination ohne Organisation“ gestritten. Schon Anfang des Jahres lösten sich die NF-Nachfolgeorganisationen „Förderwerk Mitteldeutsche Jugend“ und „Direkte Aktion“ auf dem Höhepunkt ihrer Mitgliederentwicklung auf. Man habe die lokalen „Stützpunkte in die vollständige Autonomie entlassen“, erklärten sie. Diese „Kampfform“ sei „für das System unangreifbar“.

Gruppierungen wie die NPD- Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN), die schon seit Jahren Kaderstrukturen praktizieren, werden für Mitglieder verbotener Organisationen attraktiv. Die 200 Mitglieder starke Truppe der JN ruft zum „Aufbau einer schlagfertigen Bewegung“ auf. Ihre Kader haben die „Mailbox Widerstand“ gegründet, das Zeitschriftenprojekt „Saufeder“ initiiert und sind mit spektakulären Aktionen bei den Bayreuther Festspielen oder bei Vertriebenen-treffen in die Schlagzeilen geraten. Nun bekommen sie Verstärkung von den Aktivisten der Anfang November verbotenen „Wiking Jugend“ (WJ). Die Bundesgeschäftsstelle der JN befindet sich mittlerweile im Haus des langjährigen WJ-Chefs Wolfgang Nahrath in Stolberg bei Aachen.

Im Gegensatz zu anderen Gruppierungen, die ausschließlich auf Kader setzen, will Steffen Hupka, einst Führungskader der NF, die Wahlparteien nicht rechts liegen lassen. Der 31jährige, jetzt wohnhaft in Quedlinburg, gibt seit April dieses Jahres ein „Heft für Ideologie und Strategie“ namens Umbruch heraus. Die Verbindung von Kader und Wahlpartei nennt er „nahezu optimal“. Es gelte jetzt, die rechten Parteien für eigene „Ziele nutzbar zu machen“. Mangels ausreichender Kader könnten entsprechende Unterwanderungsversuche momentan „nur lokale Erfolge“ erzielen.

Beispiele dafür gibt es genug. Für die beiden Kundgebungen von NPD und „Deutscher Volksunion“ im Herbst in Passau stellte die NF-Kameradschaft Freising den Ordnungsdienst. Sascha Roßmüller aus Straubing, einst Kämpfer des verboten „Nationalen Blocks“, kandidierte für die NPD zur bayerischen Landtagswahl. NS-Kader wie Ewald Althans, Fred Eichner und Manfred Geith standen auf der NPD-Liste zu den Münchner Stadtratswahlen, und eine Vielzahl von Neonazi-Aktivisten tummeln sich bei der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL).

Eine solch sporadische Zusammenarbeit hat sich in Franken intensiviert. Seit 1990 arbeiten dort Mitglieder von verbotenen Organisationen wie der „Wiking Jugend“, der „Nationalen Offensive“ und des „Nationalen Blocks“ mit Aktivisten der FAP, der DL und der JN im „Deutschen Freundeskreis“ zusammen. Man hält das regionale Modell für so weit gediehen, daß man inzwischen zur Gründung einer „Deutschen Volksfront“ aufruft, einer „gesamtdeutschen Koordinationsarbeit ohne eine zentrale Führung“. Der bayerische FAP-Chef Falco Schüßler ist zufrieden: „Durch Verbote wird die Szene nicht kleiner. Sie strukturiert sich nur um und wird dadurch für die Sicherheitsorgane weniger faßbar, die vor dem Verbot noch genau wußten, wer in welcher Organisation welche Funktion ausfüllte.“

FAP-Chef Friedhelm Busse aus München schert das wenig. Einem möglichen Verbot gewinnt er positive Aspekte ab: „Dann trage ich keine Verantwortung mehr dafür, was dann geschieht. Das wird dann einen heißen Sommer geben.“