■ Fallschirme, Socken, etc.
: Wie Berliner Literaten aussehen und warum wohl

Fast hätte ich vergessen, vom Wochenende in Bad Münstereifel zu berichten. Eine Tagung unter dem Motto „Dem literarischen Nachwuchs (k)eine Chance?“ Das war irgendwie doch ziemlich interessant.

Erstmal hielt Uwe Wittstock, Lektor bei S. Fischer, seinen Vortrag zur Krise der jungen deutschen Literatur ... seine berühmten Thesen, mit denen er vorher und anderswo soviel Staub aufgewirbelt hat ... und die man ja auch schon kannte: diese ganze Geschichte ... warum werden in Deutschland lieber ausländische Autoren gelesen? ... Weil die deutschen Schreiber nur so langweiliges hermetisches Zeug schreiben ... und weil die Kritiker ... und weil die Leser ... na ja.

Und dann wurde diskutiert ... und es war ein Haufen Blablabla ... und irgendwann haben auch die Kritiker diskutiert, von der Zeit, der Süddeutschen, dem WDR, den Stuttgarter Nachrichten ... und von der Berliner Zeitung war eine nette junge Dame da ... und die Literaturförderer vom Deutschen Literaturfonds bis Berliner Senat haben diskutiert ... ein ganzes Wochenende ...

Herr Wittstock übrigens ist ein sehr gut gekleideter Mensch und überhaupt auch sehr gut aussehend ... und er erinnerte mich immer geradezu frappierend an eine Mischung aus dem Berliner Mediziner Lorenz Reill und Jim Rakete, dem Starfotografen und ehemaligen Manager von Nina Hagen und später Nena etc. Nur ist das Rasierwasser von Herrn Wittstock eine Spur zu aufdringlich ... jedenfalls morgens am Frühstückstisch im Kurhaus zu Bad Münstereifel fiel mir das auf.

* * *

Neulich traf ich in Kreuzberg den Schriftstellerkollegen Ulrich Woelk. Und ich fand, daß er etwas elend aussah. Und jetzt frage ich mich, ob das etwas zu tun hat mit seinem Autoren-Status? Dann auch bei fast allen in Münstereifel anwesenden Schreibern konnte ich Ähnliches beobachten. Irgendwie sahen die alle ziemlich krank aus. So bläßlich. Da wurde ja auch zwischendrin ziemlich viel vorgelesen.

* * *

Klaus Modick zum Beispiel: auf dem Lesepodium relativ souverän ... professionell ... aber, wenn man privat mit ihm redet, ist der ziemlich komisch ... wie so viele andere auch ... als würden sie sich ständig überlegen, was sie jetzt sagen dürfen ... ob das opportun ist, von wegen Image und so ... und ob und wann sie mal lachen dürfen und so weiter. Wenn der Modick sich unbeobachtet fühlt, erscheint da plötzlich ein unheimliches Gezucke auf seinem Gesicht: Alles zuckt und zerrt und verzieht sich in sämtliche Richtungen ... und da ist der nicht der einzige. Ich hab das bei einigen beobachtet.

Dann gibt es auch den Woelkschen Typus: mit dieser stark hervortretenden Wangenmuskulatur; die ständig arbeitet, ständig angespannt ist, daß man Angst bekommt, die könnten sich sämtliche Zähne rausknirschen. Roland Koch war so einer; noch ziemlich jung, so Mitte zwanzig ... derzeit Stipendiat am Literarischen Colloquium in Wannsee. Hab mal versucht, mit dem zu reden ... war aber nicht so. Judith Kuckart wirkte halbwegs normal, reist aber gleich nach ihrer Lesung wieder ab.

Dann Burkhard Spinnen: ein promovierter Germanist aus Münster. Sieht ein bißchen aus wie Gregor Gysi ... runder Kopf und runde Brille ... und dazu hochgeschlossene Seidenhemden und breite schwarze Hosenträger ... und dann tönt er immer ziemlich daher ... mit so einer runden Stimme ... passend zu Kopf und Brille ... und macht eher den Eindruck, als würde er mit dem Fußvolk nicht reden. Fußvolk war ich.

* * *

Und Peter Wawerzinek wurde von den anderen auch für Fußvolk gehalten ... denn dessen Seidenhemden sind ziemlich ungebügelt, und darüber trägt er so eine schwarze Cowboylederweste mit großen, silbernen Knöpfen. Und ständig hat er so 'ne kleine Bierpulle in der Hand ... auch wenn der Wawerzinek gar keine Bierpulle in der Hand hat, hat man immer irgendwie den Eindruck, er habe eine Bierpulle in der Hand ... hatte er dann wohl auch ... und als er zu seiner Lesung dran war, verlegte er das gleich vom Konferenzsaal in den Bierkeller ... wo er dann so richtig performte ... vom Barhocker aus, und vom Barhocker runter ... und er sprang zwischen dem Publikum rum ... wie Rumpelstilzchen ... der kleine Dicke mit dem riesigen roten Kopf ... immer mit der Bierpulle in der Hand ... oder hatte er gar keine Bierpulle ... jedenfalls war er der einzige, dessen Buch mich wirklich interessierte ...

Und hinterher haben die Mädels den umlager t... und Wawerzinek holte immer neue Pullen ... ja, Wein diesmal, hinter dem Tresen hervor ... denn da war Selbstbedienung ... und goß den Mädels ein, die ihn da so umlagerten ... A star was born... und ich hörte, wie jemand sagte: das sei ja so eine Art literarischer Pop-Star ... und ich war fast ein bißchen traurig ... weil ich doch eigentlich schon mich selbst für diesen Titel vorgesehen hatte.

* * *

Irgendwann ging es auch mal in der Diskussion um den „Erfolg“ von Büchern und ihren Autoren. Und es wurde die Frage gestellt, ob nicht ein Kritiker, dem zwischen dem Überangebot an Neuerscheinungen mal ein gutes Buch entgeht ... das der einfach nicht gelesen hat ... und das ihm möglicherweise erst zwei Jahre nach Erscheinen unterkommt ... ob er das dann nicht nachträglich in seiner Zeitung besprechen könnte?

Daraufhin größter Protest von Wittstock: daran hätten die Verlage am allerwenigsten ein Interesse ... bis dahin seien diese Bücher längst nicht mehr lieferbar ... und den Verlagen läge mehr daran, daß ein neues Buch rezensiert würde. Also ein Buch kommt in die Läden ... dann müssen innerhalb von ein paar Wochen Besprechungen erscheinen ... wenn das nicht passiert, retournieren die Händler zum vollen Einkaufspreis ... dann gibt der Verlag die Bücher in den Ramsch ... und was noch übrigbleibt, wird Makulatur ... Die Lagerkosten seien viel zu hoch. Das finde ich nicht ermutigend.

Dann war da auch der Lektor von Kiepenheuer & Witsch, Martin Hielscher ... vorher bei Luchterhand. „Der Hielscher hat 'nen Fallschirm an der Socke“, sagte Wawerzinek ... und ich dachte, das sei so ein neuer oder alter Prenzlauer-Berg-Ausdruck ... sowas wie: der hat 'se nich' alle an der Glocke oder sowas ... und später fiel dann mein Blick auf Hielschers Socken ... und tatsächlich: da waren kleine Fallschirme drauf ... und ich glaub' sogar, daß Weihnachtsmänner an den Fallschirmen hingen ... aber das weiß ich nicht genau ... dazu war ich zu weit weg.

Und Wawerzinek meinte: weil er, Wawerzinek, doch so klein sei, kieke er immer zuerst auf die Schuhe der Leute ... zwangsläufig. Ich gucke immer auf die Hände ... und war erstaunt, was für extrem abgeknabberte oder dreckige Fingernägel doch manche Literaten haben. H. P. Daniels