J.R. auf dem Kamelmarkt

Nach einem 1.000-Kilometer-Treck kommen jährlich fast 200.000 Kamele auf den Kairoer Markt. Dort wechseln sie den Besitzer  ■ Von Tomas Niederberghaus

Allah über Ägypten. Wenn Du am Freitagmorgen Deine Augen auf die 15-Millionen-Metropole Kairo richtest: Du siehst blutjunge Pärchen, die im Rausch der Liebe am Ufer des Nils turteln. Du siehst stolze Besitzer der allertollsten Saftläden, die frisches Obst zu kleinen Fruchtpyramiden türmen. Du siehst das pulsierende Leben auf den Dächern der staubgeplagten Stadt, Knirpse, die sich in schwindelerregender Höhe Bälle zukicken. Und verschleierte Frauen, die Ziegen züchten, Wäsche waschen, Kushari kochen. Tausendundein Geruch zieht zum Himmel.

Allah über Ägypten. Da hast Du allen Grund zum Schmunzeln. Doch wenn Du auf den nördlichen Randbezirk Kairos siehst, trübt Trauer Deinen Blick: Auf dem Kamelmarkt Embaba steht das liebe Vieh, das Deinem Volk so viele Dienste erweist. Hier nehmen die stattlichen Gestalten ihre Henkersmahlzeit ein. Sie werden gefesselt und ausgepeitscht.

In der Morgendämmerung, geht es noch ganz friedllich zu: Langsam erwachen die Tiere, seelenruhig liegen sie am Boden, schauen von rechts nach links, von links nach rechts, mampfen genüßlich Gras. Langsam erwachen die sudanesischen Kameltreiber, zupfen ihre Kluft zurecht. In dieser unchristlichen Stunde sprechen sie ihr islamisches Morgengebet. Trinken den ersten Tee.

Am Rande des Verkaufsplatzes schlagen Händler ihre Stände auf: Allerlei Handwerkszeug, Messer und Schwerter, aber auch Schüsseln und Schuhe, Jacken und Matten, Pfeifen, Körbe und Ketten bieten sie feil.

Schluß mit der Seelenruhe. In Scharen ziehen Händler und Schlächter über den Sandplatz. Die Kamele erheben sich, grollen. Sie scheinen zu ahnen, daß ihre letzte Stunde geschlagen hat. „Kommen Sie schnell mit“, lockt uns ein junger Ägypter auf ein Hausdach hoch über dem Markt. Allaa Eldeen Shalawy (18) hat recht: Aus der Vogelperspektive gleicht die höckrige Hundertschaft einer sandüberfluteten Alpenregion. Das Bild der Berglandschaft verändert sich kaum, die linken Vorderbeine der Kamele sind hochgebunden.

Das Geschrei der Wüstenschiffe klingt wie Klagelieder in unseren Ohren. All diejenigen, die den geschäftigen Kaufleuten ins Auge stechen, werden umgetrieben: Mit Stöcken und Peitschen rennen die Männer hinter den hinkenden Kamelen her. Ein kleines resigniert, läuft keinen Meter mehr, wirft sich auf die Seite. Brutal versetzen die Treiber ihre Hiebe. Im Blick des Kamels Angst und Panik. Es brüllt immer lauter: „Hört auf, hört endlich auf“, wird es wohl heißen.

Bevor ein Tier den Besitzer wechselt, die Probe aufs Exempel: Scheinbar gleichgültig und doch mit minuziösen Gebärden untersuchen die Händler die Kamele, tasten den Körper ab.

Hier ein Blick aufs Gebiß, dort ein Stoß in die Rippen, ein Griff zum Höcker – fertig ist die Fleischbeschauung. Der Handel beginnt. Die Debatte dauert. Ernst und wachsam, vital und hartnäckig feilschen die Kontrahenten. Vom Charme und der Schmeichelei, mit der die Händler auf den Straßen Kairos um das letzte Pfund ringen, ist nichts zu spüren. Schließlich ein Händedruck. Das Vieh ist verkauft. „Die Händler kennen sich untereinander genau. Ein Kauf kann oft Stunden dauern“, sagt Allaa Eldeen Shalawy. Der pummelige Ägypter in dem schmuddeligen Galabeya muß es wissen: Jeden Freitag ist er auf dem Markt, schaut er den Kaufleuten über die Schulter.

Der Verkauf von Messern und Peitschen bringt ihm ein willkommenes Zubrot fürs Studium. Was er später machen will? Welch überflüssige Frage. Ganz groß rauskommen möchte er. Im Kamel-Handel natürlich. „So wie der Ibrahim“, flüstert er.

Ibrahim Abulgasim Toski (55) ist im Kamel-Handel so was wie ein J.R. Ewing im Oil-Business. Ein paar Tage nach dem Markt empfängt uns der wichtige Geschäftsmann in seinem Verkaufsbüro am Platz. „Hier läuft alles auf Kredit. Gezahlt wird in zwei Teilen, nach einer Woche die Hälfte, nach der zweiten der Rest.“ Toski erklärt sein Risiko als Zwischenhändler. Siebzig von hundert Kamelen gehen unters Messer. Die anderen werden Arbeitskamele: tragen gehscheue Touristen übers Pyramiden-Plateau, transportieren Rohrzucker von den Feldern der Bauern zur Bahn. Schon in drei Monaten kann sich solch ein Frachttier amortisieren, rechnet der Herr mit der coolen Sonnenbrille und den lustigen Fellpuschen vor. Kurz unterbricht er das Gespräch, geht weg, spricht lauthals mit Kollegen, gestikuliert gebieterisch.

Der Handel hat bei den Toskis Tradition: Ibrahim verhökert die Viecher in vierter Generation. Sein Vater war anno 1892 einer der Gründer des Kamelmarktes Embaba. Der Kairoer Umschlagplatz ist neben Daraw – etwa 30 Kilometer nördlich von Assuan – einer der größten der arabischen Welt. „90 Prozent des in Ägypten verzehrten Fleisches ist vom Kamel.

Rund 150.000 bis 200.000 Tiere werden jährlich aus dem Sudan importiert.“ Ibrahim übertreibt nicht. In recht fließendem Deutsch, schließlich hat er früher in München Politikwissenschaft studiert, charakterisiert er die Marktbedingungen. „Wissen Sie“, fügt er hinzu, „der Sudan möchte seine Stellung als Lieferant nicht verlieren.

Deshalb bekommt Ägypten nur 15 Prozent weibliche Tiere.“ Und die sind fast dreimal so teuer wie die männlichen. Kamelzucht soll mit allen Mitteln verhindert werden. Auch sonst sind die Kameldamen viel wertvoller: 20 Liter Milch gibt so ein Tier täglich, mitunter über mehrere Jahre.

Die Saisonpreise sind gering. Der Wettbewerb ist hart. Die meisten sudanesischen Händler bringen ihre Tiere im Herbst. Nur wenige wagen den 1.000-Kilometer- Treck während der brütendheißen Sommermonate, um ihren Gewinn zu maximieren. Oft ist es ein Verlustgeschäft. Denn die Vierzig-Tage-Reise durch die Wüste ist ein bleischwerer Gang mit zahlreichen Risiken: „Von jeder Karawane werden im Schnitt fünfzehn bis zwanzig Tiere geraubt.“ Der Kaufmann denkt in Zahlen. „Mehr als zehn Millionen ägyptische Pfund in den letzten drei Jahren gingen auf das Konto von Überfällen.“ Ganz zu schweigen von den Risiken für die Ruyans, die sudanesischen Treiber, die die Kamele überführen. Nicht wenige bezahlen die Arbeit mit dem Leben. „Sie werden bei den Überfällen getötet.“ Toski erzählt es mit stoischem Gleichmut.

Sein Blick schweift über den Markt. Im kleinen Teehaus auf dem Kamelmarkt Embaba pausieren die Ruyans auf grünen, klapprigen Bänken: Sie schlürfen Tee, rauchen Wasserpfeife, plaudern angeregt über die Geschäfte. Mohammed Yussof ist einer von ihnen. Elf Jahre schon begleitet er die Trecks. Für rund 25 Tiere ist er verantwortlich. Inzwischen kennt der Sudanese die Wüstenwinkel wie seine Westentasche. Ob ihm der Job trotz aller Umstände Spaß macht? Kurz kratzt er sich an seiner Amaa, der sudanesischen Kopfbedeckung: „Ich kenne doch nichts anderes als die Arbeit mit den Kamelen.“ Im großen und ganzen ist er zufrieden. Der hagere Mann berichtet von seiner Arbeit. „Die Gefahren sind immer da. Abends wird es oft kalt. Wenn wir nach dem Tagesritt das Feuer anzünden und die Kamele ruhig sind, das ist eine gute Stimmung. Manchmal jedoch bedrückend. Man weiß ja nie, was passiert.

Ein Überfall kommt unerwartet. Zur Wehr setzen wir uns nicht. Gegen die Banden hat man keine Chance.“ Während der langen Reise ist das Kamel für den 31jährigen eine Art vierbeinige Fabrik: Tagsüber wird es geritten, abends gibt es Milch. Der Kot dient als Brennmaterial fürs Feuer. Und wenn es krank wird, ist Schlachtfest – Mohammed lacht.

Neben dem Teehaus sorgen Frauen für das leibliche Wohl der Treiber: Flinke Finger schneiden das Fleisch klein, mit Tomaten und Reis wird es gebraten. Ein angenehmer Geruch steigt uns in die Nase, der Magen knurrt. „Das sollten Sie probieren“ – Mohammed hat schon den ersten Bissen im Mund. „Prima. Schmeckt wie Rindfleisch.“ Doch beim Blick aus der kleinen Küche verschlägt es uns den Appetit. Ein Schlächter zieht eine Ziege ran. Sein Messer blitzt in der Mittagssonne. Schnitt. Blut spritzt aus der Wunde, versickert im Sand. Nur Touristen nehmen Notiz: Kameras klicken – im Dauerton.

Allah über Ägypten. Am frühen Nachmittag nimmt der Handel ein Ende. 1.000 Kilometer sind die Tiere gelaufen. Nun werden sie mit aller Kraft auf Pick-ups gehievt, festgebunden wie Pakete. Wild preschen die Fahrer über den Platz. Wie Martinshörner ragen die Köpfe der Kamele über die Autodächer. In Panik heulen die Tiere sirenengleich. Ein paar Stunden noch, und sie baumeln tot im Schlachthaus. Nur wenige sind dem Messer entkommen. Sie humpeln aufgeregt über den Platz, blubbern vor Aufregung rote Ballons aus dem Maul. Andere stehen versteinert am Rand. Allah über Ägypten.