Italiens Kultur auf dem Weg nach rechts

Beim Schwenk zu Berlusconi und den Faschisten haben sich viele Dichter, Denker und Schauspieler als erstaunliche Wendehälse erwiesen  ■ Von Werner Raith

Wenn Massimo Cacciari zur Feder greift oder eines seiner Interviews gewährt, schrillen in der Regel die Alarmglocken bei Freund und Feind – wie kein anderer bringt der Bürgermeister von Venedig, im Hauptberuf Philosoph mit einem Lehrstuhl für Ästhetik, die Fronten in Politik und Kultur durcheinander. So ist der einstige Hauptvertreter des „Negativen Denkens“ – einer an Nietzsche und Schopenhauer orientierten, jedoch sich politisch links verstehenden Schule – in den letzten Wochen behend auf den von der Rechten forcierten Karren des „präsidenzialismo“ aufgesprungen: ein Versuch, mit Hilfe der Direktwahl des Staatspräsidenten den Übergang zu einer autoritären Republik einzuleiten, die das Frankreich des Generals de Gaulle der frühen 60er Jahre zum Vorbild hat. Freilich will Cacciari – und schon wieder purzeln die Fronten durcheinander – diese Forderung nur dann realisiert sehen, wenn gleichzeitig der (bislang völlig fehlende) Föderalismus im Lande zum „zweiten Eckpfeiler der neuen Republik“ gemacht wird. Und das paßt dann wieder der „präsidentialistischen Rechten“ ganz und gar nicht.

Ein Spagat, wie ihn seinerzeit auch Regierungschef Berlusconi mit seinen Alliierten von der separatistischen Liga Nord und der zentralistischen Nationalen Allianz versucht hatte. Insofern war der Vorwurf des politischen Opportunismus gegenüber Cacciari zu erwarten. Der venezianische Philosoph ist mit seinen Denkübungen allerdings im traditionell „linken“ Spektrum nicht alleine. Cacciari behauptet, die traditionellen Schemata links und rechts gäben seit dem Kollaps der ideologischen Blöcke keinen Halt mehr und außerdem hätten sich die weichenstellenden Debatten ohnehin aus dem politischen in den kulturellen Bereich verlagert – seien somit „dort, wo sie auch hingehören“, wie neben Cacciari auch ein anderer Ex-Linker, der Kunsthistoriker Albert Asor Rosa, erkannt zu haben glaubt. Cacciari und eine ganze Anzahl anderer Linksintellektueller hatten im übrigen bereits in den frühen 80er Jahren eine intensive Auseinandersetzung mit den Rechtsintellektuellen begonnen: „Wir müssen uns darüber klarsein, daß rechte wie linke Interpreten italienischer Realität überwiegend von denselben Vorvätern der Philosophie herkommen, daß sie, zu Recht oder zu Unrecht, Autoren wie Schopenhauer und Nietzsche, Heidegger und Carl Schmitt zu ihren denkerischen Ahnen gemacht haben – in unterschiedlicher Auslegung, aber die gemeinsame Wurzel ist doch erkennbar und muß thematisiert werden.“ (Cacciari 1986 in einem Gespräch mit der taz)

In vielen Ländern ist seit Jahren ein oft sogar radikaler Paradigmentausch zwischen der Linken und Rechten erkennbar; freilich ist er nirgendwo so weit fortgeschritten wie in Italien. Viele politische Felder, die einst der Linken gehörten, werden heute in den Augen der Wähler – aber auch nicht weniger Intellektueller – von der moderaten, mitunter auch von der extremen Rechten besetzt. Das jüngste Beispiel dafür ist, wie wenig die Linke aus dem über alle Erwartungen gelungenen Generalstreik von Mitte Oktober zu machen wußte – während der aus der Zentrumspartei (eine Art italienische CSU) stammende Arbeitsminister Mastella sofort auf den Zug aufsprang und nun hauptsächlicher Vermittler zu den Gewerkschaften ist. Umgekehrt sucht die Linke geradezu verkrampft Themen zu besetzen, die der Rechten besonders am Herzen liegen – etwa den Nationalismus, von dessen „solidarisierender Kraft“ auf einmal auch ehemalige Linksideologen wie die Philosophen Gianni Vattimo und Salvatore Veca schwärmen; letzter forderte (angesichts des Golfkriegs) eine neue „Kultur des Krieges“.

Bei manchen dieser Umdenker ist, was auf den ersten Blick wie eine Wende aussieht, eine schlichte Weiterentwicklung vorheriger Positionen. Dennoch scheint sich darüber hinaus bei Italiens Intellektuellen ein „regelrechter Sog“ (il manifesto) zu rechten Positionen zu entwickeln. Kulturschaffende aller Ebenen, vom Starlet bis zum Komponisten, entdecken die früher tabuisierte Rechte. Bei manchen mag man Opportunismus vermuten, andere lassen ihre unter der linken Hegemonie unterdrückten Neigungen nun offen heraus.

Kaum mehr überschaubar ist inzwischen die Zahl derer, die nun ihr Herz „am rechten Fleck“ (Cuore) entdeckt haben. Vor Jahren schmunzelte man über einen wie den Liedermacher Toto Cotugno, dessen Welthit „Sono un'italiano“ noch mit allerlei selbstironischen Bemerkungen gewürzt war („Mit einem Partisanen als Präsidenten, den Spaghetti al dente, dem Autoradio in der rechten Hand und dem Kanarienvogel vorm Fenster“); 1988 präsentierte Cotugno dann schon einen Song, der gänzlich ironiefrei nach rechts auslegte: „Figli“ („Söhne“) graste Themen ab, von denen sich immer schon die Rechte nährte – der Verlust der bergenden Familie, die Drogensucht, Gewalt auf den Straßen, gegen die man eine „harte Hand“ wünscht. Mittlerweile ist solche Kulturkritik Mode geworden.

Neuestes Beispiel: die neue Platte von Adriano Celentano, „Quel punto“. Da legt er sich mit Lesben und Homosexuellen an („quel punto“ ist „dieser Punkt, wo man Pipi macht, und wo ihr verschieden seid von mir“), schimpft auf sexuelle Freizügigkeit, reklamiert Frauen als Privateigentum („Wie herrlich ist sie doch / auch wenn ich einmal ausgerissen bin / viel schöner doch als jene andere – und vor allem gehört sie mir“), denunziert Rap als „Volksverhetzung“. Eine Rap-Gruppe namens Articolo 31, hat daraufhin eine Gegenplatte herausgebracht: „Adriano vacci piano“ („Gemach, Adriano“). Einige Sänger haben sich gar zu Parteibarden entwickelt: Enrico Ruggeri singt für die neofaschistische Nationale Allianz, Claudio Baglioni schmettert für die Berlusconi-Bewegung Forza Italia.

Doch auch jenseits der wetterwendischen Trällerer hat sich kulturell allerhand nach rechts verschoben. Zu altbewährten Radikalkonservativen wie dem Histortiker Renzo De Felice oder dem Philosophen Emanuele Severino gesellen sich heute etwa die Modedesignerin Laura Biagiotti, die sich lauthals zu Berlusconis Rechtsschwenk bekennt, die Schauspieler Giorgio Albertazzi und Francesco Muti (letzterer ist für frauenfeindliche Witze und machistische Posen bekannt), dazu die vordem von der Frauenbewegung hofierte junge Autorin Lara Cardella („Ich wollte Hosen“) und der weltweit bekannte Regisseur Franco Zeffirelli („Jesus von Nazareth“), der sich gar in Sizilien für Forza Italia ins Parlament wählen ließ. Viele von ihnen waren einmal Aushängeschilder der Sozialisten oder der (linksliberalen) Republikaner.

Gleichzeitig wird freilich ein erstaunlicher Aspekt erkennbar: je mehr Dichter, Denker, Designer sich von links oder von der Mitte nach rechts bewegen, um so weniger mögen sich gestandene Altrechte noch als solche bezeichnen. Nach einer Einschätzung des Politmagazins Panorama (das nominell zu Berlusconi gehört, jedoch mit Hilfe einiger Streiks eine gewisse Autonomie erkämpft hat) steht auch für viele Rechte „das Wort links bis heute für herrliche Dinge, für Fortschritt, Massenbewegung, Kampf für Gerechtigkeit, Gleichheit, allgemeine Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse“, während rechts eher für „schlimme Dinge wie Faschismus, Unfreiheit, Ungleichheit“ steht. Die Rechte, die heute die Regierung führt, muß aber nun „den Konsens woanders suchen als bei alten Kämpfern, vor allem bei den Gemäßigten und Liberalen – und sie tut es, indem sie deren Werte als ihre darstellt“.

Konsequenterweise hat sich denn auch innerhalb der Neuen Rechten eine Spaltung ergeben, deren Tragweite durchaus auch für die künftige Kultur Italiens ausschlaggebend sein könnte: Eine ganze Anzahl Altrechter hat sich von der Regierungsrechten abgekoppelt, weniger der dort vertretenen politischen Ziele wegen, sondern wegen der Preisgabe ehemals verbriefter Ecksteine der konservativen bis reaktionären Kultur. Bannerträger dieser Absetzbewegung ist der 85jährige Indro Montanelli: Jahrzehntelang war er mit dem von ihm gegründeten il Giornale (deren Hauptaktionär in den 80er Jahren Berlusconi wurde) praktisch der einzige rechte Journalist von hohem Ansehen. Als Berlusconi in die Politik einstieg, brach Montanelli mit ihm, verließ seine Zeitung und gründete eine neue, la Voce. Die hält sich gut und ist inzwischen nicht mehr nur das Sprachrohr der „unorthodoxen“ Rechten, sondern so ziemlich der einzige wirkliche Kristallisationspunkt effektiver Opposition zu Berlusconi und dem Neofaschistenführer Gianfranco Fini: ein Magnet auch für Linke, die sich vom Greis Montanelli noch immer vormachen lassen müssen, wie man auf das Plattwalzen der italienischen Kultur durch die „Fernseh-Zivilisation“ Berlusconis und seiner Mitstreiter reagieren muß. So schuf Montanelli zum Beispiel aus dem Stand heraus den „popolo del fax“, das Fax-Volk, das Unmut nicht mehr mit aufwendig vorbereiteten Demos und Streiks, sondern in Zehntausenden von Fax- Briefen an Redaktionen und Parteizentralen ausdrückt. Eine mörderische Bewegung für Leute, die der Meinungsforschung so verfallen sind wie der Populist Berlusconi und der geschniegelte MSI- Chef Fini, hat sie doch bereits mehrere Male neue Dekrete ausgehebelt und der Regierung einen Senkrechtsabsturz in der Wählergunst beschert. Ein „hinterhältiger Angriff“, wie sich Berlusconi beschwert, „der uns vor allem jene Schichten abspenstig zu machen versucht, die sich eigentlich für uns und unsere Regierung engagieren möchten, aus Kultur, Wissenschaft, Sozialbewegungen, und die Montanelli immer wieder mit seinem rechten Purismus verunsichert.“

Montanelli, der nun von der Linken gehätschelte Rechte, ist freilich nicht der einzige Oldtimer, der Begriffe wie rechts und links noch immer für sinnvoll hält und der unbeugsam jede „Verunreinigung“ der einschlägigen Werteskalen denunziert. Auch sein Konterpart auf der anderen Seite, der gleichaltrige Erzgegner Norberto Bobbio, Politologe von internationalem Ruf, hält die Scheidung in „rechts und links“ bis heute für „unverzichtbar“. In den Erklärungen, sie sei überflüssig geworden, sieht Bobbio ein „von dieser sogenannten ,Neuen Rechten‘ inszeniertes Manöver, um zu verbergen, daß ihr Rechts-Sein wenig mit rechts und viel mit persönlicher Karrieresucht zu tun hat“ – und „das gilt sowohl für Politiker wie für Künstler und Intellektuelle“. Allerdings merkt Bobbio in seinem in diesem Jahr erschienenen Buch „Destra e sinistra“ („Rechts und Links“, dt. Ausgabe Verlag Klaus Wagenbach), auch an, daß „diese Unterscheidung, die sich vor allem im Gegensatz von gesellschaftlicher Gleichheit (links) und Ungleichheit (rechts) manifestiert, heute auf einer derartigen Abstraktionsebene angesiedelt ist, daß durchaus beide Seiten eine ganze Anzahl realiter wichtiger Einzelaspekte jeweils von links wie von rechts für sich reklamieren können“ – etwa die Forderung nach mehr Autonomie des Bildungssystems, nach Aufwertung der Tätigkeit von Hausfrauen (oder -männern), nach einer Neueinschätzung der Familie etc. „Dennoch“, so Bobbio, ist die Unterscheidung unverzichtbar für die Spannung, die der wichtigste Motor in der Fortentwicklung der neuzeitlichen demokratischen Systeme ist.“

Italiens Bürger geben, derzeit jedenfalls noch, den Rechts- und Links-Wahrern recht. Eine von Panorama durchgeführte Umfrage vom Oktober dieses Jahres zeigt, daß die Scheidung in die beiden Pole zwei Dritteln aller Befragten noch immer sinnvoll erscheint. Allerdings dienen ihnen diese Etiketten derzeit mehr im kulturellen als im politischen Bereich als Differenzierungsmerkmale, etwa bei Showmastern und Regisseuren, Sängern und – Fußballtrainern.