Koranverse und Laserkanone

■ Neue Literatur aus dem Maghreb und ein Themenheft dazu – Schreiben in einer Gesellschaft, die das Schweigen will

Was für die junge Generation in den fünfziger Jahren im Osten das „Licht im Kreml“ war, war für ihre Altersgenossen im Westen Albert Camus' mediterranes Licht, die Hochzeit in Tipasa und der Sommer in Algier. Transparenz, Klarheit und Helligkeit, verbunden mit einem Wissen um die Ambivalenz und Absurdität der menschlichen Existenz. Mit der algerischen Wirklichkeit hatte dies freilich nicht viel zu tun.

Ende der achtziger Jahre begibt sich der algerische Schriftsteller Habib Tengour mit einem Freund auf die Reise nach Tipasa. Alles, was sie sehen, sind verfallene Häuser, häßliche Neubauten und eine Moschee, deren Imam ihnen äußerst mißtrauisch begegnet. „Keine gärenden Düfte, leuchtend und stark. Keine ekstatische Umarmung, die dich umwirft, dich hoch emporwirbelt in den Azur. Aber vielleicht war es einfach nicht unser Tag ... Man reist nur von Topos zu Topos.“

Tengours Roman „Die Bodenprobe“ ist eine Art arabisches „On the Road“, und dieser Kerouac des Maghreb berichtet genauso spielerisch wie unerbittlich vom unaufhaltsamen Niedergang einer Gesellschaft, von Trägheit, Filz und Korruption, von Lethargie und Fanatismus – und das vor 1991, vor dem Wahlsieg der FIS und der Annullierung durch die Militärs.

Inzwischen gibt es in Algerien einen schleichenden Bürgerkrieg, dem bis jetzt mehr als viertausend Menschen zum Opfer gefallen sind. Das Interesse in Deutschland ist gering, vielleicht weil die Lage einfache Identifikationen verbietet. Mit wem soll man hier sympathisieren? Mit einem in den letzten Zuckungen liegenden feudal-sozialistischen Regime oder mit den Untergrundkämpfern der FIS, deren konsequent antiwestliche Parolen und deren Haß auf den Universalismus der Menschenrechte oftmals wie islamistische Interpretationen der Lehre des Antikolonialisten Frantz Fanon („Die Verdammten dieser Erde“) anmuten. Auch den Vorkämpfern des Gottesstaates ist „kosmopolitische Bildung des Geistes“ verhaßt, und sie wissen, daß man bei Erwähnung abendländischer Werte am besten „seine Machete zieht oder sich doch versichert, daß sie in Reichweite der Hand ist.“ Seit März 1993 sind diesem Denken mehr als 50 algerische Intellektuelle zum Opfer gefallen: französisch schreibende Dichter und Schriftsteller, Menschenrechtler, Ärzte, Journalisten, Wissenschaftler. Auf Initiative von Pierre Bourdieu wurde voriges Jahr in Paris CISIA, ein Internationales Komitee zur Unterstützung algerischer Intellektueller, gegründet, das jetzt auch eine Sektion in Berlin besitzt. Das „LiteraturMagazin“ möchte in seiner letzten Nummer auf die Arbeit dieses Komitees aufmerksam machen und widmet sich unter dem etwas plakativen Titel „Zwischen Fundamentalismus und Moderne“ der Literatur aus dem Maghreb. Der 1945 geborene und seit langem auf der Todesliste der FIS stehende Schriftsteller Rachid Mimouni beschreibt die Paradoxie: „Im Maghreb bleiben die Machthaber in einen grundsätzlichen Dualismus verstrickt. Die Moderne wird auf der sachlichen Ebene akzeptiert, aber nicht auf der Ebene der Idee: man ist einverstanden mit der hochtechnischen Maschine, aber nicht mit hellsichtigen und kritischen Intellektuellen.“ So kann beispielsweise die Islamistische Heilsfront gegen die algerische Popmusik, den Rai, oder gegen die Frauenemanzipation zu Felde ziehen, ohne darauf zu verzichten, im Wahlkampf Laser einzusetzen, um an den Himmel von Algier Koranverse zu zaubern.

Und die Literatur? Die Frage des Marokkaners Tahar Ben Jelloun stellt sich noch immer: „Wie kann man schreiben in einer Gesellschaft, die das Schweigen will?“ Ein mehrfaches Sakrileg: französisch zu schreiben, also „in der Sprache der Unterdrücker“, Individualität zu fordern in einer clanartig strukturierten Gesellschaft, das Schrift- und Deutungsmonopol geistlicher Würdenträger zu brechen.

Zwischen den beiden Polen von Orientromantik und pamphletartiger Rechtfertigungsrhetorik aber ist allen Widerständen zum Trotz eine Literatur entstanden, die längst über ihren regionalen Ursprung hinausgewachsen ist.

Ob ins Exil gezwungen oder freiwillig zwischen Algier und Paris hin- und herpendelnd, Autoren aus dem Maghreb sind in Frankreich ins literarische Leben integriert. Schriftsteller wie Goncourt- Preisträger Tahar Ben Jelloun oder der auch als Regisseur bekannte Medhi Charef sind keine Lieferanten für Exotismen, sondern Mittler zwischen westeuropäischem Lebensgefühl und arabischer Tradition.

In seinem Roman „Habel“ hat der 74jährige Doyen der Maghreb- Literatur und Nobelpreisträger Mohammed Dib Großstadtprosa vorgelegt, die ohne allen modischen Apokalypse-Schnickschnack auskommt. Das Interesse in Deutschland hält sich noch in Grenzen. Fast alle der im neuen LiteraturMagazin vorgestellten Autoren aber sind auch hierzulande schon mit Büchern präsent. Was in Frankreich aber Großverlage wie Gallimard oder Editions du seuil publizierten, bringen in Deutschland eher Klein- und mittlere Verlage heraus, ohne auf entsprechendes Medienecho zu stoßen: die hervorragend edierten Maghreb-Reihen bei Beck & Glückler, dem passionierten Donata Kinzelbach Verlag in Mainz (der trotz FIS- Drohungen Rachid Boujedras Manifest „Prinzip Haß“ in deutsch herausbrachte) oder die „Edition Orient“ haben noch immer nicht das Interesse gefunden, das sie verdienen.

Auch die jetzt ausgewählten Prosagedichte, Erzählungen und Romanauszüge sind nicht mehr als knappe Kostproben. Dabei hätte man in diesem Heft durchaus mehr publizieren können, hätte man nicht das letzte Drittel für verstiegenes Geschwätz verschwendet. Ein paar Seiten vorher beschreibt Abdelkader Djemai die letzten Stunden eines von der FIS zum Tode verurteilten Schriftstellers. Es folgt Gescheites über „Goethe in Rom“, bevor das „LiteraturMagazin“ mit Andreas Anters Aufsatz über „Das Lachen Carl Schmitts. Philologisch-ästhetische Aspekte seiner Schriften“ in fröhlicher Wertneutralität endet. Bei all den eifrig aufgestöberten Zitaten vermißt man leider eines: „Wenn du in einen schreienden Sprechchor kommst, mußt du so laut wie möglich mitschreien“, riet der Staatsrechtler Schmitt einst. Das paßt zu dem, was algerische Journalisten berichten: Freitags wird in den Moscheen das Opfer für die nächste Woche bestimmt, der Mullah ruft, und alle schreien laut mit. Aber vielleicht waren derlei gedankliche Verbindungen den Herausgebern des Hefts zu abwegig. Marko Martin

„LiteraturMagazin, Nr. 33“, Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 18 DM.

Habib Tengour: „Die Bogenprobe“. Roman. Beck & Glückler, 301 Seiten, 38 DM.

Rachid Boujedra: „Prinzip Haß. Pamphlet gegen den Fundamentalismus im Maghreb“. Verlag Donata Kinzelbach, 24 DM.

Bücher von Mohammed Dib bei Edition Orient, Donata Kinzelbach, Beck & Glückler

CISIA: c/o Baalbel Verlag, PSF 1714, 14006 Berlin