1995 – das Gedenkjahr

■ Neuer Streit um die Befreiung vor 50 Jahren / Giordano-Brief an Herzog

Berlin (taz/dpa/AP) – 1995, das Gedenkjahr an den Holocaust und an das Ende des von den deutschen Faschisten entfesselten Zweiten Weltkrieges, droht zum Jahr der Aufrechner zu werden. „Auschwitz gegen Dresden“ – in die Nähe dieser infamen Gleichsetzung der rechten Relativierer könnte die Rede geraten, die Bundespräsident Roman Herzog (CDU) anläßlich der Bombardierung der Stadt vor fünfzig Jahren halten will. In einem offenen Brief, der heute in der taz zu lesen ist, warnt der Schriftsteller Ralph Giordano Herzog vor falschen Tönen.

1995 droht auch neuer Streit um den Begriff der „Befreiung“, der schon vor zehn Jahren die innenpolitische Szene rund um den 8. Mai beherrscht hatte. Noch bevor entschieden ist, ob das offizielle Deutschland den 50. Jahrestag des Kriegsendes mit einer Gedenkstunde des Parlaments im Berliner Schauspielhaus begeht, meldet sich der rechte Rand der CDU zu Wort. Alfred Dregger, Ehrenvorsitzender der Christdemokraten: „Die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, die Vertreibung der Ostdeutschen und die Sowjetisierung Mitteldeutschlands waren kein Akt der Befreiung.“ Parteichef Kohl wartet derweil auf den Zeitpunkt, an dem Israel die geplante Teilnahme seines Staatspräsidenten Eser Weizman an dem Berliner Staatsakt offiziell bekanntgibt. Laut Spiegel hat sich Weizman bereits prinzipiell einverstanden erklärt.

Der Bericht wurde von zuständiger Seite in Bonn bestritten. Zugleich wurde darauf verwiesen, daß Herzog bei seinem jüngsten Besuch in Israel Weizman zu einem Gegenbesuch eingeladen habe. Über dessen Realisierung nach dem 8. Mai werde zwischen beiden Seiten zur Zeit gesprochen. Nach Angaben aus dem Kanzleramt hat Kohl bisher Einladungen aus London und Paris zur Teilnahme an dortigen Veranstaltungen zum 50. Jahrestag des Kriegsendes erhalten.

Bereits am gestrigen Neujahrstag wurde mit einer großen Gedenkfeier in New York und einer Botschaft des japanischen Kaisers das Gedenkjahr 1995 eingeleitet. 10.000 Menschen gedachten in der Kathedrale St. John the Divine in Manhattan der sechs Millionen von Nazi-Deutschland ermordeten Juden. Aufgeführt wurde eine „Elegie auf Anne Frank“.

In Japan erinnerten Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko an die Kriegstoten und riefen zu weltweiter Aussöhnung auf: „Wir sollten der Opfer des Krieges gedenken und weiterhin unser Ansehen bei anderen Ländern verbessern.“ Zum fünfzigsten Mal jährt sich 1995 auch der Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima. Wird die Botschaft dieses Ereignisses das Gedenkjahr überdauern?, fragt unser Korrespondent Georg Blume. kotte

Tagesthema zu Hiroshima auf Seite 3

Ralph Giordanos Brief an

Roman Herzog auf Seite 10