Nikosia Airport: Nächster Abflug ungewiß

Zwanzig Jahre nach der türkischen Invasion Nordzyperns wächst der nationale Chauvinismus / Die UNO-Verhandlungen über die Wiedervereinigung sind festgefahren / Mißtrauen statt vertrauensbildender Maßnahmen  ■ Aus Nikosia Klaus Hillenbrand

Der griechische Student Georgios Koutsonikolas verdient sich sein Studium in Nikosia als Pizza- Bote. Da kann man sich schon mal in der Stadt verfahren, zumal wenn es nicht die eigene ist. Koutsonikolas ergeht es nicht anders – aber doch ganz anders. Eines Abends Ende November soll er UNO-Soldaten mit ofenfrischer Pizza bedienen. Leider fährt er ein wenig zu weit. Statt bei den Blauhelmen landet er beim türkischen Militär, wo man ihn erst einmal dabehält. Die Geschichte kommt erst heraus, als sich die UNO-Soldaten beim Pizza-Dienst erkundigen und fragen, wo denn ihre italienischen Backwaren bleiben. Das war der Beginn der Pizza-Krise, glücklicherweise eine der kürzesten Krisen auf der an Konflikten nicht eben armen Insel Zypern. Denn Koutsonikolas wurde schon zwei Tage später von der türkischen Armee wieder freigelassen und in die Republik Zypern zurückexpediert.

Anderswo sind mit dem Ende des Kalten Krieges Mauern gefallen. Im geteilten Nikosia bleibt der Checkpoint Ledra Palace weiterhin Diplomaten und neutralen Ausländern vorbehalten. Griechischen Zyprioten ist das Betreten des besetzten Gebiets von den türkischen Machthabern verboten. Mehr als zwanzig Jahre nach der türkischen Invasion Nordzyperns sind die Fronten auf der Mittelmeerinsel genauso festgefahren wie eh und je. Die zyperngriechisch dominierte Republik im Süden sieht ihre Möglichkeiten erschöpft, mit dem zyperntürkischen Norden einen Kompromiß zu schließen. Im besetzten Norden denkt man laut und unverhohlen über eine Trennung auf Dauer nach – es fehlt freilich die internationale Anerkennung des Pseudostaates „Türkische Republik Nordzypern“.

In der Abflughalle des „Nicosia International Airport“ in der UNO-Pufferzone liegt der Staub zentimerhoch. Alte Leuchtreklamen mit dem Charme der 70er Jahre werben für die „Insel der Aphrodite“. Kein Fluggast läßt sich am Zollhäuschen blicken. Der Duty-Free-Shop ist restlos ausverkauft. Auf der Parkposition steht ein Jet der Cyprus Airways – seit zwanzig Jahren. Er brachte im Juli 1974 Touristen aus Manchester in die Sonne – und in den Krieg. Seither dämmert der Flughafen ungenutzt vor sich hin. „Völlig verrückt, nicht wahr?“ meint der britische UN-Offizier, der das Vorhängeschloß zum Terminal nach der Besichtigung wieder zusperrt.

Die Stadt Varosha hatte einmal 40.000 Einwohner und Hotels mit 10.000 Touristenbetten. Heute leben in den Häusern nur noch Katzen. Von dem Dorf Dherinia aus hat man einen guten Blick auf die Stadt am Meer mit ihren Hochhäusern. Es scheint, als genüge ein Zauberstab, um das Touristenzentrum wieder zum Leben zu erwecken. Doch Zauberer sind auf Zypern Mangelware. Varosha steht seit zwanzig Jahren leer und verfällt. Zutritt zu der Geisterstadt haben nur Patrouillen der türkischen Armee. 40.000 Menschen wurden vertrieben, leben als Flüchtlinge im Süden der Insel. Mit dem „besten Blick auf Varosha“ werben Restaurants in Dherinia am Rande der UN-Pufferzone. Ein bißchen Kriegsgrauen macht sich auf den Camcorders der Touristen sehr gut. Die Kameras surren.

Die diplomatische Tragödie zur Lösung der Zypern-Frage hat bereits so viele Vorstellungen erlebt, daß sich zunehmend auch Zyprioten mit Grausen abwenden. Der jüngste Akt zum Jahrestag der zwanzigjährigen Teilung am 20. Juli lief nach bewährtem Muster ab. Die Vereinten Nationen baten um vertrauensbildende Maßnahmen. Der UN-Plan sah als erste Stufe die Rückgabe der von der türkischen Armee besetzten Geisterstadt Varosha an die zyperngriechischen Flüchtlinge vor – ein Zugeständnis an die Griechen. Zudem sollte der in der Pufferzone gelegene Flughafen von Nikosia zum Nutzen beider Seiten wieder eröffnet werden – ein Angebot an die Türken, denen damit ein direkter Zugang zu internationalen Flugdiensten eröffnet wäre. Die Republik Zypern stimmte nach Bedenken zu, die zyperntürkische Seite schließlich ebenfalls. Doch dann begann das Trauerspiel.

Denktasch und sein Gänsefüßchenstaat

Als es nämlich um die Durchführung des Plans ging, sattelte Rauf Denktasch, „Präsident“ der Zyperntürken, eins drauf. Erst müßte seine von Ankara ausgehaltener Gänsefüßchenstaat anerkannt werden, so seine Forderung. Glavkos Clerides, Präsident der Republik Zypern, konnte dem keinesfalls zustimmen, denn damit hätte er die türkische Besetzung quasi anerkannt und den internationalen Alleinvertretungsanspruch der Republik Zypern aufs Spiel gesetzt. Damit war der Zweck von Denktaschs Verlangen erfüllt: die Verhandlungen platzten. Im Dezember war Denktasch dann plötzlich wieder zu Verhandlungen ohne jede Vorbedingungen bereit. Doch da mochten die Zyperngriechen nicht mehr mitspielen. Ergebnis: keine Verhandlungen.

Die UNO unternimmt momentan einen neuen Anlauf, um die vertrauensbildenden Maßnahmen wieder in Gang zu bringen, ist es doch offensichtlich, daß selbst ein Minimum an Vertrauen bei den Regierenden beider Seiten der Demarkationslinie fehlt. Regierung und Medien in der Republik haben den zyperntürkischen Führer Rauf Denktasch zu einem Staatsfeind stilisiert. Vor dem Europäischen Gerichtshof erwirkte die Republik in diesem Jahr ein Einfuhrverbot von Gütern aus dem besetzten Teil in die Europäische Union. Juristisch mag das korrekt sein, Vertrauen schafft dieser Versuch, den Norden auszuhungern, sicherlich nicht.

Sollte es doch einmal zu der angestrebten Vereinigung in einem gemeinsamen Bundesstaat kommen, wird man Denktasch nicht wie Honecker in den Knast oder nach Chile expedieren können, schließlich genießt der „Präsident“ der „Türkischen Republik Nordzypern“ das Vertrauen eines großen Teils der türkischen Zyprioten. Umgekehrt grenzt das Mißtrauen Denktaschs gegen die griechischen Zyprioten schon an Paranoia, würde man nicht in Rechnung stellen, daß der Mann seit dreißig Jahren im Schüren von nationalem Chauvinismus bestens geübt ist. Da werden beispielsweise armenische Terroristen im Troodos-Gebirge geortet. Oder Denktsch droht nach einigen Stromausfällen im besetzten Norden infolge starker Regenfälle gar, das E-Werk im Süden in die Luft zu sprengen. Was immer in Denktaschs Bananenrepublik Schlimmes passieren mag – der Grieche von nebenan ist schuld.

Doch der Nationalismus blüht auch auf der anderen Seite der Demarkationslinie. Jüngstes Beispiel: Ein Student hatte es gewagt, in der Universitätszeitung einen Artikel unter dem Titel „Zypern ist nicht griechisch“ zu veröffentlichen, in dem er zudem Griechenland, der Türkei und Zypern attestierte, „politisch unterentwickelte Länder“ zu sein. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge. Universitätsrektor Miltiades Chacholiades höchstpersönlich sprach von einem Anschlag auf das zypriotische Volk und glaubte den Studenten damit in Schutz zu nehmen, daß er ihm ein „psychologisches Trauma“ unterstellte.

„Then Xechno“ steht auf dem Umschlag jedes zyperngriechischen Schulhefts geschrieben, „Ich vergesse nicht“. Darunter befindet sich ein farbiges Bild von Kyrenia, Morphou oder Famagusta. Der sechsjährige Savvas hat seine Lektion gut gelernt: „Das haben alles die Türken besetzt. Aber es gehört uns!“ Savvas kann nicht mehr vergessen. Doch vor dem Vergessen stand das Lernen, nicht das Erleben: Kyrenia wurde vierzehn Jahre vor seiner Geburt von der türkischen Armee besetzt. Glaubt man der Übermacht der Medien, dann gibt es auf Zypern nur mehr Griechen und Türken, aber keine Zyprioten mehr. Zypern, ein völkerrechtliches Subjekt ohne Einwohner mit entsprechender Identität? Tatsächlich arbeitet nur eine kleine Gruppe intellektueller „Neo-Zyprioten“ – so nennen sie sich selbst – gegen nationale Denkverbote. Doch, erstaunlich genug: Viele Insulaner wehren sich zwar nicht ausdrücklich gegen die ethnische Spaltung und den von beiden Seiten propagierten Nationalismus, aber sie verweigern sich. Griechische Flaggen werden nicht verbrannt, Veranstaltungen an Heldengedenktagen nicht gesprengt. Sie werden ignoriert.

Seit zwanzig Jahren träumen die zyperngriechischen Flüchtlinge von einer Rückkehr in ihre alte Heimat. Von der Hauptstadt Nikosia aus hat man einen schönen Blick auf das Pendadaktylos-Gebirge. Dahinter, früher in zwanzig Minuten mit dem Wagen zu erreichen, liegt das Hafenstädtchen Kyrenia. „Stolz darf sein, wer ein Türke ist“ haben die Machthaber im Norden in riesiger Schrift an den Berghang pinseln lassen, dazu die Flagge der „Türkischen Republik Nordzypern“. Kyrenia würde wohl auch bei Gründung eines Bundesstaats unter zyperntürkischer Kontrolle bleiben, die Flüchtlinge von 1974 hätten kaum eine Chance zur Rückkehr. Doch die Regierung der Republik hat das bis heute nicht eingestanden. So hoffen viele Vertriebene weiter. Sollte einmal eine Lösung gefunden werden, dann würde ein Abkommen bei vielen Enttäuschung auslösen. Flüchtlinge erster Klasse, wie die aus Varosha, könnten zurückkehren, Vertriebene zweiter Klasse, etwa aus Kyrenia, nicht.

Mit Besorgnis hat UN-Generalsekretär Butros Ghali Ende letzten Jahres eine militärische Aufrüstung registriert. Im Norden stünden nun etwa 30.000 türkische Soldaten mit mehr als 300 Panzern. Aber auch in der Republik werde die Nationalgarde weiter aufgerüstet. Dort besteht ein Verteidigungsabkommen mit Griechenland.

Ausrotten wollten die Griechen ihre türkischen Landsleute, behauptet Rauf Denktasch. Eines Tages könnte die Türkei auch noch den Rest Zyperns besetzten, lauten manche Stimmen unter den griechischen Zyprioten. Im Norden wird die Unterdrückung der Muslime in den Jahren von 1964 bis 1974 hochgehalten, im Süden wird sie offiziell negiert. Von der Regierung der Republik wird die Besetzung durch türkische Truppen zu Recht angeprangert. Im Norden wird aus der Invasion eine „Friedensoperation“ zum Schutz vor den putschenden griechischen Obristen. Seit 20 Jahren durften sich Insel-Griechen und -Türken nicht mehr besuchen, so will es die Regierung im besetzten Teil. Wie soll da Vertrauen wachsen?