■ Der Pfarrer, der ein russisches Flugzeug herunterholte
: „Kleine Ursache, große Wirkung“

Vilnius (taz) – Andrzej, polnischer Korrespondent in Litauen und stolzer Besitzer eines polnischen Mittelklassewagens der Marke Polonez, blickte besorgt auf seine Benzinuhr, die seit der Abfahrt aus Vilnius vor einer Stunde akuten Benzinmangel anzeigte. Das tue sie auch nach dem Volltanken, hatte er uns da noch erklärt, wollte aber für alle Fälle doch eine Tankstelle suchen. Die hatten wir nicht gefunden, was schlicht daran liegt, daß es in der Umgebung von Turgeliai, einer gottverlassenen Landgegend südlich von Vilnius an der weißrussischen Grenze keine Tankstellen gibt.

Jerzy und seine Frau Maja sind zwar noch nicht lange in dieser unwirtlichen Gegend, aber sie kennen ihre Pappenheimer. Die Gegend hier gehörte vor dem Krieg zu Polen, und deshalb sprechen alle alten Leute hier polnisch, Litauer gibt's fast keine. Und wo Polen leben, ist ein Priester nicht weit. Und so ein Priester braucht ein Auto, um seine Schäfchen zu besuchen. Ergo hat er Benzin.

Die Rechnung ging auf. Unser Priester war ausgesprochen erfreut über den Besuch. Als er hörte, daß Jerzy einen deutschen Journalisten im Gefolge hatte, kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wir bekamen Brot, Butter, Speck und reichlich Tee und einen ausführlichen Bericht über die heldenhaften, antisowjetischen Taten des Priesters, als dieser noch kein Priester, sondern Soldat der heldenhaften, aber äußerst verwundbaren Roten Armee war, in welcher Eigenschaft er eigenhändig ein sowjetisches Kampfflugzeug vom Himmel geholt hatte.

„Ich war zuständig für die Luftüberwachung und Einweisung auf einer Luftwaffenbasis im Osten“, hob unser Priester an, mehr russisch als polnisch, aber verständlich, „wir mußten kontrollieren, ob alle Bedingungen zum Landen der Flieger erfüllt waren.“ Einmal waren sie das nicht, weil ein rotes Lämpchen an der Tragfläche nicht leuchtete, das anzeigen sollte, daß das Fahrwerk ausgefahren war. Im Cockpit allerdings leuchtete das Ding. Die Frage war, war das Lämpchen kaputt oder der Flieger? Es war Nacht, das Fahrwerk war nicht zu sehen, und man konnte dem Piloten ja kaum befehlen, in der Gegend herumzufliegen, bis es Tag würde. Der Jäger setzte zweimal zum Landen an, beide Male blieb das Lämpchen dunkel, dann ging dem Ding der Sprit aus. Landen und eine Katastrophe riskieren oder Notausstieg per Schleudersitz hieß die Alternative. „Natürlich riefen wir in Moskau an, und dort entschied ein General für Schleudersitz“, grinste unser Priester verschmitzt. Die Piloten zogen so hoch, wie es ihnen ihre Benzinuhr noch erlaubte, beförderten sich an die frische Luft und sahen von dort aus zu, wie ihre Maschine den Baumbestand eines nahe gelegenen Wäldchens beeinträchtigte. „Es kam eine Untersuchungskommission aus Moskau, die das Wrack wieder zusammensetzte und feststellte, daß tatsächlich nur das Lämpchen kaputt gewesen war.“ Das war die Stelle, an der Jerzy prustend vor Lachen unter dem Tisch verschwand. Unser Priester dagegen genoß eiskalt die Genugtuung, daß die Sowjets einen Militärjet eingebüßt hatten, nur weil ein winziges rotes Lämpchen durchgebrannt war. „Kleine Ursache, große Wirkung“, schloß er trocken. Dann verschwand er im Keller und schleppte einen 20-Liter-Benzinkanister herbei, dessen Inhalt gurgelnd in Jerzys Rostlaube verschwand. Es war schon dunkel und eiskalt, als wir über die engen Landstraßen zurück zur Hauptstadt rumpelten. Die Benzinuhr zeigte immer noch gähnende Leere im Tank an. Auch ein kleines rotes Licht. Was für ein Glück, daß wir nicht im Flieger unterwegs waren, dachte ich. Klaus Bachmann