"Bremsen lassen wir uns nicht"

■ Manfred Kittlaus fürchtet, daß die "Schlußstrichdebatte" die Arbeit der Berliner Ermittlungsstelle für Regierungskriminalität erschwert / Seine Sorge: Das Vertrauen in den Rechsstaat könnte schwinden

Manfred Kittlaus ist Leiter der „Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität“ (ZERV). Die Arbeit der Behörde hat bislang im Bereich der Regierungskriminalität zu 5.300 Verfahren geführt. Unter anderem registrierte die ZERV, daß an den DDR-Grenzbefestigungen 584 Menschen getötet und 757 verletzt wurden.

taz: Fünf Jahre nach Mauerfall wird der Ruf nach einem Schlußstrich immer lauter. Läßt sich das aus ihrer Arbeit rechtfertigen?

Manfred Kittlaus: Das ist nicht gerechtfertigt, weil wir mit unseren Ermittlungen bei weitem nicht am Ende sind. Wir haben lange gebraucht, um überhaupt vernünftige Ermittlungseinheiten aufzubauen. Eine halbwegs zureichende Personalausstattung hatten wir erst im Herbst 1992, ein zentrales Gebäude – vorher saßen wir in acht Orten verstreut – erst seit Frühjahr 1994. Die Bundesrepublik hat bereits teilweise versagt bei der Aufarbeitung der Nazi- Verbrechen, weil man damit zu spät angefangen hat. Das kann aber nicht die Begründung sein, jetzt noch einmal den gleichen Fehler zu machen.

Bekommt die ZERV genug Unterstützung oder zeigt die Debatte bereits Wirkung?

Diese Debatte zeigt natürlich Wirkung. Wir haben bereits die denkbar schlechteste Ausgangsposition für unsere Arbeit. Wir werden finanziert durch Zuwendungen von Bund und Ländern und sind im wesentlichen davon abhängig, daß wir abgeordnete Beamte nach Berlin bekommen. Das ist ein äußerst labiler Zustand. Der Anreiz für Beamte, die bisher gezahlte Aufwandsentschädigung, ist aber seit dem 1. Januar von vorher etwa 1.000 auf 450 Mark brutto gekürzt worden. Für eine Arbeit teilweise mehrere hundert Kilometer von der Heimat entfernt ist das kaum ein Anreiz. Es gefährdet auch die Arbeit, wenn die abgeordneten Beamten in ihrer Heimat einen Nachteil erleiden und dort vergessen und abgekoppelt sind aus den Beförderungsplänen. Vorbildlich ist das Land Nordrhein-Westfalen. Bei anderen Ländern aber ist das nicht gewährleistet. Die Schlußstrich-Debatte beeinflußt natürlich auch die abordnenden Heimatbehörden. Die ersetzen teilweise die Beamten nicht mehr, die bei uns aus persönlichen Gründen ausscheiden.

Es gibt doch Ausstattungsbeschlüsse der Innenminister vom Sommer letzten Jahres.

Ich hoffe, daß diese Zusagen eingehalten werden. Wenn das nicht geschieht, werden die Rückversetzungsgesuche, die ich jetzt schon auf meinem Tisch habe, zunehmen. Das könnte dann unsere Dienststelle austrocknen. Das grenzte dann an Strafvereitlung. Zwar bleibt die Strafverfolgungspflicht bestehen – der von manchen gewünschte Ermittlungsstopp ist ja Gott sei Dank nicht möglich. Das aber kann die Berliner Polizei alleine nicht leisten. Politiker müssen einfach sehen, daß ein Schlußstrich zu einem gestörten Vertrauen der Bürger in die Strafverfolgung führt. Die aber kann in unserem Rechtssystem ohne Bürgerbeteiligung nicht funktionieren. Wenn der Bürger nicht mehr mitarbeitet, werden die Instrumente der Strafverfolgung wirkungslos. Wer pauschal über Schlußstrich spricht, gefährdet tatsächlich das Vertrauen des Bürgers in rechtsstaatliche Instrumente und damit direkt die innere Sicherheit.

Es entsteht doch der Eindruck, daß mit der Anklageerhebung gegen die DDR-Führung sowie der Aufklärung der Mauermorde die wesentlichen Bereiche der Regierungskriminalität abgearbeitet sind.

Der Eindruck ist falsch. Große Komplexe sind bisher noch nicht ausermittelt. Bisher laufen zu 25 Auftragsmorden des Ministeriums für Staatssicherheit Ermittlungsverfahren; etliche Fälle sind noch offen, die sich aus Maßnahmenplänen des MfS oder Opferakten bei der Gauck-Behörde ergeben. Da wurde beispielsweise exakt geplant und vorbereitet, einem Fluchthelfer in Berlin in einem Park aufzulauern und ihn mit einem Hammer zu erschlagen. Selbst über das Gewicht des Hammers machte sich das MfS Gedanken. Was noch in den Anfängen steckt, ist der Bereich Umwelthavarien in der DDR. Da sind wir jetzt intensiv eingetreten. Das betrifft zum größten Teil umfangreiche Schadensfälle und Unfälle zu Lasten der Umwelt, die auch nach DDR-Recht strafbar waren. Dabei geht es nicht nur um die strafrechtliche Ahndung dieser Vorfälle, sondern auch um die Gefahrenabwehr. Wir wissen beispielsweise durch unsere Ermittlungen von Umweltgefahren in der ehemaligen DDR und müssen nachforschen, ob alle Maßnahmen zur Beseitigung dieser Umweltgefahren, beispielsweise von Bodenverunreinigungen, ergriffen wurden.

Geht es dabei auch um den von der DDR betriebenen Handel mit Sondermüll?

Darum geht es auch. Mit Mülldeponien beschäftigen wir uns in zweifacher Hinsicht. Das spielt auch in den Bereich Vereinigungskriminaliät hinein. Das Ermittlungsverfahren um die Vorgänge auf den Mülldeponien in Mecklenburg-Vorpommern – vor und auch nach der Wende – ist bei weitem nicht abgeschlossen. Unsere Ermittlungen beziehen sich auch auf die Vorgänge aus den siebziger und achtziger Jahren. Wir haben beispielsweise die Unterlagen des DDR-Gesundheitsministeriums ausgewertet. Da gibt es Vorfälle, bei denen die DDR die eigene Gesetzgebung verletzt hat. In Dresden wurden beispielsweise jahrelang die Abwässer völlig ungefiltert in die Elbe abgeleitet.

Wird bei der Vereinigungskriminalität nicht entschieden genug ermittelt, weil es sich vornehmlich um West-Täter handelt?

Bremsen lassen wir uns nicht. Eine politische Einflußnahme auf die Ermittlungen ist auch nicht möglich. Eine indirekte Einflußnahme über die Ressourcen und über das Personal ist eine andere Sache. Die vereinigungsbedingte Wirtschaftskriminalität war bis Oktober 1994 bei der regulären Staatsanwaltschaft beim Berliner Landgericht angesiedelt. Erst jetzt hat man die zweite Generalstaatsanwaltschaft geschaffen und nunmehr diesen Komplex zentral zusammengeführt. Wir erhoffen uns davon eine sehr große Beschleunigung der Ermittlungen. Einige Anklagen können aber derzeit nicht behandelt werden, weil die Kapazitäten beim Landgericht nicht vorhanden sind. Die Justizsenatorin hat deswegen darauf gedrungen, daß jetzt auch die gerichtliche Ausstattung verbessert wird.

Wird der Schlußstrich unfreiwillig durch die Verjährungsfristen gezogen?

Beim Bereich der Vereinigungskriminalität mit einem absehbaren Schaden von 26 Milliarden Mark sitzen uns die Verjährungsfristen im Nacken. Das gilt beispielsweise auch für Embargoverstöße beim Technologiehandel mit der DDR. Gerade hier wird die Verknüpfung mit der gegenwärtigen organisierten Wirtschaftskriminalität immer wieder deutlich. Wir haben etliche große Fälle, die nahtlos übergehen in eine akut wirkende Gegenwartskriminalität. Wenn solche Gewinne auf einer Südseeinsel verzehrt würden, wäre das zwar übel, brächte aber keine neuen Gefahren hervor. Gewinne aus der organisierten Kriminalität aber werden erneut für kriminelle Handlungen benutzt. Deshalb müssen wir hier massiv reingehen. Interview: Gerd Nowakowski