Rettet die Grottenmolche! Von Tomas Niederberghaus

Morgens im Bett. Ich genoß den Zustand zwischen Wachsein und Schlafen. Plötzlich schepperte die Schelle. Die Prager sind Frühaufsteher, dachte ich, doch wer konnte das sein? Beim Gang zur Tür zog ich den Morgenmantel an und warf einen Blick durch die Linse. Draußen stand ein mopsiger Mann in einem cremefarbenen Tropenanzug. Über seiner Glatze kugelte sich eine Kappe. Weiße Bartstoppeln bildeten kleine Inseln auf den Backen des Mannes. Und nicht nur das: Ihm war ein Schrecken ins Gesicht geschrieben. Ich öffnete. „Bitte nicht duschen, bitte nicht duschen!“ sagte der Mann und verschränkte seine Arme vor der Brust. Kurz verbeugte er sich. Dann verschwand er.

Dinge gibt's! Was konnte er meinen? Reparaturarbeiten im Haus? Ich ging ins Bad, entschied mich für eine Katzenwäsche, betröpfelte kurz mein Gesicht.

Es dauerte nicht lange bis zum zweiten Schellen. Wieder stand der Mann vor der Tür. „Ich habe nicht geduscht“, beugte ich seinen Befürchtungen vor, verschränkte meine Arme vor der Brust und verneigte mich tief wie ein Torero. Dennoch: „Nicht duschen, bitte nicht duschen!“ sagte der Mann mit verzweifeltem Unterton. Und in Null Komma nichts war er wieder verschwunden. Natürlich schellte es zum dritten Mal. Genervt öffnete ich die Tür. Der Mann sagte nichts, sondern gab mir ein Zeichen. Ich folgte ihm eine Etage tiefer. Seine Frau füllte den Türrahmen zur Wohnung. „Kommen Sie herein und gehen Sie gleich durch ins Schlafzimmer“, sagte die Frau und lief zwei Schritte zurück. Mit einem Bein hielt sie ihren kläffenden, fetten Pudel von mir fern.

Im Schlafgemach der Alten ein Bild des Grauens: Die vergilbte Tapete hing wie Wellblech von der Decke, an den Wänden schlug sie feuchte Blasen. Kaum zu zählen die braunen Flecken. Die rechte Seite des Zimmers glich gar einer Grotte. Überall glitzerten große Plastikplanen, drei Eimer waren als Auffangbehälter für sintflutartige Wasserfälle plaziert. Und der Gekreuzigte an der Wand war ob der Schauer ganz glasig geworden.

„Wer schläft denn auf der Seite?“ frage ich, um dem unmittelbar betroffenen Grottenmolch eine Art Mitgefühl aussprechen zu können. Die Frau grinste. Ihr Blick verriet ihren Gatten. Und dem Pudel war alles egal. Wild wurbelte sein Schwänzchen hin und her. „Es ist nicht die Zeit zu fragen, wer dort schläft“, erwiderte wütend der Mann, „wenn Sie spätabends duschen, werde ich verrückt. Es muß jetzt etwas geschehen.“ Der Mann hatte recht. Ich rief Hana, meine Vermieterin, an und erklärte ihr die nasse Notlage meiner Nachbarn. Sie versprach Rettung.

Zwei Tage später schellte es. Ein Mann stand vor der Tür. „Guten Tag“, sagte der Mittvierziger, „früher hat hier der Petr gewohnt. Ich habe seine neue Adresse nicht. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen?“ Petr war mir nicht bekannt, und ich bat ihn, sich an Hana zu wenden. Und dann fragte der Mann: „Tropft es eigentlich immer noch auf die Nachbarn?“

Fast gefror mir der Kaffee in der Kehle. Ich dachte an die Grottenmolche. Monatelang hatten sie in den Fluten gelebt, ohne ein Wort zu sagen. Kurz darauf fuhr ich zu Jirka, um zu duschen. Doch dort murksten gerade die Klempner im Bad. „Rohrbrüche“, sagte er, „kommen in den Altbauten öfter mal vor.“