■ Englische TierschützerInnen schlagen Alarm
: Truthähne sexuell mißbraucht

Antwerpen/London (taz) – „Wer Putzfrau und Straßenfeger als blöde Berufe betrachtet“, so die flämische Tageszeitung De Morgen, „der weiß noch nicht, was ein Truthahn-Masturbator ist.“ In der Tat gibt es diesen Beruf, gegen den die britische Tierrechtsorganisation „Animal Aid“ in ihrer Jahresendkampagne zu Felde zog. Den englischen Tierschützern zufolge werden die Truthähne nicht nur um den Jahreswechsel in großer Zahl aufgegessen, sondern zuvor auch noch „sexuell mißbraucht“.

Die von „Animal Aid“ vermeldeten Details geben zu denken. Die Truthahn-Industrie nenne den Vorgang euphemistisch „Melken“ oder „künstliche Befruchtung“. Animal Aid spricht jedoch von „sexuellem Mißbrauch“.

An sich ist „künstliche Befruchtung“ nicht mehr sensationell in der Welt zwischen Mensch und Tier, aber die Truthähne seien die einzigen Tiere, bei denen das Sperma auf manuelle Weise abgezapft werde. Das sei ja dann wohl nichts anderes als Masturbation, meinen die Tierschützer. In typisch britischem Humor behaupten sie: „Wenn man das auf der Straße tun sollte, dann wird man nicht nur verhaftet, dann kann man sein Gesicht auch im Golfclub nicht mehr sehen lassen.“ Dahinter steckt jedoch eine weniger humorvolle Welt. Hühner würden noch auf natürliche Weise befruchtet, bei den heutigen Truthähnen ginge das kaum noch. Diese seien nämlich durch genetische Manipulationen mittlerweile so schwer geworden, daß die bis zu 20 Kilo schweren Hähne kaum noch in der Lage wären, die Hennen zu besteigen. Obendrein seien durch die Manipulationen beinahe kaum noch Weibchen übriggeblieben.

Der Züchter kneife dem Hahn ein paarmal in das Geschlechtsorgan, setze ein Blasrohr an und sauge das Sperma ab. Unglücklicherweise käme dabei manchmal etwas in den menschlichen Mund. In der Regel wird die gewonnene Flüssigkeit dann aber dem tierischen Weibchen kredenzt.

In Belgien ergaben Umfragen, daß kaum ein Züchter noch Jungtiere in Eigenregie in die Welt setze. Das sei längst eine Angelegenheit der Briten und Kanadier geworden. In Großbritannien würde nach einer Kampagne vor dreißig Jahren der Truthahn als eine angenehme Alternative zum Huhn gelten, weshalb sich der Markt in diesen drei Jahrzehnten von drei auf dreißig Millionen verkaufte Exemplare vergrößerte.

Sowieso ist die Aufzucht von Truthähnen problematisch. Diese wenig intelligenten Tiere müßten vorsichtig angepackt werden, sie könnten Feuchtigkeit nicht leiden, würden ihr Essen bei zu großer Nässe nicht einmal mehr dann erkennen, wenn sie mittendrin stehen. Außerdem hätten sie in den ersten sieben Tagen ihres Lebens fatalerweise die Neigung, sich gegenseitig mit den Füßen zu betrommeln, wodurch eine gewisse Anzahl von Tieren erdrückt wird.

Der Masturbationsakt sei lange nicht das Schlimmste, was diese Tiere aushalten müßten, weiß „Animal Aid“. Dort, wo die sensiblen Tiere gezüchtet werden, würden sie „dank der Überbevölkerung“ eine große Zahl von Krankheiten bekommen. In einer belgischen Züchterzeitschrift wird offen davon gesprochen, daß den Tieren nicht nur große Mengen Medizin verabreicht werden würde. Tage vor der Schlachtung erhalten sie spezielles Futter, welches die vorbeugende Medizin aus den Truthahnkörpern treiben solle. Obendrein leiden die Tiere während des Transports unter so viel Streß, daß sie gegeneinander kämpfen und sich dabei faustgroße Wunden sowie gebrochene Füße zufügen würden. Sieben Prozent der Tiere würden den Schlachthof nicht einmal erreichen... Falk Madeja