No, no, no No, no, no

Im Kino: „Enthüllung“ / Sexuelle Belästigung durch Frauen? Bitte sehr, wenn's der Unterhaltung dient  ■ Von Anja Seeliger

Michael Crichtons Buch „Enthüllungen“ hat in den USA für Aufregung gesorgt. Es geht um einen erfolgreichen Computerspezialisten, der von einer jungen Frau aus der Firma geekelt werden soll, indem sie ihn sexuell belästigt. Amerikanische Feministinnen gingen auf die Barrikaden, weil sie fanden, sexuelle Belästigung durch Frauen sei wohl kaum das größte Problem dieses Jahrhunderts. Das stimmt wohl, aber Crichton ist auch nicht verpflichtet, sich der größten Probleme dieses Jahrhunderts anzunehmen. Er ist Bestsellerautor und nicht Philosoph oder Psychologe. Sexuelle Belästigung durch Frauen? Bitte sehr, wenn's der Unterhaltung dient.

Soweit ich das verstanden habe, geht es jedoch in diesem Film weniger um sexuelle Belästigung als um Mobbing, das Vernichten einer Existenz, indem man ihr die Grundlage entzieht, nämlich ein regelmäßiges Einkommen, das dem Bürger Brot, ein Dach über dem Kopf und Zahnspangen für den Jüngsten sichert. Ich kann das hier nur so vage andeuten, weil ich des Amerikanischen nicht hundertprozentig mächtig bin. Gott sei Dank sind amerikanische Filme meist so gebaut, daß man auch ohne Worte versteht, worum es geht. Das zeugt vielleicht nicht von Feinsinnigkeit, führt aber dazu, daß „Enthüllungen“ sich bald auch in Oman großer Beliebtheit erfreuen wird. Ein Geschäftssinn, um den wir die Amerikaner nur beneiden können. Es ist mir allerdings absolut unverständlich, warum sich die Verleihe inzwischen darauf kapriziert haben, den Journalisten in den Pressevorstellungen die Originalfassungen vorzuführen, obwohl später in den Kinos eine synchronisierte Fassung gezeigt wird.

Es geht hier keineswegs darum, den Synchronstudios eins überzubraten, die es möglicherweise leid sind, ständig wegen schlechter Übersetzungen gerügt zu werden. Ich spreche hier einzig und allein für mich und die kleine Zahl der Journalisten, die im Kino vergeblich die Ohren aufstellen, um dem amerikanischen Jargon ein verständliches Wort abzuringen. Was ist der Grund für diese Praxis? Sollten die Verleiher der Meinung sein, daß es auf Subtilitäten wie das gesprochene Wort nicht ankommt? Glauben sie vielleicht, wir alle hätten als Austauschschüler ein Jahr in Amerika verbracht? Und warum wird dann der neue Film von Spike Lee vorsichtshalber mit Untertiteln aufgeführt? Was auch immer die Gründe sein mögen, sie sind falsch. Ich verstehe die Amerikaner nicht. Punkt. Der einzige amerikanische Film, den ich jemals im Original gesehen und dabei jedes Wort verstanden habe, war „Schindlers Liste“. Das lag daran, daß in diesem Film alle einen osteuropäischen Akzent hatten. Es erscheint mir auch zweifelhaft, über eine Fassung zu schreiben, die kaum ein Zuschauer sehen wird. Und man kann schließlich nicht unter jede Kritik schreiben: „Diese Fassung haben wir im Original gesehen. Die deutsche Fassung ist möglicherweise ganz anders. Für das Risiko, einen anderen Film als den besprochenen zu sehen, haftet der Zuschauer oder sein Apotheker.“

Tom Sanders (Michael Douglas) ist etwa Anfang 50 und arbeitet in einer Computerfirma, in der er eine leitende Position einnimmt. Er ist verheiratet, hat zwei oder drei Kinder und Schwierigkeiten mit der Entwicklung seines neuesten Produkts. Die Firma – oder besser der Chef, Bob Garvin (Donald Sutherland) – hat ihn auf der Abschußliste. Dazu bedient er sich eines schleimigen Assistenten, der Tom mit einer Mischung aus falschen und richtigen Nachrichten verwirren soll, und einer attraktiven jungen Frau, die er Tom als neue Vorgesetzte präsentiert. Zuerst tut der Assistent seine Arbeit, dann tritt programmgemäß Miss Meredith Johnson (Demi Moore), Ex-Miß-Mexico und -Sanders- Geliebte, auf den Plan. Sie lockt ihn ins Büro, schickt die Sekretärin nach Hause und schließt die Tür ab, serviert dann eine Flasche Weißwein – die ihr später zum Verhängnis wird –, zieht ihre Jacke aus und belästigt Tom. Während sie also – wie behauptet wird – seinen Schwanz lutscht, stöhnt Tom fortwährend „no, no, no“, über 40mal.

Tom entkommt schließlich und fährt heim zu seiner Familie, der er den schockierenden Vorfall verschweigt. Am nächsten Tag ist der Teufel los. Miss Johnson hat ihn falsch informiert, so daß Tom zu spät zu einer wichtigen Besprechung kommt, bei der seine neueste Erfindung vorgeführt werden soll, und außerdem hat sie ihn beim Chef der sexuellen Belästigung bezichtigt. Haut Tom Miss Johnson eine runter? Nennt er seinen Chef einen Idioten? Natürlich nicht. Tom nimmt den Kampf auf und geht zu einer Anwältin, die auf den Straftatbestand „sexuelle Belästigung“ spezialisiert ist. Die Anwältin haut ihn raus, aber Miss Johnson gibt nicht auf. Schließlich hat Tom tatsächlich einen Fehler in seiner Arbeit gemacht, und so versucht sie, ihn als alten Versager zu diffamieren.

Die Firma, in der Tom arbeitet, ist sehr modern. Zwar haben die meisten Mitarbeiter eigene Büros, aber die Wände sind aus Glas. Ein Büro neben dem anderen, alle mit Glaswänden, ringsum führen Gänge. Jeder kann jeden sehen, immer. Ob Tom sich das Haar rauft oder mit seinen Arbeitskollegen zankt, die Kollegen sind informiert. Und wer Einzelheiten wissen will, kann Tom über den Computer anwählen oder das Funktelefon, das Tom ständig bei sich trägt.

Ausstatter Neil Spisak hat dem Regisseur Barry Levinson das Szenario für einen Horrorfilm geschaffen, und Levinson hat eine Heimatfilmversion produziert, den konformistischsten Film gedreht, den ich jemals gesehen habe. Tom haut nur nicht auf den Putz, er denkt nicht einmal daran, auf den Putz zu hauen. Vor zehn Jahren konnten sich die Medien kaum an Horrorgeschichten über ihren Firmen hörige Japaner überbieten. Heute ist die Botschaft: Wir haben euch überholt. Seht, wie treu wir unserer Firma sind. Die Firma hat eine unwahrscheinliche Ähnlichkeit mit dem Hof Ludwigs XIV. Nichts bleibt dem König verborgen, nicht, wer zur Unzeit aufs Klo geht, und nicht, wer das Hemd beim Lever hat fallen lassen. Auch Miss Johnson ist nur eine Marionette bei Hofe.

Levinson ist weit entfernt davon, diese Arbeitsbedingungen als Skandal anzuprangern. Im Gegenteil, gerade durch den neuen „Datenhighway“ wird Tom gerettet. Ein Anrufbeantworter hat die „Belästigungsszene“ en detail aufgenommen, inklusive des über 40mal ausgerufenen „No“. Auf der Ebene der „virtuellen Realität“ sieht Tom mit eigenen Augen, wie Miss Johnson wichtige Daten vernichtet. „Virtuelle Realität“ – wird uns das nicht jeden Tag als Möglichkeit verkauft, seinen Phantasien freien Lauf zu lassen? Von wegen, virtuelle Realität bedeutet, daß du dich auch nach Feierabend mit den Kollegen rumschlagen mußt. Dein Chef wird erwarten, daß du dich morgens vor dem ersten Kaffee zum Rapport meldest, und selbst im Urlaub werden sie dich am Genick ins Konferenzzimmer zerren.

Mittels einer Videoüberspielung aus Malaysia kann Tom seine Vorgesetzte schließlich des Falschspiels überführen. Abgang Miss Johnson und Auftritt von Toms Jüngster als PC-Benutzerin: „We love you, daddy“ heißt ihre Botschaft. Sie wird gewiß mal eine enorm nützliche Arbeitskraft.

„Enthüllungen“, Regie: Barry Levinson. Mit Donald Sutherland, Demi Moore, Michael Douglas u.a., Ausstattung: Neil Spisak, Kamera: Anthony Pierce-Roberts, USA 1994, 115 Min.