„Meine Liebesbeziehungen scheiterten am Geld“

■ Irina D., Journalistin aus Sankt Petersburg, verheiratet mit einem Berliner, über den GUS-Sozialdarwinismus und das Klischee der „tiefen, weiten russischen Seele“

Michael aus Berlin und ich haben im November geheiratet und für dieses Glück danke ich Gott jeden Tag. Jetzt erst fängt das Leben an, von dem ich immer geträumt habe. Aufgewachsen bin ich in Sibirien, in den typischen Verhältnissen eines Provinzkaffs: Der Job als Vorsitzende des Dorfklubs – das war auch schon alles, was ich hier hätte werden können. Aber es war nicht nur die würgende Enge in diesem Dorf, die mich fast umgebracht hätte.

Meine Großmutter war eine Wahrsagerin und Hexe; und weil sie meinen Vater, ihren Sohn, ganz für sich haben wollte, hat sie mich und meine Mutter verflucht. Meine Mutter hat sie aus dem Dorf getrieben und mein Vater hat, wie eigentlich alle Männer hier, nur noch getrunken. Ziemlich zerrüttete Familienverhältnisse also – „euer“ Freud hat schon recht, daß es viel mit der Kindheit zu tun hat, wenn man kein Bein auf den Boden kriegt. Wie auch immer, die schwarze Energie meiner Großmutter hat mich noch verfolgt, als ich mit 17 nach Petersburg flüchtete.

Hier gab es alles, wovon ich bisher immer nur träumen konnte: Theater, Kino, Oper. Wahr aber werden Träume auch hier nur, wenn man Geld oder Beziehungen hat. Am besten beides. Das war schon zu Sowjetzeiten so; aber jetzt ist es ganz besonders krass. In meiner Journalistik-Klasse gibt es nicht einen, der bei einer Zeitung untergekommen wäre. Ohne Beziehungen keine Arbeit und ohne Geld keine Liebe. Es amüsiert mich immer, wenn die Deutschen so von der Tiefe und Weite der russischen Seele schwärmen; alles ein Klischee aus vorrevolutionären Zeiten. Meine Liebesbeziehungen jedenfalls sind immer wieder gescheitert, weil ich kein Geld hatte. Immer waren es die Mütter, die dazwischengingen, weil sie für ihre Söhne nur das Beste wollten – eine Frau mit Geld. Mütter und Söhne, das ist schon ein ganz eigenes Verhältnis in Rußland, besonders nach dem Krieg, als es so wenig Männer gab – kostbare Raritäten sozusagen.

Die letzten paar Jahre war ich eigentlich nur noch mit Schwulen zusammen, denn ausgehen und tanzen kannst du als Frau praktisch nur in ihren Diskos. Überall sonst: die Mafia und ihre neureichen Unterlinge, gestriegelte Jungs, denen du ihre Brutalität schon von weitem ansiehst. Aber wie gesagt, dann traf ich Michael, und so kitschig es klingt, das hat mein Leben verändert. Sogar mehr als geplant. Denn eigentlich wollte ich zwischen Berlin und Petersburg pendeln und hier, in Petersburg, zusammen mit ihm eine Wohnung kaufen. Aber nachdem meine beste Freundin sich eine Wohnung gekauft hatte und keine zwei Wochen später umgebracht wurde – von der Mafia: eine leere Wohnung mehr im Angebot –, habe ich radikal abgeschlossen, nicht nur mit Petersburg, mit Rußland überhaupt. „Tiefe und Weite der Seele“ – im Rußland von heute, bei all dem Sozialdarwinismus, kann man danach lange suchen. Ich habe sie hier, in Deutschland gefunden. Aufzeichnung:

Dorothee Robrecht