: Menschen mit Liebe pflegen
In Norduganda, wo die Regierung einen Krieg gegen Rebellen führte, läßt sich heute der „friedliche Aufbau“ aus der Nähe beobachten ■ Aus Gulu Dominic Johnson
Im Hotel „Acholi Inn“ in der nordugandischen Stadt Gulu herrscht Betriebsamkeit. Tische werden aufgebaut, Plastikstühle von Lastwagen verladen. In der Küche wandern große Haufen frischer Lebensmittel in Kochtöpfe. Die EU-Botschafter in Uganda sind in der Stadt, und am Abend soll gefeiert werden.
Für eine Feier ist das „Acholi Inn“ ein merkwürdiger Ort. Das Hotel ist zum großen Teil ausgebrannt. Auf dem Weg zu dem einzigen erhaltenen Zimmerflügel klettert man durch verkohlte Ruinen. Der Grund für die Zerstörung: Ein Großbrand am 2. September, um drei Uhr früh. „Wir kennen die Brandursache nicht“, sagt der Hotelier. Mit dem langen Bürgerkrieg im Norden Ugandas hatte das Feuer nach einhelliger Auffassung natürlich nichts zu tun. Auch wenn, wie andere Bewohner Gulus wissen, zum selben Zeitpunkt, also „vor drei oder vier Monaten“, Granaten in Gulu einschlugen, als Rebellen die Transformatorenstation angriffen.
Was also soll hier gefeiert werden? Gulu hat unter Ugandas Bürgerkriegen sehr gelitten, zuletzt unter jenem, in dem die derzeitige Regierung gegen nordugandische Rebellen kämpfte. Die Lage im Norden hat sich in diesem Jahr stabilisiert; der Krieg hat aber Tausende von Menschen getötet und viele zehntausend entwurzelt. Allein die Bevölkerung Gulus ist nach Angaben des Bürgermeisters Michael Odwar seit 1991 von 43.000 auf 100.000 gewachsen – unzählige Kriegsflüchtlinge aus den Dörfern suchen in Slumsiedlungen am Rande der Provinzhauptstadt ein Auskommen.
Im Städtchen selber sind die Narben des Krieges nicht zu übersehen. Die zweistöckigen Geschäftshäuser, die mit ihren schattigen Arkaden das Zentrum Gulus bilden, stammen allesamt aus der Kolonialzeit; der weiße und blaue Putz bröckelt, vielerorts sind die Läden auf Dauer heruntergelassen. Im Zentrum steht noch ein alter Wegweiser nach Juba – der Hauptstadt des Südsudan, jetzt durch den sudanesischen Bürgerkrieg unerreichbar. „Während des Krieges“, seufzt Bürgermeister Odwar, „verschwand alles, was Gulu hatte. Die Leute waren auf sich allein gestellt.“ Nun hofft er darauf, daß der Frieden hält und die Kriegsflüchtlinge in ihre Dörfer zurückgehen.
Noch ist in und um Gulu Militär allgegenwärtig. Aber im „Acholi Inn“ will Ugandas Regierung den ausländischen Diplomaten den neuen Frieden vorführen. Odwar ist an diesem Abend einer der prominenteren Gäste; mit ihm kommt die mächtigste Politikerin vor Ort: Betty Bigombe, Staatsministerin für Norduganda, und damit für Pazifierung und Wiederaufbau zuständig. Sie verhandelte bereits mit den nordugandischen Rebellen, als Staatschef Yoweri Museveni dies noch nicht wollte. Die Acholi und Langi, die im Norden Ugandas leben, waren einst das Rückgrat des ugandischen Militärs gewesen; als der aus dem Südvolk der Ankole stammende Museveni 1986 die Macht ergriff, gingen sie in den Busch. Die Führung der Acholi- Rebellion nahm im Laufe der Jahre einen zunehmend christlich- fundamentalistischen Charakter an – Alice Lakwena mit ihrem „Holy Spirit Movement“ und der jetzige Rebellenchef Joseph Kony mit seiner „Lord's Resistance Army“ (LRA). „Konys Anhänger glauben, sie hätten übernatürliche Kräfte und einen direkten Draht zu Gott“, beschreibt Bigombe die LRA. „Sie glaubten an Öl, das vor Gewehrkugeln schützt, an Steine, die sich in Granaten verwandeln.“
Lakwena ist mittlerweile in Kenia im Exil, Kony befindet sich mit seinen Kämpfern im Sudan. Nur etwa 30 bis 40 versprengte LRA- Guerilleros, heißt es amtlicherseits, halten sich noch in den Hügeln nördlich von Gulu auf. Also tatsächlich Grund zur Siegesfeier im „Acholi Inn“?
Bigombe stellt stolz ihre „engsten Mitarbeiter“ vor: Den örtlichen Armeechef, Brigadier Ali Chefe, und vier andere hohe Militärs. Man setzt sich zusammen an einen Tisch mit guter Sicht auf die Tanzfläche. Denn es sollen traditionelle Acholi-Tänze aufgeführt werden. Brigadier Chefe fühlt sich sichtlich wohl auf seinem Ehrenplatz. Wie Staatschef Museveni gehört auch er zum Volk der Ankole, ebenso einer seiner vier Tischgenossen. Sie fühlen sich als Sieger. „Wir kennen die Kühe besser“, wird witzelnd das neue Verhältnis der Ankole zu den Acholi umschrieben: „Wir haben viel enger mit ihnen zu tun gehabt.“ Früher hielten sich die Acholi für überlegen, weil ihnen die Kühe gehörten, mit denen die Ankole als Bedienstete „zu tun“ hatten.
Nun treten die Acholi-Tänzer auf, mit Getrommel und Geschrei, Farben und Wirbel. Sogar Brigadier Chefe dreht eine Runde unter dem Gejohle der Zuschauer und kehrt grinsend an den Tisch zurück. Die Soldaten flachsen. Nur der andere Ankole am Tisch liest ungerührt Zeitung und würdigt weder Schnaps noch Tänzer eines Blickes. „Er ist ein wiedergeborener Christ“, entschuldigt man ihn.
Plötzlich hält der Brigadier inne und steht auf. Betty Bigombe steht vor ihm mit einer demütig blickenden, kleinen älteren Frau, die sich zuvor unter den Tänzerinnen befand. Es handelt sich, erklärt Bigombe, um die Mutter von Alice Lakwena, der einstigen Rebellenführerin. Der Brigadier reicht der Mutter der ehemaligen Todfeindin die Hand. Und während des langen Händedrucks über dem mit Fleisch und Bier gedeckten Tisch spricht der Militärführer, von Bigombe übersetzt, die Absolution: „Uns geht es gut. Deinem Land geht es gut. Das ist der Grund, warum die Sonne scheint. Gott segne dich.“ Die Mutter strahlt. In Uganda haben wohl kaum jemals Sieger und Unterworfene so die Versöhnung ausgesprochen. Es ist, als solle öffentlich eine Art Schlußstrich gezogen werden: Der Krieg ist vorbei, jetzt wird aufgeräumt. Und Brigadier Chefe ist der Aufräumer.
„Ein Militärkommandant ist ein bewaffneter Politiker“, erklärt der Brigadier am nächsten Tag bei einem Gespräch in der Kaserne von Gulu. „Es gibt in diesem Krieg drei Parteien: die Armee, den Feind und das Volk.“ Sieger ist also der, der das Volk gewinnt.
Der Brigadier ist erst seit Juli in Gulu, als Kommandant der dort stationierten Armeedivision. „Als ich herkam“, erzählt er, „gab es Disziplinprobleme in der Armee. Die Soldaten benahmen sich schlecht, zum Beispiel, wenn sie Informationen suchten und die Menschen nicht schnell genug reagierten. Auch die Mobilisierung der Bevölkerung war ein Problem. Das Hauptquartier hier nahm die Menschen nicht ernst. Als ich kam, fing ich also an, mit den Menschen zu reden, um sie zu meinen Verbündeten zu machen.“ Darin hält er sich offensichtlich für besser als die örtlichen Politiker. „Die Verwaltung hat hier keine Wurzeln geschlagen“, klagt er. Um die Menschen zu gewinnen, meint er, muß man sie mit „Liebe“ pflegen, so wie ein guter Hirte sein Vieh.
Es ist wohl auch nicht so schwer, die Menschen Nordugandas zu gewinnen. Die Rebellen der LRA sind für ihre Brutalität bekannt, nicht aber für ein politisches Konzept. Staatsministerin Betty Bigombe zeigt Fotos von Opfern der Rebellen, denen die Lippen abgeschnitten wurden. Auch eher regierungskritische Menschen in Gulu halten von den Rebellen nichts. „Sie kämpfen gegen ihr eigenes Volk“, ist ein häufig geäußertes Urteil.
Am meisten Haß haben sie wohl mit der systematischen Entführung vor allem von Kindern auf sich gezogen. „Die Rebellen entführen Kinder zwischen sieben und fünfzehn Jahren und nehmen sie mit in den Sudan“, sagt Ignatius Oloyi von der Hilfsorganisation „World Vision“. Dort werden sie von der LRA zum Arbeitsdienst verpflichtet, als „Schutzschilde“ benutzt, zwangsrekrutiert oder vergewaltigt. „World Vision“ organisiert Reintegrationsprojekte für mehrere hundert Entführte, die bisher fliehen oder von der Armee bei Kampfhandlungen zurückgeholt werden konnten. Familien werden gesucht, Auffanghäuser eingerichtet.
Wer nirgendwohin gehen kann, bleibt vorerst in der Kaserne von Gulu. In zwei kleinen Baracken leben dort 23 Entführungsopfer, betreut von einem Acholi-Major namens Francis Achoka. Der 22jährige Christopher Nyebo hat nur noch ein Auge, nachdem ihn die Rebellen vor drei Jahren beim Fluchtversuch bewußtlos schlugen, für tot hielten und liegenließen. Ein Mädchen trägt ein Baby in den Armen – nach Angaben des Majors Ergebnis einer Vergewaltigung durch Rebellenchef Kony persönlich. Sie stamme aus Konys Heimatdorf und traue sich nicht mehr zurück, erklärt er.
Systematische Entführung von Kindern
„Die Rebellen stürmten unser Dorf um Mitternacht“, erzählt der elfjährige Francis Omony. „Sie ließen meine Eltern in Ruhe, aber mich nahmen sie mit. Sie nahmen mich weit weg in den Busch. Wir mußten ihr Gepäck tragen. Sie warnten uns davor, zu fliehen, und sagten, sie würden uns gut behandeln, wenn wie ihnen folgten.“ Was das hieß, erfuhr Francis, als Kony den Befehl erließ, Schnapsbrauer hinzurichten: Francis' Gruppe fand eine Mutter zweier kleiner Kinder, fesselte sie und zwang den Jungen, sie mit der Machete umzubringen.
Mit solchen Feinden dürfte es Brigadier Ali ein leichtes sein, das Volk zu gewinnen. Siegessicher ist der Kommandant sowieso. „Kony ist in den Sudan gegangen; wenn er zurückkommt, werden wir ihn schlagen“, sagt er selbstbewußt und lehnt Verhandlungen ab. Politiker und Militärs in Uganda halten es nicht für ausgeschlossen, daß Kony demnächst mit sudanesischer Aufpäppelung einen Angriff auf Uganda unternimmt.
Um das Militär im Inneren Nordugandas vorbeugend zu entlasten, werden seit August sogenannte Home Guards aufgestellt, also freiwillige Milizen zur Dorfverteidigung. Etwa 9.000 Mitglieder hätten diese bereits im Norden Ugandas, sagt der Brigadier. Und es sollen noch mehr werden. Daß damit die offizielle, von Geldgebern gelobte Politik der Verkleinerung der Armee unterlaufen werden könnte, stört ihn nicht: „Die Milizionäre sind billiger“, erklärt er. Sie bekämen monatlich 10.000 Shilling (15 DM) Sold, reguläre Soldaten dagegen achtmal soviel. So kann man natürlich auch den Verteidigungshaushalt reduzieren.
Aber es geht wohl doch um mehr. Am Nachmittag marschieren auf dem früheren Flughafen von Gulu die Kommandeure der „Home Guard“ auf. Der Flughafen wurde während der Bürgerkriege so stark zerstört, daß er nur noch als Trainingsareal dient – aber was für eines. In einem leeren durchlöcherten Hangar sitzen viele junge Männer – 1.320, wird erklärt – in genormter Zivilkleidung, militärisch aufgereiht. Sie bilden drei Seiten eines offenen Quadrats, auf der vierten Seite stehen die Stühle für die Besucher.
Der Brigadier erscheint mit Anhang, die Menge springt auf. Der Brigadier stellt sich in die Mitte und hält eine Ansprache. Der Brigadier kann aber die Acholi-Sprache nicht, und braucht den Acholi- Major Achoka zum Übersetzen. Dann kommt die Show: Kriegslieder, gegrölt aus über tausend Kehlen, begleitet von Händeklatschen und Trompeten und angefeuert von den Soldaten. „Ich kämpfe weiter, bis ich mein Land befreit habe“, singen sie inbrünstig.
In der Mitte tanzt inzwischen eine kleine verkleidete Figur. Sie trägt ein weißes Priestergewand und eine Maske mit Bärtchen, gespitztem Predigermund und blauer Brille. „Er spielt Kony“, wird erläutert. Neben dem Maskenträger springt ein Soldat mit Stock, dahinter stampft eine Kompanie mit den Füßen, als ob sie auf der Stelle läuft: die Verfolgung Konys. Der Brigadier ist begeistert.
Doch für die Verfolgung Konys ist weiterhin die Armee zuständig, deren Soldatenfamilien rings um das Flughafengelände in Hütten leben. Wozu dient also die Miliz? Die „Kommandanten“ auf dem Flughafen werden, wie fünf von ihnen später gemeinsam im überwachten „persönlichen Gespräch“ mitteilen, in dreimonatigen Schulungskursen von der Armee auf eine zukünftige Führungsrolle vorbereitet. Von der militärischen Ausbildung abgesehen, lernen sie auch Verwaltungswesen und Politikwissenschaft. Was ist Politikwissenschaft? „Das wissenschaftliche Management der Gesellschaft“. Wenn der Krieg vorbei ist, „werden wir zurückgehen und wieder Bauern sein“ – und dann wohl die Wissenschaft anwenden dürfen.
Hier zieht sich ein Staat in erobertem Gebiet seine Statthalter heran. Sie sollen schaffen, was Musevenis Regierung bisher nicht gelang: Die „hearts and minds“ der Acholi und Langi zu gewinnen. Sollte die Strategie aufgehen, wäre das eine Sensation. Aber die Siegesfeier im „Acholi Inn“ sollte ja auch den Eindruck erwecken, daß Sensationen möglich sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen