■ Aus der guten alten Zeit
: Vom Winde verweht: Flucht aus der Dust Bowl

Umweltflüchtlinge – neustes Schreckgespenst für viele Zeitgenossen in angeblich vollen Booten – sind keine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Die irische Hungersnot in den 1840er Jahren zum Beispiel, als ein Fäulnispilz mit den in Monokulturen angebauten Kartoffeln allzu leichtes Spiel hatte, trieb ein bis zwei Millionen IrInnen nach Amerika. Der zehnte und letzte Teil der taz-Umweltserie befaßt sich allerdings mit einer Flucht innerhalb der USA.

In den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts kam es zu einer wahren Völkerwanderung aus dem mittleren Westen der USA nach Kalifornien. Unzählige gewaltige Staubstürme fegten ab 1931 ein Jahrzehnt lang über große Teile der USA. Der Staub aber war eigentlich Erde: Ackerboden, der vom Wind weggetragen wurde. Er lagerte sich überall ab, wo man ihn nicht wollte, wurde bis an die Ostküste geweht, und bedeckte noch 300 Meilen vor der Küste fahrende Schiffe mit einer Staubschicht.

Deshalb brachten im Jahr 1934 nur 15 Prozent der Anbaufläche in den südwestlichen Landesteilen Erträge. Damals riet der Innenminister Harold Ickes den Bewohnern West-Oklahomas, ihre Heimat zu verlassen. Ein einziger „Duster“ im März 1935 vernichtete zwei Millionen Hektar Felder. Für die USA war diese Umweltkrise ökonomisch wahrscheinlich verheerender als die Weltwirtschaftskrise jener Zeit.

„Wenn wir aus dem Fenster schauen, sehen wir nichts als Staub, er knirscht zwischen den Zähnen, man fühlt und schmeckt den Staub; seit Stunden habe ich nichts gehört, denn meine Ohren sind voll. Ein bißchen Old Mexico, Texas oder Colorado oder was auch immer deckt alle Dinge zu“, schrieb ein Journalist aus Colorado. Vom Sturm überraschte Menschen wurden unter Staubverwehungen erstickt gefunden. Für die Behandlung von Staublungen und Atemwegsinfektionen wurden Notkliniken eingerichtet. Damals hatte der mittlere Westen seinen Namen weg: „Dust Bowl“ – Staubschüssel.

Die Prärie, die erst von Indianern, dann von weißen Viehzüchtern besiedelt war, wurde erst ab etwa 1850 als Ackerland genutzt. Die Erde war nun nicht länger von Gras bedeckt, die Winderosion setzte bei den periodisch auftretenden Dürren ein. Die Einführung von Landmaschinen erschien da als Segen. Immer intensiver wurde der Anbau auf immer größeren Feldern. Die Nachfrage durch den Ersten Weltkrieg bescherte den Farmern goldene Zeiten, „mehr Weizenanbau! Weizen gewinnt den Krieg!“, hießen die Appelle, und immer mehr Weizenfelder wurden angelegt. Bis es eine Weizenschwemme gab und der Markt zusammenbrach. Die Weltwirtschaftskrise begann, und die Felder mit ihrer pulverfein gepflügten Ackerkrume lagen nackt und brach, schutzlos dem mit der Dürre einsetzenden Wind ausgeliefert.

Auf klapprigen Lastern machten sich jämmerliche Trecks von Hungerflüchtlingen auf den Weg nach Westen ins gelobte Land. Daß sie allerdings dort auch keiner haben wollte, daß das kalifornische Boot denen, die drin waren, schon voll genug schien, hat John Steinbeck eindringlich in „Früchte des Zorns“ geschildert. Nicola Liebert