"Wichtig ist die Lust am Verändern"

■ Rita Grießhaber, frauenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, über künftige Ziele grüner feministischer Politik

taz: Eine der ersten Amtshandlungen der bündnisgrünen Bundestagsfraktion war die Präsentation eines eigenen Beratungsgesetzentwurfs zum Abtreibungsrecht. Die Grünen entfernen sich da von früheren Positionen. Immerhin geht es nicht mehr darum, den § 218 zu streichen.

Rita Grießhaber: Schon als Stadträtin in Freiburg und frauenpolitische Sprecherin des Landesvorstands von Baden-Württemberg habe ich beim § 218 auf zwei Ebenen gekämpft. Und diese Politik betreibe ich weiter. Einmal geht es mir um das Selbstbestimmungsrecht der Frau, und ich plädiere für die Streichung des Paragraphen. Auf der anderen Seite kämpfe ich für jede mögliche konkrete Verbesserung für die betroffenen Frauen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bestimmte Vorgaben gemacht, nach denen das Abtreibungsrecht reformiert werden soll. Welche Verbesserungen enthält Ihr Gesetzentwurf im Gegensatz zu dem unlängst von der SPD vorgestellten Entwurf?

Uns geht es darum, daß die Rechte der Frauen eindeutig benannt werden. Beispielsweise heißt es bei uns: Die Frau hat in jedem Fall ein Recht auf die Beratungsbescheinigung. Die Frau soll entscheiden, ob jemand Drittes bei der Beratung dabei ist oder nicht. Darüber hinaus soll die Frau das Recht haben, keine Gründe für den Abbruch anzugeben. Außerdem wollen wir, daß es weder für das familiäre Umfeld, noch für die Ärzte besondere Strafandrohungen gibt. Es gibt gewisse Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes, an denen wir leider im Moment nichts ändern können. Aber innerhalb dieser Vorgaben gibt es in unserem Gesetzentwurf wesentlich mehr Spielräume, als im SPD- Entwurf enthalten sind.

1989 sagte die damalige Bundesfrauenreferentin der Grünen, Sigrun Klüger, „wenn Regierungsbeteiligung über allem steht, sind provokative Wahrheiten grundsätzlich nicht mehr möglich und feministische Positionen mit der Parteiarbeit nicht mehr vereinbar“. Nun ging es den Bündnisgrünen im letzten Bundestagswahlkampf explizit um die Regierungsbeteiligung, feministische Themen spielten im Wahlkampf keine Rolle – existieren keine feministischen Positionen mehr in Ihrer Partei?

Die Frage ist doch, ob man feministische Politik immer nur daran mißt, alles über den Haufen zu schmeißen und ganz neue Geschlechterverhältnisse herzustellen – das kann keine. Im Freiburger Stadtrat hatten wir zusammen mit der SPD Gestaltungsmehrheitsverhältnisse. Wir waren die ersten in Baden-Württemberg, die auf diesem Weg eine Dienstvereinbarung gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Dienst eingeführt haben. Natürlich ist das nicht genug. Aber ich muß doch sehen, mit welchen kleinen Schritten ich Verbesserungen erreichen kann.

In der politischen Arbeit ist mir klar geworden, mit wie vielen einzelnen konkreten Verbesserungsvorschlägen man an die Dinge rangehen muß. Dazu braucht man nicht nur viel Geduld, sondern auch ein gesundes Selbstbewußtsein. Dem steht in der neuen Fraktion nichts im Wege, wir sind ja 29 Frauen und 20 Männer. Wir Frauen sind also die Mehrheit. Wichtig sind mir bei der Frauenpolitik außerdem der Spaß und die Lust am Verändern.

Welche feministischen Schwerpunkte werden die Bündnisgrünen in den nächsten vier Jahren setzen?

Ein Schwerpunkt meiner Arbeit sind die Veränderungen in der Arbeitswelt und die Konsequenzen, die das für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat. Wenn es keine Neueinstellungen mehr gibt, wenn Arbeitsplätze verlorengehen und es darum geht, die Arbeit gerechter umzuverteilen, muß die ganze Diskussion um die Frauenförderung weiterentwickelt werden. Es kann nicht nur darum gehen, weiter für Quoten und Frauenförderpläne zu kämpfen. Wir müssen die Umwälzungen in der Arbeitswelt aufgreifen und eine gerechtere Umverteilung der Arbeit einfordern. Frauen dürfen nicht wieder still und leise überall verschwinden, und die Männer können nicht an sich raffen, was übrigbleibt. Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dafür zu sorgen, daß die Frauen in diesem Umverteilungsprozeß nicht zu kurz kommen.

Wie soll das geschehen?

Wir müssen künftig wieder über die Frage diskutieren, welchen Wert unbezahlte Arbeit hat. Es geht aber auch um die Frage: Was macht der VW-Arbeiter an seinem fünften freien Tag. Die Diskussion gab es von gewerkschaftlicher Seite schon einmal, als es um den arbeitsfreien Samstag ging. Damals warben die Gewerkschaften noch mit dem Slogan: „Vati gehört Samstags uns.“ Und was hat er gemacht, der Vati? Der gehörte dem Auto, dem Fußball, aber nicht den Kindern. Wir müssen eine gesellschaftliche Diskussion anzetteln, in deren Mittelpunkt die Frage steht: Was passiert mit dem Mehr an freier Zeit? Soll die nur für mehr Freizeit zur Verfügung stehen? Letztlich müssen wir also die Frage diskutieren: Männer, wo seid ihr? Was macht ihr mit euren sozialen Kompetenzen? Wie nutzt ihr das Mehr an Zeit für das Leben mit Kindern oder alten Menschen. Das ist keine Frauenaufgabe. Daran habt ihr euch genauso zu beteiligen.

Grüne Frauenpolitik wird sich also an den Realitäten orientieren und nicht, wie Mitte der 80er Jahre für provokative, öffentlichkeitswirksame Aktionen stehen?

Es geht heute nicht mehr darum, spektakuläre Neuerungen einzuführen, die provozieren. Es geht darum, immer wieder an konkreten Punkten einzuhaken, zu verändern. Natürlich birgt eine solche Frauenpolitik keine provokante neue Schlagzeile, aber deswegen ist sie doch nicht weniger wichtig, nicht weniger politisch. Interview: Karin Flothmann