Und es trat Ruhe ein

■ Abschiebehäftling starb nach Zwangsinjektion. Der Arzt als Folterknecht?

Berlin (taz) — Fahrlässige Tötung? Körperverletzung mit Todesfolge? Noch ist offen, ob sich der Arzt, der dem nigerianischen Abschiebehäftling Kola Bankole zwangsweise eine Beruhigungsspritze verabreichte, sich strafrechtlich zu verantworten hat. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat einen Mannheimer Medizin-Professor beauftragt, die Todesursache zu untersuchen.

Fest stehen die besonderen Umstände, unter denen die Spritze verabreicht wurde: Der Nigerianer, dessen Abschiebung bereits fünf Mal erfolglos betrieben worden war, widersetzte sich auch an jenem 30. August 1994 dem Vorhaben des deutschen Bundesgrenzschutzes. Daraufhin wurde er gefesselt und geknebelt. Als der fragliche Arzt hinzukam, konnte er weder mit dem Mann sprechen, noch überhaupt seine Körperfunktionen untersuchen. „Bei einem Gefesselten ist es nicht möglich, die Herz-, Puls- oder Lungenfunktion zu kontrollieren“, sagt der Frankfurter Arzt Winfried Beck von der Liste Demokratischer Ärztinnen und Ärzte in der Landesärztekammer Hessen. Kein Wunder also, daß der Arzt nicht feststellen konnte, daß der Mann an einer schweren Herzerkrankung litt. Ohne den Minimalanforderungen ärztlicher Fürsorge nachzukommen, spritzte der Arzt ein Beruhigungsmittel durch die Kleidung hindurch an irgendeine Körperstelle — und es trat Ruhe ein. Irgendwann später, beunruhigt durch die Bewegungslosigkeit des Nigerianers, hub der „behandelnde“ Arzt dessen Lider und sah starre, geweitete Pupillen. Er drängte den BGS, die Fesselung zu lösen. Jetzt will er ihn doch untersuchen. Aber Kola Bankole ist tot.

Es sei noch nicht geklärt, worauf genau die Todesfolge beruht habe, so Staatsanwalt Job Tilmann.

Ein körperlicher Eingriff — und auch eine Spritze gehört selbstverständlich dazu — ist grundsätzlich nur dann erlaubt, wenn der Patient eingewilligt hat. Nur in wenigen Ausnahmen ist eine solche ausdrückliche Einwilligung entbehrlich, andernfalls handelt es sich um eine strafbare Körperverletzung. Ausnahmen liegen zum Beispiel vor, wenn der Patient bewußtlos und seine Einwilligung anzunehmen ist. Unter Umständen auch in Fällen von Notwehr, etwa wenn jemand Amok läuft oder wild um sich schlägt.

Kollegen des Arztes, der die Beruhigungsspritze verabreichte, sehen aber diese Ausnahmen hier nicht gegeben. Beck vergleicht das Vorgehen vielmehr mit den Hilfeleistungen von Ärzten, die bei Folterungen assistieren. „Denen geht es nicht darum, den Menschen aus ethischen Gründen am Leben zu halten, sondern darum, die Körperkräfte zu aktivieren, damit die Folterungen fortgesetzt werden können.“ Auch die Injektion des Beruhigungsmittels habe nicht der Erhaltung des Lebens und dem Schutz der Gesundheit gedient, so Beck. Vielmehr handelte es sich um „Amtshilfe für den Bundesgrenzschutz“.

Auch der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, hat harte Worte für derartiges Verhalten in einem Interview mit der Katholischen Nachrichtenagentur gewählt. „Das ist genau der Stoff, aus dem die Medizinverbrechen im Nationalsozialismus entstanden sind.“

Noch in mindestens zwei anderen Fällen hat ein Frankfurter Arzt gegen ethisch-medizinische Grundsätze verstoßen. Im Zusammenhang mit dem Asylbegehren zweier minderjähriger afghanischer Jungen hat der kommissarische Leiter der Frankfurter Flughafenklinik eine Röntgenuntersuchung der Hände vorgenommen, um deren Alter zu bestimmen. Nach Auffassung der Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen erfolgt eine solche Untersuchung nicht aus medizinischen Gründen, sondern auch hier zum Zwecke der leichteren Abschiebung — mit der Folge seelischen Leids.

Die Frankfurter Flughafen AG hat unterdessen die „Anweisung erlassen und Vorkehrungen getroffen, damit sich solche Vorgänge nicht mehr wiederholen“. Julia Albrecht