Wetter schön - stop - Quallen keine

■ Unterhaltungs-Kleinproduktionen im Off-Bereich: Jon Flynn im Tacheles, Annette Klar und Jean Verdier im Zan Pollo

Natürlich ist er ein netter Kerl, wie er da mit seinem spitzbübischen Stummfilmgesicht auf der Bühne steht, von scheinbar außerirdischen Kräften heimgesucht. Jon Flynn zeigt uns gerne seine komische Seite. Er macht das mal mit der Unschuldsmiene eines Parsifal, mal mit dem Pathos eines Danton und immer mit gemessen britischem Charme. Und nie, ja niemals vergißt er dabei, sich in die tragischen Figuren und Wesen unseres Planeten einzudenken.

Zum Beispiel die Fliege. „Jeder von euch ist ein Mörder“, ruft er ins Auditorium im Tacheles, worauf wir, die wir ahnungslos dasitzen, natürlich sofort von Schuldgefühlen ergriffen werden. Wie viele dieser summenden Taugenichtse haben wir schon an der Küchenwand zu Schmierflecken geklatscht? „Alle wollen mir was“, sagt Jon, die Fliege, und wuppt noch mopsfidel mit seinen Spiegelflügeln auf und ab. Schon klar, wer seine eigentliche Feindin ist: die Spinne.

Irgendwann vorher lief auf der Bühne ein Kurzfilm, in dem Jon als Super-Hero durch die Rüdersdorfer Schachtofenanlagen huscht, und zwar mit jenen abgehackten Bewegungen, wie sie für Hutzelmänner im Stummfilm üblich sind. Irgendwann später kommt ein Spaßhäppchen – übrigens alles in englischer Sprache – über das Leben als Fluppe, als echte „Dunhill“ (Lucky Strike läßt grüßen!).

Flynn steigt dabei in eine übergroße, goldene Schachtel und singt über die Gefühle eines Tabakbodys im weißen Papiermantel. Den Gesang muß man sich etwa so vorstellen wie Eric Idles „Always look at the bright side of life“ im Monty- Python-Streifen „Das Leben des Brian“. Im „Ginger Garden“ plätschert es ohne Unterlaß: Einen Unterhaltungswert hat dieses Nummernspektakel über Liebe, Langeweile und Leidenschaft durchaus, die großen Lacher bleiben jedoch aus.

Doch das kann sich schnell ändern. Denn kurz nachdem sich der nette Jon am Ende über die Menschen in „häßlichen Designerklamotten“ amüsiert, kündigt er sein nächstes Programm an. Das ist schon in wenigen Wochen. Man habe ihm einmal quittiert, ein Mann der Extreme zu sein, sagt Flynn. Ja, er ist extrem – extrem produktiv.

Auch das ist geschickt ausgedacht: Während draußen die Winterkälte wütet, locken uns Annette Klar und Jean Verdier im Zan Pollo Theater in die sonnige Welt des Reisens. „Reisefieber“ lautet der verheißungsvolle Programmtitel. Auf der Bühne sehen wir gelb- schwarz-karierte Koffer und lauter hübsche, kleine Dinge, die uns die schönsten Wochen des Jahres schmackhaft machen sollen: Sonne, Sand und Kamera, der schiefe Turm von Pisa und ein schlapper Wasserball, also alle Argumente der Sonnenindustrie.

Der Abend beginnt mit Stimmen aus dem Off: Die beiden Akteure lesen Urlaubskarten vor, deren Texte uns an die freundlichen Verse von Tante Hedwig oder Onkel Franz erinnern: „Das Wetter ist schön, es gibt keine Quallen, der Diaabend wird lang.“ Ansonsten wird in dieser gespielten Karikatur wenig gesprochen, aber viel geblödelt: Klars Knopfaugen rollen unter der schwarzen Baskenmütze, auch Verdier spazieren komische Grimassen durchs Gesicht, und manchmal lachen sich die beiden halb kaputt.

Allerdings wundert es schon, daß Verdier seine Finger ausgerechnet in die Wunde des Fernwehs legen will, ist dieses Thema doch schon reichlich abgenudelt. Der Inhalt des streckenweise also viel zu langatmigen Programms läßt sich in Kürze so erzählen: Sie und er (beide kariert wie die Koffer) sind Opfer einer Flugverspätung, werden am Airport von kratzenden Viechern überfallen, finden vor lauter Gates und Ausgängen die Maschine nicht, drängeln sich durchs miefige Reisegewühl, schießen am Urlaubsziel ein gutes Dutzend Erinnerungsfotos, liegen verkrampft im Hauszelt und ärgern sich über die rauschende Klospülung und die kläffenden Köter von nebenan.

Schließlich schreiben sie Karten, eben wie Tante Hedwig und Onkel Franz. Untermalt wird das „Reisefieber“ durch Satchmos Gebrumm, Mozarts Requiem und einer zuvorkommenden Flughafenansagerin. Die Aktionsmuster des Stückes lassen sich schon im Vorfeld erahnen. Dazu braucht es nicht einmal mehr der Comicsprache aus „woff“, „öh“ und „äh“. Auch die Bewegungsabläufe sind ähnlich simpel.

Schade, daß das tänzerische Talent von Annette Klar nicht zum Zuge kommen durfte. So dümpelt dieses Programm dahin wie das algenverseuchte Wasser der Emilia Romagna, in das auch die beiden Schauspieler nicht knietief eintauchen würden. Und am Ende des Abends erfahren wir, was wir schon ahnten: Urlauber sind Opfer ihrer eigenen Erwartungen, mal mehr, mal weniger! Tomas Niederberghaus

„Ginger Garden“ von Jon Flynn, bis 8.1., je 20 Uhr, Tacheles (Camera), Oranienburger Straße, Mitte; „Reisefieber“ von Annette Klar und Jean Verdier, bis 22.1., Mi-So, 20.30 Uhr, Zan Pollo Theater, Rheinstraße 45, Friedenau