Das Schicke und der Slum

■ Mit dem „3S-Konzept“ räumt die Deutsche Bahn AG auf: Sicherheit, Sauberkeit und Service / Dennoch hat der Zoo nichts von seiner Magnetwirkung für Outlaws verloren

„Sicherheit, Sauberkeit, Service“ – unter diesem Motto räumt die Deutsche Bahn AG seit dem vergangenen Jahr bundesweit in ihren Bahnhöfen auf. Mit dem „3S-Konzept“ sollen im Laufe des Jahres 1995 aus über 80 profanen Durchreisehallen in Deutschland moderne Dienstleistungszentren werden. In Berlin wurden bereits 1994 alle drei großen Bahnhöfe – Lichtenberg, Zoo und Hauptbahnhof – in die „Service-Offensive“ aufgenommen. In der ersten Welle wurde im Frühjahr groß aufgeräumt, in der zweiten im Sommer gründlich gereinigt und seitdem instandgesetzt. Damit sich der Aufwand lohnt – pro Bahnhof wurden etwa 100.000 Mark investiert, die Sanierung des Bahnhofs Zoo verschlang bisher 16 Millionen Mark –, hängen in der Bahnhofshalle im Zoo seit November Plakate mit der Hausordnung aus: „Für jede absichtlich herbeigeführte Verschmutzung wird pauschal eine Reinigungsgebühr von 30 Mark erhoben.“ Durchreisende bekommen Handzettel mit der mehrsprachigen Hausordnung.

Daß zum Großreinemachen auch gehört, die von den Bahnhöfen zu vertreiben, die diese als ihr Zuhause betrachten, gibt die Deutsche Bahn AG unumwunden zu. „Bahnhöfe sollen in erster Linie den Reisenden zur Verfügung stehen“, formuliert eine Sprecherin der Deutschen Bahn AG das Ziel, das von Kritikern als „Vertreibungspolitik“ bezeichnet wird. „Die freundliche, helle, saubere Umgebung soll die Fahrgäste anziehen und andere davon abhalten, sich wohlzufühlen.“

Bereits seit die auf Drängen der „AG City“ gegründete „Direktion City West“ der Berliner Polizei für einen im doppelten Sinne cleaneren Bahnhofsbereich zuständig ist, wird rund um den Bahnhof Zoo kräftig aufgeräumt. Der Jahresbericht der Einsatztruppe verzeichnet für 1994 6.762 Überprüfungen von Personen und 3.548 Platzverweise. „Uns erzählen immer wieder Leute, daß sie aufgegriffen und bis in Ostberliner Außenbezirke gefahren werden“, berichtet Birgit Maasch, Sozialarbeiterin im Beratungsbus für Stricher und Prostituierte des Bezirksamtes Charlottenburg. „Letztendlich wird man diese Leute aber nicht verdrängen. Die Szene wandert seit Jahren immer hin und her. Wo sollen sie denn auch hin?“

Im Rahmen der „Service-Offensive“ hat die Vertreibungspolitik einen weiteren Schub bekommen. Der Bahnhof Zoo gilt als Paradebeispiel dafür, wie Personenbahnhöfe „attraktiver“ gestaltet werden können. Dabei sind nicht alle von ihrer neuen Umgebung begeistert. „Aus dem Bahnhof ist eine Kommerzmeile geworden“, konstatiert Hildegard Hagenow von der Bahnhofsmission. „Dabei bringt das Schicke auf der einen Seite immer auch den Slum auf der anderen Seite mit sich.“ Und den bekommt sie jetzt gleichsam frei Haus geliefert: „Je repressiver die Polizei vorgeht, desto mehr stehen bei uns vor der Tür.“ Weil das Problem der Magnetwirkung eines Bahnhofs durch Vertreibung nicht lösbar ist, kümmert sich die Bahnhofsmission seit einem Jahr auch um Klienten, die sie früher ablehnte: Fixer, Stricher und Prostituierte. „Eigentlich bräuchten wir eine Teestube und eine Fixerstube. Die Junkies werden zum Teil an dem Spritzenautomaten abgefangen. Damit bringt man Menschen in Lebensgefahr.“

Bereits seit Jahrzehnten hat es immer wieder Bemühungen gegeben, den Bahnhof Zoo von seinem schlechten Ruf zu befreien. Genützt hat das wenig. „Für Leute, die unterwegs sind, ist der Zoo immer noch ein fester Platz im Terminplan“, erzählt ein Mitarbeiter eines Infobusses für Jugendliche. Denn nicht nur wirken öffentliche Räume im Zentrum einer Stadt als Magneten – außerdem werden Stricher und Prostituierte von Reisenden angezogen, finden dort ihre Kunden. Diese „Doppelmoral“ in der Vertreibungspolitik ist es auch, die Hildegard Hagenow, die seit zwölf Jahren die betreut, die den Zoo vielleicht dringender brauchen als die Durchreisenden, am meisten ärgert: „Das verlogene Bild vom hochgeachteten Freier und verachteten Stricher – beides gehört zusammen.“ Jeannette Goddar