Blendendes Weiß im Township

Das elitäre Cricket überwindet die Rassenschranken und ist dabei, zum Volkssport von Südafrikas schwarzer Bevölkerung zu werden  ■ Aus Johannesburg Willi Germund

Auf den Straßen türmt sich der Müll. Die Hütten aus Lehmsteinen, Wellblech und manchmal sogar reinem Pappkarton stehen inmitten von weichgetretenem Schlamm. Alexandra, das schwarze Township inmitten des überwiegend von reichen Weißen bewohnten Johannesburger Nordens, bietet immer noch ein klassisches Bild des Elends. Aber am Rand von Alexandra wird inmitten von hohen Ballfangnetzen auf einem Sportplatz fein säuberlich ein Stück Rasen gepflegt.

Tag für Tag toben auf diesem Cricketfeld Hunderte von schwarzen Jungen und Mädchen herum. Das neue Stadion ist der Stolz des Elendsviertels. Staatsgäste werden bei ihren Besuchen dorthin geführt, Schullehrer bringen während des Sportunterrichts Klassen aus Alexandra zum Üben.

Cricket, der Sport, bei dem überwiegend blendend weiße Uniformen getragen werden, entwickelt sich unter Südafrikas Schwarzen zu einem neuen Volkssport – auch wenn bei wichtigen Spielen die Zuschauerränge immer noch überwiegend mit Weißen besetzt sind. Aber Ali Bacher, einst Kapitän der südafrikanischen Nationalmannschaft und heute Vorsitzender von Südafrikas Cricketverband, gehört zu den Sportfunktionären in Südafrika, die während der letzten Jahre entschlossen versucht haben, die Rassenschranken zu überwinden.

Über 4.000 Lehrer an Schulen in schwarzen Townships wurden bei Lehrgängen ausgebildet. Wo es nur ging, errichtete der Verband Spielfelder. Bei keiner anderen Sportart veränderte sich in Südafrika während der vergangenen zwölf Monate so viel wie im Cricket. Im Rugby etwa, dem Volkssport der Weißen, hat sich fast nichts getan. Die Zuschauer sind überwiegend weiß geblieben, die Spieler ebenfalls – nur in der Region um Kapstadt findet Rugby Interesse über die Vororte der Weißen hinaus. Und das, obwohl 1995 in Südafrika der Rugby-Weltcup stattfinden wird. Das liegt zum großen Teil an den Funktionären, die weiter in alten und liebgewordenen Gewohnheiten verharren.

Tatsächlich hat sich Südafrikas Sport nur dort von der Apartheid weg entwickelt, wo die Funktionäre Anstrengungen gemacht haben – und wo es die Verhältnisse erlauben. Schwimmen etwa ist weiter nahezu nur Weißen vorbehalten. Von Tennis oder Golf – mit Wayne Ferreira und Ernie Els wurden südafrikanische Namen international zum Begriff – ganz zu schweigen. In der Leichtathletik tummeln sich bis auf ein paar Ausnahmen ebenfalls immer noch überwiegend Weiße. In den Townships mit ihrer Millionenbevölkerung gibt es bis heute keine Anlagen fürs Training.

Lediglich bei den Langstrecken zeigen sich ein paar schwarze Talente. Der Grund ist einfach: Kinder auf dem Land müssen zum Teil bis zu 20 Kilometer zu Fuß zur Schule gehen. Willy Tshala, der später bei einem Autounfall schwer verletzt wurde, entwickelte sich so zum Marathonläufer. Der Schulweg dauerte ihm zu lange, also rannte er – was sich als ideales Training herausstellte.

Eine Sportart, bei der schon die Straße als Spielfeld ausreicht – und ein Stoffballen als Ball genügt – war schon lange vor dem Ende der Apartheid Volkssport Nummer eins unter den rund 35 Millionen Schwarzen Südafrikas: Fußball. Rassenschranken wurden auf dem Rasen früh überwunden. Der Grund ist einfach: Die bulligen Weißen sind im allgemeinen hervorragende Verteidiger, drahtige und technisch versierte Schwarze glänzen im Sturm. Diese Kombination sorgte in diesem Jahr auch bei Spielen der Nationalmannschaft gegen afrikanische Konkurrenten für Erfolg.

Mittlerweile wurden Schlachtengesänge zum Anfeuern der Auswahl geschrieben. Noch am Anfang dieses Jahres waren die Zuschauer überwiegend stumm geblieben. Nach Jahren der Isolierung und ohne internationale Wettkämpfe fehlte das entsprechende Repertoire. Auf den Rängen blieb aber alles beim alten: Tausende von Schwarzen drängen sich dort Wochenende für Wochenende. Südafrikas weiße Fußballinteressierte beobachten währenddessen lieber Spiele der englischen Liga – im Fernsehen. Vielleicht lassen sie sich von Klubnamen wie Dangerous Darkies („Gefährliche Dunkle“) abschrecken.